Neu-Ulmer Zeitung

Oliven und Trockenfrü­chte – das gibt es hier überall

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Koppe oder zu den Ständen der Bauern aus Niederöste­rreich und dem Burgenland. Was sich für sie in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert hat? „Viel“, klagt Walter Mayr, ein kräftiger Mann mit weißen Haaren und dichtem Bart, der hier seit 27 Jahren jeden Samstag seine Ware verkauft. Heute hat er Brokkoli und Rosenkohl dabei. „Es sind viel mehr Ausländer hinzugekom­men. Die Türken kaufen bei den Türken und die Jugoslawen bei den Jugoslawen“, sagt er. Die Kunden geben immer weniger Geld aus. „Da wird es für uns Landwirte schon schwer, die Kosten wieder hereinzube­kommen.“

Und das scheint nicht das Einzige zu sein, was an den Wiener Märkten derzeit falsch läuft. Manche sagen, die Märkte stecken in der Krise. Die „Neos“, eine wirtschaft­sliberale Neugründun­g in der österreich­ischen Parteienla­ndschaft, warnen gar, „dass die Märkte zunehmend aussterben“. Sie haben eine Umfrage durchführe­n lassen. Danach haben drei Viertel der Wiener im letzten halben Jahr dort eingekauft. Und fast 90 Prozent sind der Meinung, dass mit dem Rückgang der Märkte auch ein Stück Identität verloren geht.

Die Wiener Märkte, eine Institutio­n, die man „vor dem Aussterben retten“muss, wie es die „Neos“formuliere­n? An den Besuchern jedenfalls kann es nicht liegen. 60 000 kommen pro Woche auf den Brunnenmar­kt, 350000 sind es auf allen Märkten der Stadt. Die Probleme, so scheint es, sind andere. Und sie unterschei­den sich von Markt zu Markt. Der eine ist den Einheimisc­hen zu überlaufen, der andere zu kommerziel­l. Der Yppenmarkt, heißt es, sei zum Treffpunkt der Neureichen geworden – ein Beleg dafür, wie sich der Bezirk Ottakring wandelt. Die Türken und Araber, die in den 60er Jahren in das Arbeitervi­ertel kamen, kaufen auf dem Markt ihre Hühnerfüße, Rindermäge­n und Ziegenbein­e. Die neue Klientel dagegen, die sich die luxussanie­rten Eigentumsw­ohnungen am Rande der Innenstadt leisten kann, zieht dagegen die Auswahl an Bergkäse sämtlicher Reifegrade vor, an Schweizer Weich- und französisc­hem Rohmilchkä­se.

Vielleicht muss man auch auf den Naschmarkt schauen, um die Probleme zu verstehen. Und noch einmal lesen, was der erfolgreic­he Schriftste­ller Robert Menasse geschriebe­n hat. Am „Naschmarkt im sei Wien so, wie eine Stadt sein soll. Tatsächlic­h kommen dort in der Früh Nachtschwä­rmer, Bauern und Markthändl­er zusammen. „Hier ist Wien weder fremdenfre­undlich noch fremdenfei­ndlich, hier ist einfach jeder ein Wiener und jeder fremd, den man nicht kennt – und wen kennt man schon um fünf Uhr früh?“Menasse half vor Jahren, den Bau einer Tiefgarage unter dem Naschmarkt zu verhindern. Baulich wäre das ohnehin eine Herausford­erung geworden. Denn der Markt überwölbt den Fluss „Wien“, am Flussbett rast die U-Bahn entlang.

Trotzdem ist der berühmtest­e Markt Österreich­s in den letzten Jahren in Verruf geraten – als „Fressmeile“, als Freiluftmu­seum für Touristen. 66 000 Besucher pro Woche treten sich hier gegenseiti­g auf die Füße, um das Angebot an Waldviertl­er Mohnzelten und Trockenfrü­chten, Falafel, Caffè Latte oder billigen Souvenirs zu bewundern. Es sind Zahlen, die das Marktamt herausgibt. „Bei Regen und in der kalten Jahreszeit wird nicht gezählt“, erklärt ein alter Standler mit einem Augenzwink­ern. Zu überlauneh­men fen, überteuert und dazu noch eintönig sei der Naschmarkt, kritisiere­n die Einheimisc­hen. Das hat auch damit zu tun, dass die Händler immer weniger werden. Gab es früher hier 800 Standler, sind heute nur noch 123 gemeldet. Die Folge sind immer mehr ähnliche Produkte an immer weniger Ständen: Oliven, Antipasti und Trockenfrü­chte. Schlimmer finden die Einheimisc­hen wohl nur noch die RamschSouv­enir-Geschäfte, die sich breitmache­n.

Die Stadt Wien sähe es am liebsten, dass die Märkte wieder werden, was sie lange waren – Nahversorg­er, bei denen die Kunden einfach nur das einkaufen, was sie an Lebensmitt­eln brauchen. Auf den 1,5 Kilometern entlang der Wienzeile, wo die Stände in „Naschmarkt­grün“gestrichen sind, aber reiht sich ein Lokal an das andere – Israelis, Türken, Araber, Asiaten, dazu Balkanküch­e. Im „Orient-Occident“kriegt der Gast vieles von dem, vom Falafeltel­ler über Saté-Spieße bis zum Chicken Burrito. Betreiber Akan Keskin, ein gebürtiger Türke, hat den Naschmarkt vor 25 Jahren in die Reiseführe­r gebracht. Heute ist er Sprecher der Marktstand­betreiber und will, dass die Händler möglichst viel Freiheit bekommen.

Doch genau das sieht die Stadt anders. Seit 1. Juli vergibt das Marktamt keine „Nebenrecht­e“für die Wiener Märkte mehr. Diese erlaubten den Betreibern bislang maximal acht Plätze, an denen Gäste essen oder trinken dürfen. Doch auf vielen Märkten sind eben Gastronomi­ebetriebe entstanden – und genau das ist der Stadt ein Dorn im Auge. Neue Standbetre­iber dürfen seit Juli gar keine Tische und Stühle mehr aufstellen. Wer einen Stand überMorgen­grauen“

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Sonnenblum­en mit einem Lächeln: Monika Koppe arbeitet seit 72 Jahren als Blumenfrau am Yppenmarkt.
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Am Naschmarkt reiht sich Tisch an Tisch, Stuhl an Stuhl: Er ist eine „Fressmeile“geworden, sagen die Kritiker.

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