Er sagt: Ich war mit den Nerven am Ende
Eheschließung, so formuliert es der Codex Iuris Canonici, „eine Wesenseigenschaft der Ehe“ausgeschlossen, nämlich ihre „Unauflöslichkeit“. Er zweifelte demnach also vor und während der Trauung massiv daran, dass er für immer bei seiner Frau bleiben würde – „bis dass der Tod euch scheidet“. Sein Verfahren findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit und fast ausschließlich auf dem Papier statt.
Auch eine Verwandte des Mannes wird als Zeugin vernommen. Die Verfahrensdauer kommt ihm wie eine Ewigkeit vor. „Ich war mit den Nerven am Ende. Ich konnte einfach nicht mehr“, sagt er. Was ihn noch heute aufregt, ist eine Frage an seine Verwandte in ihrer Vernehmung. Sie soll erklären, was seine Ex-Frau am Hochzeitstag gedacht habe. „Gedacht! Das ist doch absurd! Daraus kann man doch nicht ernsthaft irgendeine Tatsache ableiten!“Dass er die Verwandte um Hilfe bitten muss, empfindet er als beschämend. Für sie und ihn.
Angst, Verzweiflung, Empörung, Rachegedanken und Ungewissheit bestimmen sein Leben, denn das Kirchengericht scheint ihm nicht zu glauben. Fordert genauere Auskünfte. Er fühlt sich dem Kirchengericht, Konsistorium oder Offizialat genannt, ausgeliefert. „Es ist gottgleich.“
Eines Tages will der Mann nicht mehr, dass das Verfahren weiterhin seine neue Partnerin, ihn und ihre Liebesbeziehung belastet. Sie beschließen, standesamtlich zu heiraten. „Soll die Kirche machen, was sie will.“
Dann liegt das Urteil in seinem Briefkasten: Seine erste Ehe sei nicht gültig zustandegekommen. Annulliert. Die Urteilsbegründung ist das intime Protokoll des Scheiterns seiner Ehe und damit eines Teils seines Lebens. Er hat sie bis heute nicht vollständig gelesen, sagt der Mann. Er blickt auf den Papierstapel vor sich. „Ich möchte nicht, dass meine Familie das jemals sieht“, sagt er. „Sie bekommt sonst ein falsches Bild von mir.“
Auf dem Klingelschild steht sein Name – und der seiner Partnerin. Sie ist inzwischen seine Ehefrau.