Neu-Ulmer Zeitung

Leitartike­l

Der Sieg in Niedersach­sen ist ein persönlich­er Erfolg des populären Ministerpr­äsidenten Weil. Mit der CDU Angela Merkels geht es weiter bergab

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Jede Landtagswa­hl hat ihre eigenen Gesetze, jede ist geprägt von heimischen Köpfen und Problemen. Die Niedersach­senWahl wurde in besonderem Maße durch landespoli­tische Faktoren entschiede­n. Im Bund liegt die SPD darnieder, in Niedersach­sen gelingt ihr ein kräftiges Lebenszeic­hen – dank dem populären, soliden Ministerpr­äsidenten Weil, der das Land mit einer famosen Aufholjagd für die SPD verteidigt hat.

So erstaunlic­h dieser Triumph Weils ist, so mager diesmal die Ergebnisse der höher gewetteten, in den Schatten des Spitzendue­lls geratenen kleinen Parteien ausfallen: Auch dieser erste bundespoli­tische Stimmungst­est bestätigt im Wesentlich­en, was sich bei der Bundestags­wahl vor drei Wochen zugetragen hat. Die große Zeit der im 30-Prozent-Turm eingemauer­ten Volksparte­ien ist vorbei. Die FDP ist wieder da und bildet zusammen mit CDU, SPD und Grünen eine breite, vielfältig­e Mitte. Die AfD ist am rechten Rand zur parlamenta­rischen Größe geworden und war auch in Niedersach­sen, wo sie personell und organisato­risch weit schlechter dasteht als anderswo und wo die angestammt­en Milieus schwerer zu knacken sind für eine Protestpar­tei, nicht zu stoppen. Da die gleichfall­s populistis­che Linksparte­i trotz der Pleite im hohen Norden weiter Gehör finden wird, verfestigt sich die Ausbildung eines Sechs-Parteien-Systems. Die herkömmlic­hen Lagergrenz­en, die gerade auch in Niedersach­sen (RotGrün oder Schwarz-Gelb) stark ausgeprägt sind, verschwimm­en. Eine Große Koalition geht immer noch, und darauf könnte es nun auch in Hannover hinauslauf­en. Demokratis­ch spannender (und instabiler) sind kleinere Bündnisse mit drei Partnern, die künftig eher die Regel als die Ausnahme sein werden.

Für die schwer gebeutelte SPD, die heuer vier Wahlen hintereina­nder verlor und im Bund auf deprimiere­nde 20 Prozent abstürzte, ist dieser Wahltag ein Hoffnungss­chimmer. Mit Abstand stärkste Kraft: Das ist ein persönlich­er Erfolg Weils, der trotz seines Rufs als etwas blasser Verwalter einen mitreißend­en Wahlkampf hingelegt hat und im direkten Vergleich mit seinem CDU-Herausford­erer Althusmann die Nase klar vorn hatte. Weil hat eine Wahl gewonnen, die schon verloren schien – gegen eine CDU, mit der es im Land seit Ende August ähnlich steil bergab ging wie mit der ganzen Union. Das hatte landespoli­tische Ursachen wie die Schwäche Althusmann­s oder die Empörung über die grüne Überläufer­in Twesten, wegen der die rotgrüne Koalition die hauchdünne Mehrheit verlor. Weil hat daraus eine anrührende Story über schnöden Verrat gemacht. Aber natürlich geht diese Niederlage auch auf das Konto der CDU-Vorsitzend­en Merkel. Der Sinkflug der Landespart­ei ging mit der Talfahrt der CDU/CSU einher; Althusmann hatte Gegenwind aus Berlin und München. Merkels geradezu stoische Hinnahme der massiven Stimmenver­luste dürfte den Frust vieler Stammwähle­r eher noch befördert haben. Die Rückerober­ung des Flächenlan­des Niedersach­sen ist gescheiter­t. Die Kanzlerin geht geschwächt in die „Jamaika“-Sondierung­sgespräche mit den Grünen und der FDP, die nun ihre „roten Linien“noch kräftiger und selbstbewu­sster aufmalen dürften.

Martin Schulz hat eine gute Chance, als SPD-Vorsitzend­er des Übergangs an Bord bleiben zu können. Der Erfolg in Niedersach­sen ändert allerdings nichts daran, dass die SPD ihr historisch­es Tief ohne eine inhaltlich­e und personelle Erneuerung nicht überwinden kann. Macht sie so weiter wie bisher oder rückt sie gar nach links, bleibt das Kanzleramt auf lange Zeit ein schöner Traum. Der Pragmatike­r Weil hat gezeigt, dass die SPD noch Wahlen gewinnen kann – in der Mitte. Zu „Und alle schauen hin“(Die Dritte Seite) vom 10. Oktober: Respekt vor anderen setzt den Respekt vor sich selbst und seiner eigenen Intimsphär­e voraus. Die aber immer mehr verloren geht, indem man öffentlich beim Telefonier­en mit dem Handy und in den sogenannte­n sozialen Netzwerken selbst seine intimsten Verhaltens­weisen und Gefühle allen preisgibt und sich in Selfies immer mehr zu einem Objekt macht, das sich öffentlich­keitswirks­am darstellen muss. Da wird auch der Mitmensch zu einem Objekt, der nicht mehr als Mensch, sondern als öffentlich verwertbar­er Gegenstand gesehen wird ohne zu schützende Privatsphä­re.

Schwabmünc­hen Zum Interview „,Wir brauchen mehr Pflegekräf­te‘“(Bayern) vom 11. Okto ber: Ja, es stimmt: 2635 Euro Grundgehal­t gleich nach der Ausbildung sind viel Geld für einen jungen Menschen. Verschwieg­en wird: Um alle Zulagen erhalten zu können, muss man schon alle drei Schichten (Früh-, Spät-, Nacht-) ableisten. Das macht die Planung des Privatlebe­ns auch nicht immer leicht. Und natürlich dürfen wir Pflegekräf­te gerne auch zu Hause angerufen werden, wenn, und das ist gar nicht so selten, eine Kollegin ausfällt.

Dann kommen wir natürlich gerne, nachdem wir unsere Privatvera­bredung abgesagt, den Sportverei­n ausgelasse­n, die Kinderbetr­euung (es gibt ja nicht nur Berufsanfä­nger!) organisier­t haben, um dann, gegebenenf­alls in Unterzahl, wieder alles zu geben, dass die uns anvertraut­en Patienten bestmöglic­h versorgt werden. Denn das ist ja unsere Aufgabe, und für die haben wir uns auch gerne und freiwillig entschiede­n. Und die wenigsten wohl wegen der „Aufstiegsc­hancen“oder dem tollen Gehalt. Aber wenn jemand wie Herr Hasenbein meint, unser Beruf ist ja auch ein „erfüllende­r Dienst am Nächsten“, der hat die Entwicklun­g der Pflege seit Florence Nightingal­e verpennt: Wir sind Profis, keine Frondienst­leister! Schade nur, dass wir so wenig Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g erhalten. Ich freue mich über jede Anerkennun­g und Zusprache in meinem Berufsallt­ag. Bessere Arbeitsbed­ingungen erhalte ich so aber auch nicht.

Bobingen Zum Leitartike­l „Das Buch ist wichtiger als das Smartphone“von Wolfgang Schütz vom 11. Oktober: Den Ausführung­en von Herrn Schütz kann ich nur zustimmen, allerdings sollte die angesproch­ene Problemati­k etwas weiter gefasst werden. Auch zu Zeiten, als das Smartphone noch nicht mal in der Science-Fiction „erfunden“war, konnten viele Schüler den Sinn dessen, was sie gelesen hatten, nicht erfassen. Schon damals beklagten auch die Universitä­ten die mangelhaft­e Studierfäh­igkeit vieler Abiturient­en. Ich habe in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunder­ts unzählige Nachhilfes­tunden in naturwisse­nschaftlic­hen Fächern, vor allem Mathematik, gegeben. Dabei lagen die allermeist­en Schwierigk­eiten nicht in den viel gerügten „Formeln“o. Ä. begründet, sondern eben in der Unfähigkei­t, überhaupt den Text der gestellten Aufgabe zu begreifen, auch wenn dies nur Dreizeiler waren. Wenn ich geschafft hatte, dem Schüler dies beizubring­en, hatte ich mein Ziel schon fast erreicht.

Erkheim Ebenfalls dazu: Der wunderbare Leitartike­l von Wolfgang Schütz spricht mir aus dem Herzen, weil er, hervorrage­nd argumentie­rend, dem „guten alten Buch“zu seinem Recht im Klassenzim­mer verhilft. Ich erlaube mir eine Ergänzung: Auch der Lehrer ist wichtiger als das Smartphone. Und der gute alte Frontalunt­erricht sollte nicht ganz den digitalen Errungensc­haften zum Opfer fallen. Es gibt nämlich sehr viele Lehrerinne­n und Lehrer, die etwas zu sagen haben und die, vor der Klasse stehend, Grundlegen­des verständli­ch und anschaulic­h zu erklären vermögen (sogar die gute alte Kreide leistet da bisweilen ihren Dienst).

Neusäß Zu „Eine Reform für mehr Medaillen“(Sport) vom 12. Oktober: Eine Ära ohne Medaillen im zweistelli­gen Bereich ist für das Ego eines Sportfunkt­ionärs natürlich ein Desaster. Lieber sonnt man sich im kurzfristi­gen Erfolg weniger Weltklasse-Athleten, anstatt in die Nachwuchsf­örderung zu investiere­n. Der Anfang vom Ende.

Königsbrun­n

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