Ziehen sie noch an einem Strang?
Außenminister Sigmar Gabriel irritiert mit widersprüchlichen Äußerungen über die Wahlchancen von Martin Schulz. Die Parteizentrale muss eine „Richtigstellung“versenden
Sie dachten, alles würde nun besser werden. Und sie setzten darauf, dass die Zeiten der Sprunghaftigkeit wie des Chaos endlich vorbei seien und mehr Ruhe und Ordnung, Berechenbarkeit und Kontinuität einkehren würden. Als Sigmar Gabriel am 24. Januar völlig überraschend seinen Rücktritt vom Amt des SPD-Vorsitzenden und damit auch seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bekannt gab, war im Willy-Brandt-Haus in der Kreuzberger Wilhelmstraße die Erleichterung groß. Mit seinen ständigen spontanen Eingebungen und überraschenden Wendungen hatte der Parteichef seine Mitarbeiter in der Parteizentrale ein ums andere Mal zur Verzweiflung getrieben.
Doch die Ruhe im Brandt-Haus, die mit dem Staffelwechsel zu Martin Schulz einkehrte, war nur von kurzer Dauer. Denn auch ohne Parteiamt ist sich Gabriel, nur noch Außenminister und Vizekanzler, treu geblieben. Entsprechend groß war das Entsetzen am Donnerstag über die jüngste Kapriole des Ex-Chefs, mit der er seinem Nachfolger kurz vor dem entscheidenden TV-Duell am Sonntagabend in den Rücken ge- fallen war und alle Bemühungen von Martin Schulz, die Kanzlerin doch noch zu packen und in die Enge zu treiben, praktisch für gescheitert erklärt hatte. Mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte, die sich seit Monaten nicht von der Stelle bewegen und die Union mit großem Vorsprung vor der SPD sehen, erklärte er in einem live im Internet übertragenen Spiegel-Interview, dass der Anspruch von Schulz, die SPD zur stärksten Partei zu machen und Bundeskanzler zu werden, aussichtslos sei. Eine Große Koalition unter Führung eines SPD-Regierungschefs werde es nicht geben. „Weil da kann der Schulz schon mal einpacken, weil dabei wird er dann nicht Kanzler“, so Gabriel.
Offen sprach der Außenminister auch aus, was viele Genossinnen und Genossen drei Wochen vor der Wahl umtreibt, sie aber ungern aussprechen: Außer der Großen Koalition habe die SPD keine eigene Machtoption. Weder ein rot-grünes Bündnis noch eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen haben eine Mehrheit. Und eine rot-rot-grüne Koali- tion komme, so Gabriel, wegen der fehlenden Regierungsfähigkeit der Linken nicht infrage.
Erklärt Gabriel die Kandidatur von Schulz bereits für gescheitert, bevor der Wähler zur Urne geht? Am Donnerstag waren sowohl Gabriel wie das Willy-Brandt-Haus eifrigst bemüht, diese Interpretation zu dementieren. Am späten Vormittag sah sich die SPD-Zentrale gar veranlasst, eine offizielle „Richtigstellung“versenden zu müssen: Gabriel sei überzeugt, „dass das Wahlergebnis der SPD viel besser sein werde, als die aktuellen Umfragen das heute scheinbar nahelegten“, hieß es darin. Und weiter: „Das Rennen um die Kanzlerschaft ist völlig offen, denn fast 50 Prozent der Menschen sind noch nicht entschieden.“Er sei sicher, so Gabriel, dass Schulz beim TV-Duell „seine Chance vor einem Millionenpublikum nutzen wird“.
Gleichwohl kommt das Hin und Her Gabriels für Schulz, derzeit auf seiner „Live-Tour“in Deutschland unterwegs, zur Unzeit. Gerade hat er in den Umfragen etwas Boden gut gemacht und den Rückstand zur Kanzlerin verkürzt, das TV-Duell gilt als seine letzte Chance zu einer Trendwende. Doch nun nimmt ihm sein eigener Parteifreund den Wind aus den Segeln. „Mit Gabriel läuft’s, ohne Gabriel läuft’s besser“, heißt es denn auch mit einem gewissen Sarkasmus im Willy-Brandt-Haus.
Gleichzeitig macht dem MerkelHerausforderer auch noch ein zweiter früherer Spitzenpolitiker seiner Partei das Leben schwer – Altkanzler Gerhard Schröder. Trotz massiver Kritik auch aus der eigenen Partei rückt der frühere Regierungschef nicht von seinem Vorhaben an, Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Ölkonzerns Rosneft zu werden. „Ich stehe dazu, weil ich aus ökonomischen und politischen Gründen glaube, dass es nicht vernünftig ist, unseren großen Nachbarn Russland zu isolieren“, sagte er bei einem Wahlkampfauftritt im niedersächsischen Rotenburg an der Wümme. Eine Einbindung Russlands in die Weltwirtschaft könne allen helfen.
Schulz hingegen bleibt dabei: Ein Altkanzler sei nur „bedingt ein Privatmann“und müsse „nicht jedes Angebot annehmen“. Einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt von Schulz und Schröder wird es nicht geben – dabei bräuchte der Kandidat nichts dringender als ein populäres Zugpferd.
Angela Merkel tritt mittlerweile gegen den vierten SPD-Mann an. Am Sonntag stellt sich die CDUChefin im TV-Duell ihrem Herausforderer Martin Schulz. Ein Rückblick auf frühere Duelle: ●
Beim ersten TV-Duell schickt die Union den bayerischen Regierungschef ins Rennen. Schnell auf Temperatur werfen er und Schröder sich gegenseitig politisches Versagen bei Arbeitsmarkt, Steuern und Zuwanderung vor. Schröder: „Sie versprechen ja allen alles.“Umfragen sagen: unentschieden. Doch schneidet Stoiber vor 15 Millionen Zuschauern besser ab als erwartet. ●
Angesichts der Kopf-an-Kopf-Wahlumfragen wird es in Runde 2 lebhafter – auch dank der lockeren Moderatorinnen Maybrit Illner und Sabine Christiansen. Der Bayer bläst zur Attacke und wirft Schröder vor, im Streit um einen US-Angriff auf den Irak die deutsch-amerikanische Freundschaft zu beschädigen. Der Kanzler ist „gegen eine militärische Intervention.“Stoiber bringt immer wieder „Schröders“Arbeitslose in die Debatte ein. Doch fällt der CSUChef gegenüber seinem vorherigen Auftritt zurück. Am Ende sehen die Umfragen den Amtsinhaber vorn. Rund 15 Millionen sind am TV dabei. Schröder bleibt später Kanzler. ●
Die Kontrahenten tasten sich nicht lange ab. Merkels erste Attacke: Bei der Ökosteuer seien die Bürger „schlichtweg betrogen worden“. Der fernseherfahrene Kanzler lenkt die Diskussion auf Merkels Finanzfachmann Paul Kirchhof. Dessen Konzept sei „ungerecht“, wenn sowohl Sekretärin als auch Vorstandschef einheitlich 25 Prozent Einkommenssteuer zahlen sollten. Vor 21 Millionen Zuschauern entscheidet der Kanzler den Schlagabtausch in Sachen Sympathie für sich. Merkel wird als kompetenter gesehen. Sie zieht nach der Wahl ins Kanzleramt ein. ●
Der Außenminister setzt auf Angriff, während sich die Kanzlerin müht, ihren Wohlfühl-Wahlkampf durchzuziehen. „Eine bessere Alternative“sei er, sagt Steinmeier selbstbewusst. Die CDU-Chefin verzichtet auf einen Schlagabtausch und lobt vor gut 14 Millionen Zuschauern lieber die Große Koalition, die „gut gearbeitet“habe – eben unter ihrer Führung. Umfragen sehen keinen klaren Sieger. Nach der Wahl koaliert die Union mit der FDP. ●
Der Ansatz des
Ex-Finanzministers: Merkels Politikstil demaskieren – aber nicht zu offensiv, um nicht arrogant rüberzukommen. Bei einem Thema pocht er auf Klartext – und Merkel liefert: „Mit mir wird es eine Maut für Autofahrer nicht geben.“Die Kanzlerin trägt vor etwa 17,6 Millionen Zuschauern die berühmt gewordene schwarzrot-goldene Halskette. Umfragen sehen keinen Sieger, Steinbrück kann aber Boden gutmachen. Merkel schmiedet später ihre zweite Große Koalition.