Leitartikel
Der Sieg in Niedersachsen ist ein persönlicher Erfolg des populären Ministerpräsidenten Weil. Mit der CDU Angela Merkels geht es weiter bergab
Jede Landtagswahl hat ihre eigenen Gesetze, jede ist geprägt von heimischen Köpfen und Problemen. Die NiedersachsenWahl wurde in besonderem Maße durch landespolitische Faktoren entschieden. Im Bund liegt die SPD darnieder, in Niedersachsen gelingt ihr ein kräftiges Lebenszeichen – dank dem populären, soliden Ministerpräsidenten Weil, der das Land mit einer famosen Aufholjagd für die SPD verteidigt hat.
So erstaunlich dieser Triumph Weils ist, so mager diesmal die Ergebnisse der höher gewetteten, in den Schatten des Spitzenduells geratenen kleinen Parteien ausfallen: Auch dieser erste bundespolitische Stimmungstest bestätigt im Wesentlichen, was sich bei der Bundestagswahl vor drei Wochen zugetragen hat. Die große Zeit der im 30-Prozent-Turm eingemauerten Volksparteien ist vorbei. Die FDP ist wieder da und bildet zusammen mit CDU, SPD und Grünen eine breite, vielfältige Mitte. Die AfD ist am rechten Rand zur parlamentarischen Größe geworden und war auch in Niedersachsen, wo sie personell und organisatorisch weit schlechter dasteht als anderswo und wo die angestammten Milieus schwerer zu knacken sind für eine Protestpartei, nicht zu stoppen. Da die gleichfalls populistische Linkspartei trotz der Pleite im hohen Norden weiter Gehör finden wird, verfestigt sich die Ausbildung eines Sechs-Parteien-Systems. Die herkömmlichen Lagergrenzen, die gerade auch in Niedersachsen (RotGrün oder Schwarz-Gelb) stark ausgeprägt sind, verschwimmen. Eine Große Koalition geht immer noch, und darauf könnte es nun auch in Hannover hinauslaufen. Demokratisch spannender (und instabiler) sind kleinere Bündnisse mit drei Partnern, die künftig eher die Regel als die Ausnahme sein werden.
Für die schwer gebeutelte SPD, die heuer vier Wahlen hintereinander verlor und im Bund auf deprimierende 20 Prozent abstürzte, ist dieser Wahltag ein Hoffnungsschimmer. Mit Abstand stärkste Kraft: Das ist ein persönlicher Erfolg Weils, der trotz seines Rufs als etwas blasser Verwalter einen mitreißenden Wahlkampf hingelegt hat und im direkten Vergleich mit seinem CDU-Herausforderer Althusmann die Nase klar vorn hatte. Weil hat eine Wahl gewonnen, die schon verloren schien – gegen eine CDU, mit der es im Land seit Ende August ähnlich steil bergab ging wie mit der ganzen Union. Das hatte landespolitische Ursachen wie die Schwäche Althusmanns oder die Empörung über die grüne Überläuferin Twesten, wegen der die rotgrüne Koalition die hauchdünne Mehrheit verlor. Weil hat daraus eine anrührende Story über schnöden Verrat gemacht. Aber natürlich geht diese Niederlage auch auf das Konto der CDU-Vorsitzenden Merkel. Der Sinkflug der Landespartei ging mit der Talfahrt der CDU/CSU einher; Althusmann hatte Gegenwind aus Berlin und München. Merkels geradezu stoische Hinnahme der massiven Stimmenverluste dürfte den Frust vieler Stammwähler eher noch befördert haben. Die Rückeroberung des Flächenlandes Niedersachsen ist gescheitert. Die Kanzlerin geht geschwächt in die „Jamaika“-Sondierungsgespräche mit den Grünen und der FDP, die nun ihre „roten Linien“noch kräftiger und selbstbewusster aufmalen dürften.
Martin Schulz hat eine gute Chance, als SPD-Vorsitzender des Übergangs an Bord bleiben zu können. Der Erfolg in Niedersachsen ändert allerdings nichts daran, dass die SPD ihr historisches Tief ohne eine inhaltliche und personelle Erneuerung nicht überwinden kann. Macht sie so weiter wie bisher oder rückt sie gar nach links, bleibt das Kanzleramt auf lange Zeit ein schöner Traum. Der Pragmatiker Weil hat gezeigt, dass die SPD noch Wahlen gewinnen kann – in der Mitte. Zu „Und alle schauen hin“(Die Dritte Seite) vom 10. Oktober: Respekt vor anderen setzt den Respekt vor sich selbst und seiner eigenen Intimsphäre voraus. Die aber immer mehr verloren geht, indem man öffentlich beim Telefonieren mit dem Handy und in den sogenannten sozialen Netzwerken selbst seine intimsten Verhaltensweisen und Gefühle allen preisgibt und sich in Selfies immer mehr zu einem Objekt macht, das sich öffentlichkeitswirksam darstellen muss. Da wird auch der Mitmensch zu einem Objekt, der nicht mehr als Mensch, sondern als öffentlich verwertbarer Gegenstand gesehen wird ohne zu schützende Privatsphäre.
Schwabmünchen Zum Interview „,Wir brauchen mehr Pflegekräfte‘“(Bayern) vom 11. Okto ber: Ja, es stimmt: 2635 Euro Grundgehalt gleich nach der Ausbildung sind viel Geld für einen jungen Menschen. Verschwiegen wird: Um alle Zulagen erhalten zu können, muss man schon alle drei Schichten (Früh-, Spät-, Nacht-) ableisten. Das macht die Planung des Privatlebens auch nicht immer leicht. Und natürlich dürfen wir Pflegekräfte gerne auch zu Hause angerufen werden, wenn, und das ist gar nicht so selten, eine Kollegin ausfällt.
Dann kommen wir natürlich gerne, nachdem wir unsere Privatverabredung abgesagt, den Sportverein ausgelassen, die Kinderbetreuung (es gibt ja nicht nur Berufsanfänger!) organisiert haben, um dann, gegebenenfalls in Unterzahl, wieder alles zu geben, dass die uns anvertrauten Patienten bestmöglich versorgt werden. Denn das ist ja unsere Aufgabe, und für die haben wir uns auch gerne und freiwillig entschieden. Und die wenigsten wohl wegen der „Aufstiegschancen“oder dem tollen Gehalt. Aber wenn jemand wie Herr Hasenbein meint, unser Beruf ist ja auch ein „erfüllender Dienst am Nächsten“, der hat die Entwicklung der Pflege seit Florence Nightingale verpennt: Wir sind Profis, keine Frondienstleister! Schade nur, dass wir so wenig Unterstützung aus der Bevölkerung erhalten. Ich freue mich über jede Anerkennung und Zusprache in meinem Berufsalltag. Bessere Arbeitsbedingungen erhalte ich so aber auch nicht.
Bobingen Zum Leitartikel „Das Buch ist wichtiger als das Smartphone“von Wolfgang Schütz vom 11. Oktober: Den Ausführungen von Herrn Schütz kann ich nur zustimmen, allerdings sollte die angesprochene Problematik etwas weiter gefasst werden. Auch zu Zeiten, als das Smartphone noch nicht mal in der Science-Fiction „erfunden“war, konnten viele Schüler den Sinn dessen, was sie gelesen hatten, nicht erfassen. Schon damals beklagten auch die Universitäten die mangelhafte Studierfähigkeit vieler Abiturienten. Ich habe in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts unzählige Nachhilfestunden in naturwissenschaftlichen Fächern, vor allem Mathematik, gegeben. Dabei lagen die allermeisten Schwierigkeiten nicht in den viel gerügten „Formeln“o. Ä. begründet, sondern eben in der Unfähigkeit, überhaupt den Text der gestellten Aufgabe zu begreifen, auch wenn dies nur Dreizeiler waren. Wenn ich geschafft hatte, dem Schüler dies beizubringen, hatte ich mein Ziel schon fast erreicht.
Erkheim Ebenfalls dazu: Der wunderbare Leitartikel von Wolfgang Schütz spricht mir aus dem Herzen, weil er, hervorragend argumentierend, dem „guten alten Buch“zu seinem Recht im Klassenzimmer verhilft. Ich erlaube mir eine Ergänzung: Auch der Lehrer ist wichtiger als das Smartphone. Und der gute alte Frontalunterricht sollte nicht ganz den digitalen Errungenschaften zum Opfer fallen. Es gibt nämlich sehr viele Lehrerinnen und Lehrer, die etwas zu sagen haben und die, vor der Klasse stehend, Grundlegendes verständlich und anschaulich zu erklären vermögen (sogar die gute alte Kreide leistet da bisweilen ihren Dienst).
Neusäß Zu „Eine Reform für mehr Medaillen“(Sport) vom 12. Oktober: Eine Ära ohne Medaillen im zweistelligen Bereich ist für das Ego eines Sportfunktionärs natürlich ein Desaster. Lieber sonnt man sich im kurzfristigen Erfolg weniger Weltklasse-Athleten, anstatt in die Nachwuchsförderung zu investieren. Der Anfang vom Ende.
Königsbrunn