Ein Blick in die Höhle des Löwenmenschen
Im Hohlenstein-Stadel gruben Archäologen Bruchstücke aus, die sich erst Jahrzehnte später als Sensations-Fund herausstellten
Sechs Höhlen der ältesten Eiszeitkunst im Ach- und Lonetal stehen seit 9. Juli auf der Welterbeliste der Unesco. Der Löwenmensch, die Venus vom Hohle Fels, ein Mammut aus Elfenbein und viele andere wertvolle Kunstwerke wurden dort entdeckt. In einer losen Serie stellen wir die Fundorte vor. in die Wetzelschen Kartons, erkannte spontan, welch kostbaren Fund er in Händen hielt. Mithilfe zweier Studenten fing er an zu basteln und zu kleben. Binnen zwei Tagen entstand aus gut 200 Einzelstücken der 31 Zentimeter große Löwenmensch zum zweiten Mal. Er trägt den nachgebildeten Kopf eines mähnenlosen Höhlenlöwen. Sein Oberkörper stellt wohl ebenfalls ein Tier dar. Unzweifelhaft ist aber, dass er auf Beinen und Füßen steht, wie sie zum Menschen gehören. Ungeklärt ist das Geschlecht der Figur. Anfangs war alle Welt von einer weiblichen Gestalt ausgegangen, weil die typisch männliche Löwenmähne fehlte. Dann ermittelte die Forschung, dass eiszeitliche Höhlenlöwen keine Mähne trugen. Folglich wurde die Figur geschlechtsneutral zum Löwenmenschen.
Mancherlei Zufälle haben die Entdeckung und Wiederherstellung der Statuette begleitet. Einen Teil des Kopfs mit dem rechten Ohr und ein Stück vom rechten Arm lieferte ein ehemaliger Mitarbeiter Professor Wetzels in den 70er-Jahren dem Ulmer Museum nach. Er habe sie nach dem Tod seines Chefs im Jahr 1962 aus dessen Arbeitszimmer in der Tübinger Anatomie als Andenken mitgenommen und aufbewahrt. Eine Art Märchen ereignete sich wenig später, heißt es im Ulmer Museum. Eine bis heute nicht bekannte Frau lieferte bei einem der Aufseher in der prähistorischen Sammlung eine kleine Schachtel mit Fundstücken ab. Ihr Sohn habe sich auf einer gemeinsamen Wanderung im Lonetal durchs weitmaschige Absperrgitter im Stadel gezwängt und ein paar kleine Plättchen in der Höhle aufgelesen. Eins der Stücke passte an den linken Fuß der Figur. Ein anderes war ein Teil der Maulpartie. Erst jetzt erwies sich endgültig, dass die Statuette einen Löwenkopf trägt.
Geschnitzt hat die Skulptur ein Eiszeitkünstler aus dem rechten Stoßzahn eines Mammuts. Wetzel hatte im Hohlenstein sogar den zugehörigen, aber noch unbearbeiteten linken Stoßzahn geborgen. In derselben Bodenschicht fand sich Schmuck, dazu ein Zahn einer etwa 20-jährigen Frau. Da hatte sich, vermuten Archäologen, vor 40 Jahrtausenden eine kleine Menschengruppe im Hohlenstein niedergelassen, für ein paar Tage vielleicht häuslich eingerichtet, auch ein kleines Depot mit Kunstschätzen angelegt. Dann verließen sie ihre Unterkunft. Möglicherweise zur Jagd oder um Früchte einzusammeln. Sicher wollten sie bald zurückkehren. Daraus wurde nichts. Ihr Schicksal bleibt ungeklärt. Über 40 000 Jahre hin wurde ihre kleine Schatzkammer nicht angerührt. Bis Otto Völzing in der Stadelhöhle das Unterste zu oberst kehrte. Was die kleine Skulptur den Menschen vor mehr als 1000 Generationen bedeutete, lässt sich nur vermuten. Vielleicht sollten sich Kraft und Stärke des Tiers mit dem Geist des Menschen verbinden. Denkbar auch, dass sich religiöse Vorstellungen mit der Figur verknüpften.