Der Inhaftierten drohen bis zu 20 Jahre Gefängnis
mit dem Freundeskreis ins Kornhaus eingeladen. Doch die Musik steht im Hintergrund. Das Schicksal der Journalistin, ihres Mannes und des zweieinhalbjährigen Sohnes sind wichtiger. Der grüne Abgeordnete Jürgen Filius, der sich beim Auswärtigen Amt um Informationen bemüht, ist unter den Zuhörern. Die frisch gewählten Bundestagsabgeordneten aus Ulm und Neu-Ulm dagegen sind der Einladung nicht gefolgt.
Tolu, die für eine Radiostation und die linksgerichtete Nachrichtenagentur Etha arbeitete, ist seit dem 5. Mai im Frauengefängnis Bakirköy in Haft. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis, die laut Tolus Anwältin Kader Tonç gemäß den geltenden Anti-Terror-Gesetzen um weitere fünf Jahre verlängert werden könnten. Der zweieinhalbjährige Sohn Serkan lebt mit seiner Mutter im Gefängnis, der Ehemann und Vater, Suat Corlu, wurde ebenfalls verhaftet und ist seit April in Haft.
Im Kornhaus führt Frank Wiesler vom Ulmer SWR-Studio durchs Programm. Immer wieder kommt die Ohnmacht gegenüber der Türkei zur Sprache, die Willkür des Regimes. Und es gibt die Forderung, in der Donaustadt, „der internationalen Stadt“, wie Oberbürgermeister Gunter Czisch sagt, den „respektvollen und friedvollen Umgang miteinander“zu pflegen. Neben den politischen gibt es emotionale Momente. Ali Riza Tolu, der Vater, schildert, wie er für seine Tochter und den Enkel fast jeden Tag unter- ist. Der 58-Jährige, der seinen Ruhestand in seiner Heimat im Osten der Türkei verbringen wollte, pendelt seit Ende April zwischen Haftanstalten, der Wohnung seiner Tochter in Istanbul, Ministerien und Neu-Ulm hin und her. „Ich stehe hinter meiner Tochter in allem, was sie tut, mit allem, was ich habe. Auch wenn ich es manchmal mehr als satt habe, ziehe ich das durch. Es erfüllt mich mit Stolz, an ihrer Seite stehen zu können“, sagt er.
Im Publikum sitzen auch Lehrer des Anna-Essinger-Gymnasium, auf dem Mesale Tolu ihr Abitur abgelegt hat. Als eine Grußbotschaft aus dem Gefängnis verlesen wird, wird es ruhig im Saal. Erinnerungen an die ehemalige Schülerin werden wach: „Ihre Zivilcourage und ihr jetziges Eintreten für Freiheit und Demokratie entspricht auch unserem Wertekanon und unseren schulischen Bildungszielen“, hatten die Lehrer vor einigen Wochen formuliert. Sachlich wird es, als Moderator Wiesler Christian Mihr, den Geschäftsführer der Organisation „Reporter ohne Grenzen“(ROG) befragt. Auch Mihr fordert die türkische Justiz auf, Tolu sofort freizulassen. „Die Staatsanwaltschaft hat in dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft keinen glaubhaften Beleg präsentiert, um die absurden Anschuldigungen gegen Mesale Tolu zu stützen“, sagt Mihr: „Die Türkei muss Mesale Tolus unwürdige politische Geiselhaft endlich beenden.“Er werde beim Prozessauftakt vor Ort sein.
Immer wieder fällt an diesem Abend das Wort „Geisel“. Tolu sei eine „Geisel des türkischen Staatschefs Erdogan“, argumentieren Experten schon seit Monaten. Erdogan brauche Druckmittel gegenüber der deutschen Regierung, damit diese angebliche Unterstützer des Putwegs sches ausliefere. Tolu selbst betont in einer Botschaft, sie werde nicht zulassen, im Tausch gegen eine ausgelieferte Person freigelassen zu werden. Daher sei es, wie Anwältin Tonç sagt, nicht verwunderlich, dass Beweise gegen Tolu fehlen: „Seit Vorlage der Anklageschrift ist kein einziges Beweismittel mehr zu den Akten hinzugekommen“, berichtet sie. Für Tonç sind sowohl die Verzögerung der Anklageschrift als auch der Beschluss, mit geheimen Akten zu operieren, rechtswidrig und zeigen, dass ein politisches Verfahren vorläge: „Die Türkei ist ein großes Gefängnis für Journalisten.“
In Ulm geht ein Abend zu Ende, der von Politik, Persönlichem und Emotionen geprägt ist. Für die Familie dankt Vater Ali Riza Tolu: „Wir haben echte Solidarität erlebt! Türken, Kurden, Deutsche: Wir kämpfen weiter und wir kämpfen zusammen.“
In einigen Jahren wird der 1942 von Walt Disney verfilmte Kinderbuch-Klassiker „Bambi“hundert Jahre alt. Als Kind fürchtete sich der Bücherwurm trotz Happy End vor der aufregenden und traurigen Geschichte, in der Bambi lebensbedrohliche Situationen und den frühen Tod seiner Mutter überstehen muss und am Ende sogar Vater von Zwillingen wird.
Lang war die ungeliebte Geschichte aus Bücherwurms Kopf verdrängt – bis Bücherwurm heute Morgen in seine Küche kam und die am Fenster stehende Kaffeemaschine in Gang setzen wollte. Er rieb sich ungläubig die Augen. War da eine frühmorgendliche Fata Morgana? Ein junges Reh stand vor dem Küchenfenster in Bücherwurms Garten und naschte zwischen der herbstlichen Weinrebe und dem Gartenbänkchen vom letzten frischen Grün und von ein paar Blumen. Die Fata Morgana verschwand aber nicht – vielmehr tauchte hinter einer Eibe ein zweites junges Reh auf.
Kehren Bambis Zwillinge in sein Leben zurück? Das Buch – in dem Bambi übrigens tatsächlich ein junges Reh ist und nicht, wie im Disneyfilm, ein Hirsch – wurde vor langer Zeit aussortiert. Den echten beiden Jungtieren aber wünscht der Bücherwurm ein weniger aufregendes Leben in der Nähe seines Gartens – und hofft auf ein Wiedersehen beim Kaffeekochen. Schwere Verletzungen erlitten hat ein 74-Jähriger am Samstagnachmittag. Der Senior war mit einem Schubkarren auf einem Feldweg am Ulmer Eichenplatz unterwegs. Zur gleichen Zeit befuhr diesen Weg ein Kleinlaster, allerdings rückwärts – und erfasste den Fußgänger. Dieser stürzte zu Boden und geriet teilweise unter das Fahrzeug. Hierbei wurde er so schwer verletzt, dass er in eine Ulmer Klinik gebracht werden musste. Den Lkw-Fahrer erwartet nun ein Strafverfahren. (az)