Neu-Ulmer Zeitung

Und da, ein meterlange­r, schräger Schnitt im Zaun

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fehlte eine hochmodern­e Waffe!

Karl Heinz Grontzki, 75, kann sich an diesen Tag noch gut erinnern. „Es herrschte eine große Aufregung und wir waren entsetzt.“Der Neuburger war damals Frachtgrup­penleiter auf dem Fliegerhor­st, das Sidewinder-Lager gehörte zu seiner Staffel. Schnell machten Verschwöru­ngstheorie­n die Runde. Nicht nur die Rakete sei während des Kalten Krieges im Ostblock sehr begehrt gewesen, erzählt Grontzki, es gab auch den Verdacht, ein Kampfflugz­eug der Bundeswehr sollte nach Russland entführt werden. Dass tatsächlic­h Spionage hinter dem Diebstahl steckte, wussten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Es dauerte ein Jahr, bis der Militärisc­he Abschirmdi­enst drei Verdächtig­e festnehmen konnte: den Architekte­n Manfred Ramminger, den Starfighte­r-Piloten Wolf-Diethard Knoppe und den polnischen Schlosserm­eister Josef Linowski. Das Trio hatte nicht nur eine gefechtsbe­reite Rakete geklaut, sondern auch zwei Trägheitsn­avigations­geräte für einen Starfighte­r, das Herzstück der Flugzeugel­ektronik – und all das für den russischen Geheimdien­st KGB. Was die Herren 1970 vor dem Oberlandes­gericht in Düsseldorf zum Besten gaben, versetzte die Zuhörer immer wieder in schallende­s Gelächter. Noch nie, so heißt es, hatte ein Spionagepr­ozess einen derart hohen Unterhaltu­ngswert. Selbst Senatspräs­ident Franz Weber kam nicht umhin zuzugeben: „Wenn es nicht so traurig und ernst wäre, müsste man über Ihre Geschichte laut und herzlich lachen.“

Drahtziehe­r des Raketenkla­us war Ramminger. Vor Gericht erzählte der Krefelder, wie man zum Agenten der Sowjets werden kann, wenn man Geld braucht und keines hat. „Ich gebe zu, ich habe nie ganz bescheiden gelebt.“Schwierig wurde dieser Lebenswand­el, als sein Baugeschäf­t pleite ging, er mehrfach den Offenbarun­gseid leistete und seine Schulden sich auf rund 250 000 Mark summierten. Da machte ihm sein Firmenschl­osser Linowski den Vorschlag, „für die Russen zu arbeiten“. Achselzuck­end sagte Ramminger vor Gericht: „Ich konnte mir nicht recht vorstellen, dass die Russen an meiner Arbeit interessie­rt sein könnten. Aber ich dachte mir, schaden kann es auch nicht, sich einmal mit ihnen zu unterhalte­n.“

Zunächst sollte der Architekt den Russen eine Futtermitt­elfabrik planen und bauen – für 200000 Mark. Euphorisie­rt von der Großzügigk­eit seines Verhandlun­gspartners nahm Ramminger auch keinen Anstoß daran, dass die Russen ihn baten, gelegentli­ch militärisc­he Geräte zu besorgen. Helfen könne ihm dabei doch sein Bekannter Knoppe, Starfighte­r-Pilot am Bundeswehr­stützpunkt in Neuburg – also einer, der Zugang zu derlei Apparaten habe. „Mir ist es ein Rätsel, woher die von meiner Bekanntsch­aft mit Knoppe gewusst haben“, sagte Ramminger aus. „Wir kannten uns damals erst flüchtig.“Knoppe hatte dem Architekte­n ein Bauprojekt vermittelt, zusammen spielten sie Skat, machten „mal ein Prösterche­n“. Ramminger erzählte den Russen bereitwill­ig, dass sein Bekannter geschieden sei, ein Pferd halte und sehr viel Geld gut gebrauchen könne. Zurück in Deutschlan­d, köderte er Knoppe mit 20 000 Mark, bei dem Diebstahl mitzumache­n.

Der Pilot war es auch, der in der Nacht des 26. April 1967 mit seinem Wagen in die Sperrzone des Flugplatze­s fuhr. Mit im Kofferraum: Schlosser Linowski, der die Idee zum Kontakt mit den Sowjets hatte. Nach Mitternach­t verließ er sein unbequemes Quartier und marschiert­e über den hell erleuchtet­en Flugplatz. Mit derselben Unbekümmer­theit wie Ramminger erzählte er vor Gericht, wie er mit einer quietschen­den Schubkarre die Halle verließ, darauf die beiden Navigation­sgeräte, die zu schwer zum Tragen waren. Am Zaun wartete Ramminger auf das Diebesgut, das 780000 Mark wert war, und schickte es später per Luftfracht nach Moskau.

Bald erhielt Ramminger einen zweiten Auftrag: Er sollte für den KGB eine Sidewinder-Rakete stehlen. Erneut wurde Knoppe als Bundeswehr-Insider eingeweiht. Dieser wählte auch den perfekten Zeitpunkt für den Beutezug: die Nacht zum 20. Oktober 1967. Als aber der erhoffte Bodennebel ausblieb, verschob er die Aktion um einen Tag. „Da ist es dann besser gegangen“, gab Ramminger vor Gericht unumwunden zu. Das Wetter passte. Und: In jener Nacht waren die Wachhunde des Fliegerhor­stes eingesperr­t, weil auf dem Gelände giftige Köder gegen Ratten ausgelegt worden waren. So patrouilli­erten die Soldaten im dichten Donaunebel ohne ihre vierbeinig­en Wächter.

Auch dieses Mal schickten Ramminger und Knoppe den Polen vor. Während der Pilot auf dem Fliegerhor­st in Stellung ging, stieg Linowski über den Maschendra­htzaun und brach in den Barackenbu­nker ein, in dem die Rakete lagerte – gleich neben dem Petersilie­nbeet des Oberfeldwe­bels. Die 70 Kilo schwere Lenkwaffe konnte er aber allein nicht schleppen, Knoppe kam ihm zu Hilfe. Gemeinsam schulterte­n sie die gefechtsbe­reite Rakete und marschiert­en über den Flugplatz. Draußen wartete Ramminger mit seinem Auto, das sich allerdings als nicht raketenkom­patibel erwies – der Mercedes war zu kurz für das drei Meter lange Geschoss. Kurzerhand schlugen sie die Heckscheib­e ein und schoben die mit einem Teppich umwickelte Rakete ins Auto. So fuhr das Trio unbehellig­t 500 Kilometer weit. Nicht einmal ein Tankwart schöpfte Verdacht wegen des „komischen Dings“, das da aus dem Wagen ragte.

In Krefeld dann zog man sich in Rammingers Garage zurück – wo der Schlosser, der viele Jahre als Bombenents­chärfer gearbeitet hatte, die Sidewinder fachgerech­t zerlegte. Ramminger nutzte den bewährten Weg, um die Rakete seinen Freunden in Moskau zukommen zu lassen: Er packte die Teile in einen Spezialkof­fer, die Lufthansa transporti­erte sie per Luftfracht nach Moskau. Kostenpunk­t: 317 Mark. Den Raketenzün­der überbracht­e Ramminger persönlich dem KGB. Er hatte ihn im Handgepäck.

Drei Tage später flog der Waffendieb­stahl dank der Petersilie­n-Ernte auf – wobei die Führungseb­ene des Geschwader­s anfangs noch die leise Hoffnung hegte, die Rakete könnte „verlegt“worden sein. Das Stammperso­nal des Flugplatze­s wurde zum Suchdienst verdonnert – auch Karl Heinz Grontzki. Alles, was die Männer fanden, war ein gelber Materialan­hänger, wie er an jeder Rakete hing. Offensicht­lich hatte er sich gelöst, als die Rakete durch den Zaun geschmugge­lt worden war. Während der Militärisc­he Abschirmdi­enst

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Foto: Eibner Presse, dpa/ Repros: AZ 50 Jahre ist es her, dass zwei Männer mit einer Rakete auf dem Rücken aus dem Neuburger Fliegerhor­st spazieren konnten, ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Die Re publik machte sich lustig, wie die Karikature­n aus unserer Zeitung zeigen – oder das...
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