Neu-Ulmer Zeitung

Ja mei, so ist das halt. Die Zeiten ändern sich

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die ihr Biogas-Projekt kaum möglich gewesen wäre. Sie ermahnten Maget, im Landtag in München darauf zu achten, dass die CSU den ländlichen Raum nicht vernachläs­sige, keine kleinen Schulen schließe und mehr für den Ausbau der Infrastruk­tur tue. Sie organisier­ten, „weil der Franz ein Roter ist“, sogar eine selbst gebackene Creme-Torte mit knallrotem Kirschkomp­ott als Überzug. Allein – gewählt hat ihn dort keiner. „Hier bei uns sind alle schwarz“, hieß es auf Nachfrage.

Die Bayern kennen die Schwächen der CSU und gehen doch seit Jahrzehnte­n mehrheitli­ch darüber hinweg. Skandale und Affären werden der Partei verziehen, ihre politische­n Verwirrung­en werden hingenomme­n. Dass Kindertage­sstätten im Freistaat noch als „sozialisti­sches Teufelszeu­g“galten, während andernorts längst die Vereinbark­eit von Familie und Beruf ganz oben auf der Tagesordnu­ng stand – macht nix! Dass dereinst der CSU-Vorsitzend­e Theo Waigel in Berlin für die Einführung des Euro kämpfte und der CSU-Ministerpr­äsident Edmund Stoiber in München dagegenwet­terte – egal, es wird schon passen! Dass vor der Doppelspit­ze Waigel/Stoiber der wuchtige Parteichef Franz Josef Strauß lieber Ananas in Alaska züchten wollte, als Bundeskanz­ler zu werden, und dann 1980 doch als Kanzlerkan­didat der Union antrat – ja mei, so ist das halt. Die Zeiten ändern sich.

Und die Zeit heilt im katholisch geprägten Bayern auch immer wieder alte Wunden. Die Grünen, die die CSU dereinst von der Polizei am Bauzaun der atomaren Wiederaufb­ereitungsa­nlage in Wackersdor­f mit Schlagstöc­ken und Wasserwerf­ern traktieren ließ, wären ihr jetzt sogar als Koalitions­partner in einer Bundesregi­erung recht gewesen. Vom Lieblingsf­eind zum Flirtpartn­er–was für ein Wandel!

Das Erstaunlic­hste an der CSU aber ist eine kuriose Konstante: Dass sie die Machtwechs­el an ihrer Spitze stets mit einer öffentlich­en Inszenieru­ng begleitet, die alle Elemente eines antiken Dramas enthält –und ihr das auf Dauer doch nicht schadet. Es gibt Intrigen und Verrat, Mauschelei­en und Schmähunge­n, Dolche von hinten und Pfeile aus der Hecke.

Was genau sich ereignen wird, wenn Parteichef und Ministerpr­äsident Horst Seehofer sich heute Mittag erst mit der Landtagsfr­aktion und dann am Abend mit dem Parteivors­tand trifft, darüber gibt es nur wilde Spekulatio­nen, aber kein echtes Wissen. Wird er „geköpft“werden, wie er selbst für den Fall einer Wahlschlap­pe bei der Bundestags­wahl vorausgesa­gt hat? Wird er sich den Aufrührern entgegenst­ellen und ihnen gehörig die Leviten lesen? Wird er „gehen oder gestürzt werden“, wie die Süddeutsch­e Zeitung vorhersagt, oder ist er „noch nicht fällig“, wie Der Spiegel meint? Niemand weiß es. Was aber in der CSU möglich ist, mit welchen Methoden die Parteiober­en und ihre Unterstütz­er seit jeher zu Werke gehen und welch amüsante Parallelen es zur aktuellen Führungskr­ise gibt, zeigt ein Blick in ihre Geschichte.

Anfang der 90er Jahre der damalige Ministerpr­äsident Max Streibl in den Strudel der „AmigoAffär­e“geriet, die die CSU in eine existenzie­lle Krise stürzte, meldete sich aus der Bundeshaup­tstadt, die damals noch Bonn hieß, ein junger Bundesgesu­ndheitsmin­ister namens Horst Seehofer zu Wort. Er warnte davor, Streibl zu sehr unter Druck zu setzen. „So etwas muss ordentlich, in einem fairen Stil geregelt werden“, sagte Seehofer, warf aber nebenbei die giftige Frage auf, ob Streibl denn „psychisch und physisch“überhaupt noch in der Lage sei, einen harten Wahlkampf durchzuzie­hen. Fair Play mit Blutgrätsc­he, in der CSU vielfach praktizier­t. Heute ist Seehofer selbst nicht mehr der Jüngste und er hasst es, wenn an seiner Gesundheit oder seiner Fitness gezweifelt wird.

Als sich in der Folgezeit die Auffassung festigte, dass Streibl politisch nicht mehr haltbar sei, entbrannte zwischen Theo Waigel (damals Bundesfina­nzminister und CSU-Chef) und Edmund Stoiber (damals bayerische­r Innenminis­ter) ein lange Jahre anhaltende­r Kleinkrieg um die Führungsro­lle in der Partei. Der ausgleiche­nde Waigel sah sich hinterhält­igen Attacken ausgesetzt, die sein Privatlebe­n betrafen – eine außereheli­che Beziehung galt weiland in der CSU noch als Sündenfall. Der vor Ehrgeiz brennende Stoiber musste sich vorhalten lassen, er polarisier­e und könne die verschiede­nen Lager nicht zusammenfü­hren. Aktuell wird genau dieses Argument gegen den aufstreben­den Finanzmini­ster Markus Söder vorgebrach­t.

Die Ergebnisse des Waigel-StoiAls ber-Duells sind bekannt. Stoiber setzte sich zunächst im Rennen um das Amt des Ministerpr­äsidenten durch und verteidigt­e 1993 – trotz Amigo-Affäre und trotz der starken SPD-Gegenkandi­datin Renate Schmidt – die absolute Mehrheit in Bayern. Als er dann auch noch Parteichef werden wollte, hieß es aus dem Lager seiner Widersache­r, dass der CSU-Vorsitzend­e in Bonn sitzen müsse, um den bundespoli­tischen Anspruch der CSU mit Nachdruck zu dokumentie­ren. Im Jahr 1998, nachdem die schwarz-gelbe Regierung unter Bundeskanz­ler Helmut Kohl abgewählt worden war, setzte sich Stoiber auch hier durch und löste Waigel 1999 als Parteichef ab.

Der angeblich polarisier­ende Hitzkopf, genannt „das blonde Fallbeil“, sorgte in der CSU für eine lange Phase der Geschlosse­nheit und brachte es, als die CDU tief im Parteispen­densumpf steckte, von München aus sogar zum Kanzlerkan­didaten der CSU – mehr bundespoli­tischer Anspruch geht wohl nicht. Völlig absurd ist es also nicht, wenn Söder heute die Strategie seines großen Vorbildes kopiert.

Doch selbst der erfolgreic­hste Stratege ist in der CSU nicht davor gefeit, Opfer eines Gemetzels zu werden. Stoiber leitete seinen politische­n Niedergang selbst ein, als er 2005 im letzten Moment davor zurückschr­eckte, Minister im ersten Kabinett Merkel zu werden. Da hätte die mächtige Landtagsfr­aktion ihren Parteichef gerne in Berlin gesehen

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