Raus aus der sozialen Isolation
Schwerhörigkeit kann nicht nur die geistige Fitness beeinträchtigen. Sie kann auch zu Vereinsamung und Depressionen führen. Was Experten empfehlen
„Wir glauben an den Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz im Alter“, sagt die Leiterin der Studie in Hannover, Angelika Illg. „Wenn in bestimmten Arealen des Gehirns weniger Informationen ankommen, beeinträchtigt das die kognitive Leistungsfähigkeit.“Hinzu kommt, dass ein sozialer Rückzug den geistigen Abbau beschleunigt. Auch deshalb sollten Menschen, die an einer beginnenden Schwerhörigkeit leiden, möglichst bald ein Hörgerät tragen, betont die Medizinpädagogin.
Doch eben daran hapert es. In Deutschland leiden nach Schätzungen der Deutschen Seniorenliga mehr als 16 Millionen Menschen unter Schwerhörigkeit. „Aber nur ein Drittel davon hat ein Hörgerät“, sagt Jäger-Flor. „Und wiederum nur ein Bruchteil davon trägt das Hörgerät auch regelmäßig.“
Das hat verschiedene Gründe. Eine große Rolle spielt, dass viele Betroffene ihre Hörbeeinträchtigung zunächst nicht bemerken und vornherein Situationen, in denen sie von anderen angesprochen werden könnten. Doch solche Strategien helfen auf Dauer nicht – vor allem dann, wenn die Schwerhörigkeit schlimmer wird. Deshalb empfiehlt Norbert Böttges: „Je früher man sich damit vertraut macht, dass man eine Hörbehinderung hat, desto besser. Die Einschränkung wird dann eher zu einem Teil der eigenen Person und man lernt, damit zu leben.“Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg dahin ist der Gang zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt, um das Gehör testen zu lassen. Bestätigt sich der Verdacht auf eine Hörschädigung, ist es wichtig, sich ein geeignetes Hörgerät anpassen zu lassen und es regelmäßig zu tragen. Ohne Hörhilfe kann es langfristig nämlich zu einer Hörentwöhnung kommen: Die Areale des Gehirns, die für das Hören zuständig sind, drohen zu verkümmern, sodass es verlernt, Signale richtig einzuordnen.
Allerdings helfen Hörgeräte – anders als Lesebrillen – meist nicht sofort. In der Regel bedarf es eines langen Trainings, um damit gut zurechtzukommen. „Man darf keine Wunder erwarten. Es kann Monate dauern, bis man die optimale Einstellung gefunden hat“, sagt JägerFlor, die selbst seit vielen Jahren auf Hörhilfen angewiesen ist. „Das erfordert sehr viel Geduld.“Aus Enttäuschung darüber, mit dem Gerät nicht auf Anhieb gut zu hören, verstaubt es bei einigen Betroffenen in der Schublade.
Doch ein Hörgerät zu tragen löst nur einen Teil der Probleme. Wichtig ist auch, dass hörgeschädigte Menschen Strategien entwickeln, um im sozialen Umfeld mit der Einschränkung gut leben zu können. Als ersten Schritt empfiehlt JägerFlor, eben nicht darauf zu hoffen, dass niemand die Schwierigkeiten bemerkt, sondern offen darüber zu sprechen und bei anderen Verständnis zu wecken. „Sie können darauf hinweisen, dass es Ihnen hilft, wenn man langsamer und deutlicher mit Ihnen spricht“, schreibt sie in ihrem neu erschienenen Ratgeber „DazugeHören“. Meist ist Menschen mit intaktem Gehör nämlich nicht klar, dass Schwerhörige auch mit Hörgerät nicht „normal“hören.