Leitartikel
Der Jugoslawien-Krieg ist mit dem Urteil gegen Ratko Mladic aufgearbeitet. Vermeintliche Helden entpuppten sich als Mörder. Wie gelingt die Versöhnung?
Es gibt keine Strafe, die Kriegsverbrechen, wie sie Ratko Mladic und andere begangen haben, aufwiegen könnte. Das UN-Tribunal in Den Haag konnte weder trösten, noch dem Bedürfnis nach Rache entsprechen, sondern es musste mit rechtsstaatlichen Mitteln verurteilen. Es musste verhindern, dass die Beschuldigten auch noch als Helden in die Geschichte ihrer Völker eingehen. Mladic, Karadzic und andere – sie sind Mörder, Schlächter, aber ganz sicher keine Heroen, die ihrem Land gedient haben.
Was das Gericht leisten konnte, hat es geschafft: Es hat Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord benannt und dafür die höchstmögliche Sanktion verhängt. Trotz aller Versuche, die Urteile als Verunglimpfung eines ganzen Volkes hinzustellen. In Den Haag waren Mladic und andere angeklagt, nicht das serbische Volk. Kein Gericht der Welt kann geschehenes Leid ungeschehen machen. Aber es kann ein dunkles Kapitel abschließen – zumindest rechtlich.
Das Jugoslawien-Tribunal war ein Versuch der internationalen Gemeinschaft, den Kriegsverbrechern auf dieser Welt zu signalisieren, dass sie für ihre Taten büßen werden. Auf der Anklagebank entpuppten sich vermeintliche Helden ganz schnell als einfache Mörder, die glaubten, niederste Instinkte ausleben zu dürfen, weil Staaten ihre Hoheitsrechte nicht mehr ausüben konnten. Zwischen serbischen Schergen und Diktatoren aus Afrika, die Kinder in den Krieg schickten, gibt es keinen Unterschied. Niemand kann und darf die Menschlichkeit mit Füßen treten.
Vielleicht ist es ein Manko, dass das Gericht nur Einzeltäter verurteilen konnte, nicht aber das System dahinter, an dem viele beteiligt waren: Mitläufer, Mittäter, all jene, die Taten zu verdecken halfen. Der strafrechtliche Abschluss des Jugoslawien-Krieges mag geschafft sein. Das Leid wird die Menschen, die einst in Frieden zusammenlebten, noch lange quälen. Sie brauchen noch Generationen, um vergeben und verzeihen zu können.
Wer die politische Dimension des Geschehenen aufarbeiten will, braucht eine Geschichtsschreibung, die nicht beginnt, wenn der erste Schuss fällt, sondern lange vorher. In Jugoslawien fiel letztlich ein künstliches Konstrukt von Völkern, die nur durch starken Druck aus Belgrad zusammengehalten wurden, auseinander. Alte Ressentiments wurden neu geschürt. Als dann noch ein Machtvakuum entstand, in das Kriegstreiber hineinstoßen konnten, wurde der Genozid zur Waffe, die keine Menschlichkeit kennt.
Die Jugoslawien-Kriege haben Europa deshalb so getroffen, weil man zu wissen glaubte, dass nach dem Grauen der beiden Weltkriege so etwas nicht noch einmal passieren könnte. Es war ein Irrtum, den Hunderttausende mit ihrem Leben bezahlten.
Die EU verhinderte wenigstens im Nachhinein das Verdecken und Verstecken. Selbst das heutige Unionsmitglied Kroatien musste länger als ursprünglich gedacht auf seine Aufnahme warten, weil sich alte Seilschaften bis in höchste Führungsebenen weigerten, Kriegsverbrecher auszuliefern. Und auch Serbien brauchte seine Zeit, um zu verstehen, dass die Europäische Union keinen Platz für Staaten hat, die ihre Kriegsvergangenheit nicht aufgearbeitet haben. Das sagt sich leichter, als es ist. Denn noch ist nicht absehbar, ob Serben, Kosovaren, Kroaten und Bosnier eines Tages wieder in Frieden miteinander und nebeneinander leben können, ohne alte Rechnungen begleichen zu wollen. Die EU glaubt daran, weil es zwischen Deutschland und Frankreich und vielen anderen ehemaligen Kriegsgegnern funktioniert hat. Zu „Jamaika ist gescheitert – und jetzt?“(Seite 1) vom 21. November: In der freien Marktwirtschaft hätte es ein Erdbeben ungeahnten Ausmaßes gegeben. „Unsere“Berufspolitiker brauchen sich jedoch keinerlei finanzielle Sorgen zu machen. Ihr Arbeitsplatz als Bundestagsabgeordneter, Minister (auch Ex-) oder führender Parteifunktionär ist doch unabhängig vom Scheitern, ja, bombensicher. Da kann man eine Sondierung durchaus schmerzfrei in den Sand setzen. Tut keinem wirklich weh! Einem Arbeitslosengeld-II-Empfänger, der diese Zeilen verfasst, kommen freilich echte Tränen. Der geht abends mit panischen Gedanken ins Bett, steht morgens mit ebenso panischen Gedanken auf, weil er partout nicht weiß, wie er überleben soll. So schaut’s aus!
Isny Ebenfalls dazu: Eine Minderheitsregierung ohne Grüne wäre bei vielen Themen der bessere Weg als eine Jamaika-Koalition, wo der Schwanz mit dem Hund gewedelt hätte.
Westendorf Ebenfalls dazu: Alle reden den etablierten Parteien nach: Neuwahlen! Wir haben gewählt und wollen unsere Interessen vertreten sehen. Nach dem gescheiterten Versuch einer DreierKoalition ist endlich einmal eine Minderheitsregierung fällig, in welcher jeder Abgeordnete ohne Blockzwang entscheiden kann. Falls diese keine Legislaturperiode übersteht, sind immer noch Neuwahlen möglich. Wir sollten den Mut dazu haben, z. B. in Dänemark wird dies seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert!
Immenstadt Zu „Lindners Mogelpackung“von Micha el Stifter (Seite 1) und „Das Trauma von 2013 wirkt noch nach“(Politik) vom 21. November: So ganz vermag ich der Logik Ihrer Berichterstattung nicht zu folgen: Im Kommentar wird mit der Entscheidung der FDP, die Sondierungen abzubrechen, hart ins Gericht gegangen, nur um einige Seiten später in einem ausführlichen Artikel logisch zu begründen, warum der FDP gar keine andere Möglichkeit blieb. Konsequent ist das nicht. Jedenfalls ziehe ich meinen Hut vor der FDP, die nicht den Steigbügelhalter für ein „Weiter so!“mit grünem Anstrich spielen wollte. Und was die SPD betrifft: Dort sollte man sich mit altklugen Kommentaren zurückhalten. Schließlich haben die Genossen mit ihrer kindischen Blockadehaltung die Situation erst herbeigerufen.
Stadtbergen Zur Titelillustration und der Frage „Wer ist schuld? (Bitte ankreuzen)“vom 21. November: Hier fehlt mir erstens der Zusatz ,Mehrfachnennung erlaubt‘ und zweitens der symbolisch abgebildete Herr Schulz. Augsburg Ebenfalls dazu: „Wer ist schuld? Bitte ankreuzen!“Ist dieses Bild mit der Aufforderung, den Schuldigen zu wählen, in der aktuellen Situation wirklich hilfreich? Schuld ist leicht verteilt. Und dann? Sich zurücklehnen?
Vielleicht sind die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen ja nur Spiegelbild unserer Gesellschaft, die sich auf keine gemeinsamen Werte und Standards mehr verständigen kann, in der Individualismus vor dem Gemeinwohl steht und kaum mehr einer dem andern wirklich zuhört. Auch manche Medienvertreter mögen mit ihrer Rhetorik dazu beitragen, dass sich Politiker mit Kompromissen schwertun, wenn es nur noch Gewinner oder Verlierer gibt und gleich das Gesicht verliert, wer von seiner Position abrückt. Demokratie lebt von Kompromissen. Offensichtlich müssen wir das erst wieder neu lernen! Schwabmünchen