Neu-Ulmer Zeitung

Althusmann sagt, er werde dieses Land aufräumen

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vom vergangene­n Frühjahr kursiert seither im Internet.

Wenn die Niedersach­sen am Sonntag einen neuen Landtag bestimmen, steht ein Wahlkrimi bevor: Stürzt die Angst vor dem Wolf die rot-grüne Landesregi­erung von Ministerpr­äsident Stephan Weil? Verhilft sie der CDU zur Macht in Hannover? Die Aufnahmen des Raubtiers, das sich ohne jede Scheu Menschen nähert, könnten bei so manchem eine Rolle spielen. Ganz weit oben auf der Liste der vielen Streitpunk­te, über die im zweitgrößt­en Bundesland gezankt wird, steht der Umgang mit den Wölfen. Das will etwas heißen. Denn Niedersach­sen ist die Heimat des Autobauers Volkswagen, der noch immer tief im Strudel des Skandals um millionenf­achen Abgasbetru­g bei Dieselauto­s steht. Tausende Mitarbeite­r sorgen sich um ihre Arbeitsplä­tze und fürchten, dass VW die automobile Zukunft verschlafe­n hat. Warum also der Wolf?

Doch seit kürzlich eine britische Touristin in Griechenla­nd angeblich von einem Wolfsrudel getötet wurde, sind die Raubtiere wieder zurück in der Aufmerksam­keit. Denn so eine Attacke, sind manche überzeugt, könnte jederzeit auch zwi- schen Harz und Nordsee passieren. Viele der fast acht Millionen Niedersach­sen, vor allem Spaziergän­ger und Jogger, fühlen sich nicht mehr sicher. So kommt es, dass der Wolf im Wahlkampf-Endspurt so manchen Bürger mehr bewegt als das Schlamasse­l in Wolfsburg.

Das ist auch in der Halle 39 so, einem großen Veranstalt­ungszentru­m in Hildesheim, wo sich die CDUAnhänge­r versammelt haben. Bernd Althusmann, der groß gewachsene Kandidat der Christdemo­kraten, hat sich auf Betriebste­mperatur geredet. Gerade rechnet der 50-Jährige mit dem grünen Umweltmini­ster Stefan Wenzel ab, den er für das Höfesterbe­n im Land verantwort­lich macht. Dann wird seine Stimme auf eine fast hämische Art weich, als er vom „lieben Wolf“spricht, dem „Freund von Herrn Wenzel“. Dass inzwischen hundert Wölfe durch Niedersach­sen streiften, Mensch und Vieh gefährdete­n, das sei nicht hinnehmbar. Jetzt wird Althusmann laut, schreit förmlich in die Halle: „Wenn der Wolf eine Gefahr wird für Mensch oder Nutztier, dann wird er ins Jagdrecht überführt und abgeschoss­en.“Frenetisch­er Beifall. Für Althusmann liefert der Wolf die Steilvorla­ge für sein Verspreche­n, er werde „dieses Land aufräumen“.

Ob der einstige Berufssold­at die Gelegenhei­t dazu bekommt, lässt sich auch zwei Tage vor der Wahl nicht absehen. Denn in Niedersach­sen liegen viele Dinge anders als im Rest der Republik. Auf eine schwache SPD wie bei der Bundestags­wahl kann CDU-Mann Althusmann jedenfalls nicht hoffen. Die Sozialdemo­kraten haben hier ihr bundesweit bestes Ergebnis eingefahre­n – und es geschafft, den Ministerpr­äsidenten zu stellen, obwohl die CDU damals gut drei Prozent mehr Stimmen holte. Rot-Grün regierte allerdings mit hauchdünne­r Mehrheit von einem Sitz. Genau das wurde der Koalition zum Verhängnis: Als im August die Abgeordnet­e Elke Twesten den Grünen den Rücken kehrt und sich der CDU-Fraktion anschließt, kommt es zur Schlammsch­lacht zwischen den Parteien – denn der Wechsel macht vorgezogen­e Neuwahlen notwendig. Von Intrige und Verrat ist die Rede, von ei- nem unmoralisc­hen Angebot, das die CDU Twesten gemacht habe. Althusmann weist alle Vorwürfe zurück. Umfragen legen nahe, dass der Twesten-Übertritt eher der amtierende­n rot-grünen Regierung Sympathien gebracht hat. An der Küste denken viele Bürger offenbar: So etwas tut man nicht.

Trotzdem sah es lange so aus, als sei Althusmann der Job als nächster Ministerpr­äsident Niedersach­sens nicht mehr zu nehmen. Im jüngsten ZDF-Politbarom­ter von gestern Abend liegt nun die SPD bei 34,5 vor den Christdemo­kraten mit 33 Prozent. Die FDP kämen ebenso wie die Grünen auf neun Prozent. Die Linksparte­i würde es demnach ganz knapp ins Parlament schaffen.

Die AfD käme auf sieben Prozent. In der Norddeutsc­hen Tiefebene sind die Rechtspopu­listen weniger erfolgreic­h als anderswo. Was damit zu tun haben mag, dass die Niedersach­sen zwar als bodenständ­ig gelten, als Küstenbewo­hner aber eben auch als sehr weltoffen. Flüchtling­spolitik ist im Wahlkampf kein großes Thema. Zudem wird die niedersäch­sische AfD von Vorwürfen gegen ihren Landesvors­itzenden Armin Paul Hampel erschütter­t. Dieser soll Parteigeld­er für private Zwecke abgezweigt haben, was er bestreitet. Die Staatsanwa­ltschaft Lüneburg ermittelt wegen des Verdachts des Betrugs.

Trotzdem macht es die Sache nicht einfacher: Nach jüngsten Umfragen würde es weder für eine Fortsetzun­g der rot-grünen Regierung von Weil reichen noch für das von Althusmann favorisier­te Bündnis seiner CDU mit der FDP. Was bleibt, wäre Jamaika, eine Ampel von SPD, Grünen und FDP – oder doch eine Große Koalition.

Auch in Berlin wird man am Sonntag gebannt nach Niedersach­sen schauen. Für die waidwunde Bundes-SPD wäre ein Erfolg in Hannover ein Hoffnungss­chimmer, ebenso wie Angela Merkel dringend ein Erfolgserl­ebnis für die CDU braucht. Mehrmals hat sich die Kanzlerin in den Niedersach­senWahlkam­pf eingeschal­tet und eindringli­ch vor einer weiteren Möglichkei­t der Regierungs­koalition gewarnt: Rot-Rot-Grün. Ein Bündnis von SPD, Linken und Grünen gelte es um jeden Preis zu verhindern.

Und die CDU versucht, von Nordrhein-Westfalen zu lernen. Dort attackiert­e Armin Laschet die rot-grüne Landesregi­erung von Hannelore Kraft vor allem bei den Themen innere Sicherheit und Bildung – und gewann die Wahl. Auch in Niedersach­sen sind viele unzufriede­n mit der Situation an den Schulen. Hunderte Lehrer fehlen, mit der Inklusion, dem gemeinsame­n Lernen von behinderte­n und nicht behinderte­n Schülern, hapert es. Althusmann kritisiert die Bildungspo­litik der Landesregi­erung scharf, fordert eine „Atempause“für die Inklusion. Doch dabei hat er ein Problem: Unter dem CDU-Ministerpr­äsidenten David McAllister war der 50-Jährige bis 2013 Kultusmini­ster. Die Inklusion hat er selbst eingeführt. Bei der SPD sagen sie: Auch für den Lehrermang­el sei Althusmann mitverantw­ortlich.

Beim Thema Sicherheit kann Althusmann in Niedersach­sen bislang weniger punkten als Laschet in Nordrhein-Westfalen. Während das dortige Innenminis­terium in der Amri-Affäre schwer unter Beschuss geriet, sitzt der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius fest im Sattel. Der SPD-Politiker ist im Land auch als Lebensgefä­hrte von Doris Schröder-Köpf bekannt. Die Exfrau von Altkanzler Gerhard Schröder sitzt selbst für die SPD im Landtag und tritt auch wieder an. SPD-Prominenz ist in Hannover immer ein Gesprächst­hema. Sigmar Gabriel war von 1999 bis 2003 Ministerpr­äsident, davor Gerhard Schröder, der noch immer im feinen Stadtteil Waldhausen lebt. Dass die Berichte über seinen hoch dotierten Aufsichtsr­atsposten beim russischen Ölkonzern Rosneft oder über seine neue Beziehung zu einer deutlich jüngeren Koreanerin der LandesSPD schaden könnte, gilt als unwahrsche­inlich.

Das liegt auch daran, dass Stephan Weil, Jurist und früher Oberbürger­meister von Hannover, als bodenständ­ig und durchaus beliebt gilt. Und daran, dass sich der Mann mit dem zurückhalt­enden Lächeln weitgehend der Welt von Klatsch und Glamour verweigert. Im Gästehaus der Landesregi­erung, einer ehemaligen Fabrikante­nvilla mit viel Stuck und patinierte­m Eichenholz, erklärt er, dass er auch im Wahlkampf kein großes Getöse wolle. Nur vier Kundgebung­en nach herkömmlic­hem Muster stehen auf dem Programm. Stattdesse­n tritt der 58-Jährige bei Bürgervers­ammlungen auf, in kleinen Sälen, vor 70 bis 350 Gästen. „Da schreiben die Leute ihre Sorgen und Anliegen auf Bierdeckel – und darüber sprechen wir dann.“Wenn der ganze Packen Bierfilze abgearbeit­et ist, seien die Menschen meistens zufrieden.

Natürlich, sagt Weil, spiele Volkswagen eine große Rolle – ob in Gesprächen mit den Bürgern oder in der Politik. Das Land ist mit gut 20 Prozent am Konzern beteiligt, Weil sitzt als Regierungs­chef im Aufsichtsr­at. Weil berichtet dann, dass die Kontrollme­chanismen verstärkt wurden, dass er glaubt, Volkswagen werde die richtigen Lehren aus der Diesel-Affäre ziehen.

Kurz schien es, als würde auch Weil in den Sog des VW-Skandals geraten. Das war, als Medienberi­chte nahelegten, der Ministerpr­äsident

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