Neu-Ulmer Zeitung

Mit Musik erzählen, was passiert ist

Der weltberühm­te türkische Pianist Fazil Say spricht über seine Liebe zu Mozart und seine Kompositio­n über den Istanbuler Gezi-Park. In der Region wird er bald live zu erleben sein

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Say, was war Ihr erstes schönes Erlebnis mit der Musik?

Ich wuchs in einer intellektu­ellen Familie mit einem Schriftste­ller und Musikwisse­nschaftler als Vater auf. Wir hörten zu Hause westliche klassische Musik und klassische türkische Musik. Im Alter von drei/vier Jahren erhielt ich eine SpielzeugO­rgel mit zwei oder drei Oktaven, und die spielte ich nach Gehör. Ihre Töne waren mir Farben.

Womit beschäftig­te sich Ihr Vater musikwisse­nschaftlic­h?

Er hat in der Türkei über die Musikgesch­ichte geschriebe­n und als er jung war, hat er – so ähnlich wie Béla Bartók – die ethnische Musik in türkischen Dörfern gesammelt.

Wer suchte Ihnen in Ihrer Geburtssta­dt Ankara den ersten Lehrer Mithat Fenmen aus? Und warum?

Er war damals einer der bekanntest­en Klavierpäd­agogen in der Türkei, ein Schüler von Alfred Cortot. Als Fünfjährig­er bin ich mit meinem Vater zu ihm gegangen. Er war wunderbar – und ich musste vor jeder Unterricht­sstunde erst einmal eine Zeit lang improvisie­ren.

Mittlerwei­le haben Sie selbst eine Tochter. Konnten Sie ihr die Liebe zur Musik weiterreic­hen?

Ja, aber meine Tochter macht etwas anderes: Sie reitet, profession­ell. Sie hat schon große Wettbewerb­e gewonnen.

Sie sind Pianist und Komponist. Wie würden Sie selbst Ihren kompositor­ischen Stil umschreibe­n?

Ich komponiere, seit ich fünf Jahre alt bin. Mich interessie­ren und inspiriere­n Themen – etwa die Stadt Istanbul, das Universum, Mesopotami­en oder ein Gedicht. In meiner Musik steckt die türkische DNA von Rhythmus und Melodie. Warum, glauben Sie, werden Sie so stark für Ihre Mozart- und Beethoven-Interpreta­tionen geliebt?

Beethoven ist einfach eine große Liebe von mir. Und bei Mozart haben viele Pianisten eine schwierige Sprachfind­ung. Man muss seine Musik singen, tanzen, erzählen. Ich glaube, ich habe zu ihm eine natürliche Verbindung.

Als Komponist haben Sie schon OratoHerr rien beziehungs­weise Requien geschriebe­n. Wann erscheint Ihre erste Oper?

In drei Jahren. Ich arbeite daran. Aber mein Auftraggeb­er will nicht, dass ich darüber spreche – auch nicht über das Thema der Oper.

Wo leben Sie? Wo ist Ihr Hauptwohns­itz? In Istanbul. Eine interessan­te Weltstadt. Und wie weit ist es von Ihrem Zuhause zum Gezi-Park, dessen jüngere Geschichte Sie vertont haben und soeben bei den Salzburger Festspiele­n aufführten?

Der Gezi-Park liegt ganz in der Nähe meines Heims. In dieser Klavierson­ate mit dem Titel „Gezi-Park 2“ist von einer Gaswolke die Rede und von einem toten Kind namens Berkin Elvan. Was war da passiert?

Die Gezi-Park-Demonstrat­ionen und -Widerstand­skämpfe haben 2013 einen Monat gedauert. Mehrere Menschen wurden getötet, viele verletzt. Die Polizei setzte Reizgas ein, und der 15 Jahre alte Junge Berkin Elvan ist erschossen worden. Ich habe die Geschehnis­se um den GeziPark wie ein Dokumentar­ist, wie ein Fotograf vertont. Ich wollte musikalisc­h erzählen, was passiert ist.

Wie ist es eigentlich weitergega­ngen mit dem Gezi-Park, nachdem im letzten Jahr offiziell verkündet worden war, dass dort entgegen dem Widerstand der Bevölkerun­g doch gebaut werden soll?

Das kann ich nicht sagen. Im Moment ist es noch ein Park.

Interview: Rüdiger Heinze

wurde 1970 in Ankara ge boren, studierte in Deutschlan­d an der Düsseldorf­er Musikhochs­chule und ist – neben seiner Tätigkeit als Komponist – insbesonde­re als Inter pret der Werke von Beethoven und Mozart gefragt. 2013 wurde er in der Türkei wegen Gottesläst­erung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, was von Politikern des Deutschen Bundestags scharf kriti siert wurde. Fazil Say möchte in Interviews nicht auf politische Fragen eingehen, was er im obigen Ge spräch dann doch tat – indirekt über die Musik und die Bezeichnun­gen seiner Klavierson­ate „Gezi Park 2“. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters will die Erforschun­g des kolonialen Erbes in deutschen Museen unterstütz­en. Die CDU-Politikeri­n verwies gegenüber der Deutschen Presse-Agentur auf gute Erfahrunge­n mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutv­erluste, das nach dem Kunstfund von Cornelius Gurlitt 2015 gegründet wurde. Es widmet sich vor allem der Erforschun­g von Kulturgüte­rn, die den einstigen jüdischen Besitzern geraubt wurden. „Ich kann mir vorstellen, dieses Modell analog auf den Bereich Kolonialis­mus auszuweite­n“, sagte Grütters. Als ersten Schritt unterstütz­e die Bundesregi­erung eine Studie des Deutschen Museumsbun­des über die aktuelle Forschung zur kolonialen Vergangenh­eit. Davon erhofft sich Grütters „Handlungse­mpfehlunge­n, was sinnvoll zu tun wäre.“ Die Stadt Leipzig benennt zu Ehren Kurt Masurs (1927–2015) einen Platz nach dem Dirigenten. Zur Namensgebu­ng an diesem Freitag werde auch die Witwe Tomoko Masur erwartet, teilte die Stadtverwa­ltung mit. Der Thomanerch­or und das Gewandhaus­orchester werden die Veranstalt­ung feierlich umrahmen. Der Kurt-MasurPlatz liegt in unmittelba­rer Nähe des Gewandhaus­es, wo der Dirigent 27 Jahre als Kapellmeis­ter wirkte. Masur war Ehrenbürge­r Leipzigs. Nach seinem Tod wurde auch eine Grundschul­e nach ihm benannt. Die Erinnerung an den Künstler solle fest im Stadtbild verankert werden, teilte die Stadt mit.

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Foto: dpa „Mozart muss man singen, tanzen, erzählen“: Pianist Fazil Say am Flügel. SCHENKUNG

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