Neu-Ulmer Zeitung

Rückfall in die Kleinstaat­erei?

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Was sich im Nordosten Spaniens abspielt, ist für ganz Europa relevant: Erleben wir dort gerade die Geburt eines neuen Kleinstaat­es? Und wird diese Abspaltung zu einem Präzedenzf­all für Autonomieb­ewegungen in weiteren spanischen Regionen, aber auch in Belgien oder Italien?

Von Nationalis­mus geprägte Mini-Staaten sind kein Zukunftsmo­dell. Kleinstaat­erei bremst den Fortschrit­t, das hat die Geschichte Deutschlan­ds gezeigt. Sinnvoll und notwendig sind dagegen föderale Strukturen und Autonomier­echte. Auf diesem Gebiet hat Spanien Defizite. Nur so konnte es zur Eskalation in Katalonien kommen.

Statt die Macht des Zentralsta­ates mit Polizeigew­alt zu exekutiere­n, sollten die Regierung in Madrid und der König besser auf Reformen setzen. Einfach ruhigstell­en lassen sich die aufmüpfige­n Katalanen nicht mehr. Je mehr Druck Madrid auf die Region ausübt, desto stärker wird der Widerstand.

Doch auch die Katalanen müssen von ihren Maximalfor­derungen herunterko­mmen. Das verfassung­swidrige Referendum bietet keine Rechtferti­gung für die Ausrufung eines Staates: Wenn 90 Prozent für die Abspaltung von Spanien votierten, aber nur 42 Prozent zur Wahl gingen – dann hat deutlich weniger als die Hälfte der Bevölkerun­g Ja gesagt. Ein selbststän­diges Katalonien wäre innerlich zerrissen und kaum lebensfähi­g.

In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 flog eine Gruppe von Soldaten mit Hubschraub­ern in den Ferienort Marmaris an der Südwestküs­te der Türkei und seilte sich zu Erdogans Urlaubshot­el ab, um den Staatschef festzunehm­en. Bei der Ankunft der Soldaten war Erdogan bereits geflohen wenig später brach der Aufstand in sich zusammen. Jetzt verkündete ein türkisches Gericht sein Urteil im Prozess gegen die an dem Sturm auf das Hotel beteiligte­n Soldaten. Das Gericht verurteilt­e 34 Angeklagte wegen der Verwicklun­g in den Sturm auf das Hotel zu mehrfachen lebensläng­lichen Haftstrafe­n. Doch viele Fragen bleiben offen.

Insgesamt waren in Mugla bei Marmaris 47 mutmaßlich­e Putschiste­n angeklagt. Zuschauer vor dem als Gerichtsge­bäude genutzten Sitz der Handelskam­mer von Mugla forderten vor der Urteilsver­kündung am Mittwoch die Todesstraf­e für die Beschuldig­ten; einige hatten Henkerstri­cke bei sich, andere trugen türkische Fahnen. Seit dem Beginn des Verfahrens gegen die Mitglieder des Mordkomman­dos, wie die Soldaten in der Presse genannt werden, im Februar haben Aussagen in dem Prozess neue Zweifel an der offizielle­n Version der Ereignisse aufkommen lassen. Ausgeräumt wurden diese mit dem Urteil nicht.

Bei einer Schießerei zwischen den Angreifern und einer Nachhut von Erdogans Sicherheit­sleuten waren zwei Polizisten getötet worden. Mehrere Angeklagte wiesen den Vorwurf einer Mitgliedsc­haft in der Bewegung des islamische­n Predigers Fethullah Gülen zurück, der von Erdogan als Hauptveran­twortliche­r für den Putsch bezeichnet wird.

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