Die Überläuferin und die Frage: Darf die das?
Bei den Grünen steht sie vor dem Aus, da stellt Elke Twesten plötzlich fest, dass sie ohnehin besser zur CDU passt. Jetzt ist sie berühmt, aber das wird ihr wenig nützen
Elke Twesten ist, das muss man so hart sagen, eine vergleichsweise unbedeutende Politikerin. Im niedersächsischen Landtag fiel sie nicht groß auf. Sie vertrat dort die Interessen ihrer Wähler in Rotenburg (Wümme), Bremervörde und Visselhövede. Nächstes Jahr wäre ihre Karriere im Parlament wohl zu Ende gegangen, ohne dass irgendjemand im Rest der Republik auch nur Notiz davon genommen hätte. Die Grünen in ihrem Wahlkreis verweigerten ihr jedenfalls den Platz als Direktkandidatin. Doch sie haben die Rechnung ohne die Finanzwirtin gemacht. Das Ergebnis: Seit Freitag kennt ganz Deutschland Elke Twesten – die Abgeordnete, die zur CDU überlief.
Die 54-Jährige kostet nicht nur Ministerpräsident Stephan Weil seine hauchdünne rot-grüne Mehrheit. Sie entfacht auch eine Debatte über Macht und Moral. Die Grünen sind schockiert, die SPD stinksauer. Und alle fragen sich: Darf die das? Na klar, darf sie. Twesten ist schließlich nicht die Erste, die quasi in voller Fahrt den politischen Rennstall wechselt. Ungewöhnlich ist allerdings ihr besonders niederes Motiv: Ihr geht es ganz offensichtlich in erster Linie um die persönliche Karriere. Die Tatsache, dass die Grünen sie aufs Abstellgleis geschoben haben, dürfte der Hauptgrund gewesen sein, sich eine neue politische Heimat zu suchen. Eine Heimat mit besseren Aussichten für die eigene Laufbahn?
Twesten selbst sprach jedenfalls schon am Tag ihres Abgangs unverhohlen über eine mögliche Zukunft im Europaparlament. Oder im Bundestag. Oder irgendwo halt. Dass die CDU sie mit dahingehenden Versprechungen gelockt hat, lässt sich nicht beweisen. Dass die Überläuferin angeblich schon vor Wochen von einem „unmoralischen Angebot“der Union gesprochen haben soll, hinterlässt zumindest ein „Gschmäckle“.
Mag ja sein, dass sich Twesten, die dem Realo-Flügel angehörte, tatsächlich von ihrer Partei entfremdet hat. Nur warum wollte sie dann im Januar überhaupt wieder als grüne Kandidatin für den Landtag antreten? Es ist der Zeitpunkt der Fahnenflucht, der sie unglaubwürdig macht. Kurz nach ihrer verlorenen Kampfabstimmung um den Platz auf dem Wahlplakat fällt ihr plötzlich ein, dass sie in der Union sowieso besser aufgehoben ist? Nun ja.
Immerhin hat es Twesten mit ihrem Manöver zu Bekanntheit über den Wahlkreis Rotenburg (Wümme) hinaus gebracht. Es ist eine zweifelhafte Bekanntheit. Ob sie persönlich davon profitieren wird? Eher fraglich. Denn selbst wenn die CDU die vorgezogenen Neuwahlen gewinnen sollte, dürfte auch für die Überläuferin – frei nach Julius Cäsar – gelten: Man liebt den Verrat, aber man hasst den Verräter. Als eine Frau, auf die man sich verlassen kann, hat sich Twesten jedenfalls nicht gerade erwiesen.
Und der Fall hat noch eine zweite Dimension: All die Verdrossenen, die schon lange der Meinung sind, dass es in der Politik eh nur um Eitelkeiten, Macht und Geld geht, haben wieder eine Geschichte mehr zu erzählen. Wer sich die Reaktionen auf die niedersächsische Regierungskrise anschaut, kann erahnen, dass damit auch der Ton im Bundestagswahlkampf giftiger wird. Die SPD hetzt gegen die „Verräterin“und spekuliert sogar, Twesten sei „gekauft“worden, während CDU und CSU sich Häme und peinliches Triumph-Geheul nicht verkneifen können.
Dabei wollte doch nur eine vergleichsweise unbedeutende Politikerin etwas für ihre Karriere tun. Durfte sie das? Na klar. Nur besonders klug war es halt nicht.