Neu-Ulmer Zeitung

Kommt Vanessas Mörder bald frei?

Der Täter mit der Horrormask­e hofft noch immer auf den Menschenre­chts-Gerichtsho­f. Jetzt naht eine Entscheidu­ng. Was Opferschüt­zer zu dem Fall sagen

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Der Mord an der kleinen Vanessa aus Gersthofen (Kreis Augsburg) ist ein Verbrechen, das die Menschen bis heute bewegt. Ihr Mörder Michael W. war am Rosenmonta­g 2002 in das Haus der Familie eingestieg­en und hatte die schlafende Zwölfjähri­ge erstochen. Er war 19 und trug eine Art Totenkopfm­aske. Sie war ein Zufallsopf­er.

Nach seiner Verurteilu­ng saß W. die höchstmögl­iche Jugendstra­fe von zehn Jahren ab. Danach verhängte das Landgerich­t Augsburg in einem neuen Verfahren nachträgli­ch Sicherungs­verwahrung. Das war seit 2004 in Deutschlan­d möglich. Das Urteil platzte aber 2012 mitten hinein in eine heftige Debatte um das unbegrenzt­e Wegsperren von Straftäter­n. Im Juni 2013 wurde das Gesetz reformiert. Die nachträgli­che Sicherungs­verwahrung für Erwachsene gibt es nun nicht mehr. Michael W. aber sitzt bis heute in einem Straubinge­r Spezialgef­ängnis. Zum Schutz der Allgemeinh­eit. Das kann noch Jahre so bleiben. Doch es könnte sich auch bald ändern.

Denn der Fall liegt seit Sommer 2014 beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) in Straßburg. Der Münchner Rechtsanwa­lt Adam Ahmed will dort erreichen, dass Michael W., inzwischen 34, freikommt. Zuvor hatte der Bundesgeri­chtshof die Augsburger Entscheidu­ng bestätigt, und auch vor dem Bundesverf­assungsger­icht war Ahmed gescheiter­t.

Der Anwalt sieht aber nach wie vor große Chancen, dass die Richter das Wegsperren seines Mandanten beenden. Er betrachtet das Urteil als Verstoß gegen das sogenannte Rückwirkun­gsverbot. Das besagt, vereinfach­t ausgedrück­t, dass ein neues Gesetz nicht auf Fälle aus der Vergangenh­eit angewendet werden darf. „Im Falle meines Mandanten wurde ein rechtskräf­tiges Urteil nachträgli­ch, das heißt nach circa zehn Jahren, auf Grundlage eines neuen Gesetzes konvention­swidrig abgeändert“, sagt Ahmed. Die „freiheitse­ntziehende Maßnahme“sei dadurch von ursprüngli­ch zehn Jahren Jugendstra­fe auf unbestimmt­e Zeit verlängert worden. Seit 2009 habe das Straßburge­r Gericht solche Fälle stets als Verstoß gegen die Menschenre­chtskonven­tion gewertet.

Dem bekannten Rechtsanwa­lt Ahmed ist „völlig unverständ­lich“, warum der Fall schon so lange in Straßburg liegt. Der Gerichtsho­f hat schon häufig nationale Gerichte gerügt, weil ihm die Verfahren zu lange dauern. Doch jetzt kommt Bewegung in die Angelegenh­eit. Am Mittwoch hat der EGMR über einen anderen Aufsehen erregenden Fall aus Bayern verhandelt, der laut Anwalt Ahmed „rechtlich identisch“mit dem Fall Michael W. ist. Ahmed muss es wissen, denn er hat die gleichlaut­enden Beschwerde­n beide in Straßburg eingereich­t.

Im aktuellen Fall geht es um den sogenannte­n „Joggerin-Mörder von Kelheim“. Daniel I. hat im Sommer 1997 in einem Wald eine Studentin erwürgt und sich danach an der Leiche vergangen. Auch er erhielt die damals höchstmögl­iche Jugendstra­fe von zehn Jahren Haft, auch bei ihm ordnete ein Gericht nachträgli­che Sicherungs­verwahrung an. Ein Gutachter hatte I. „sexuellen Sadismus“attestiert. Auch er sitzt wie Vanessas Mörder im Straubinge­r Spezialgef­ängnis.

Anfang des Jahres hatte I. vor einer kleinen Kammer des Gerichtsho­fs eine Niederlage einstecken müssen. Doch nun beschäftig­t sich in zweiter Instanz eine große Kammer des EGMR aus 20 Richtern mit dem Fall. Eine Entscheidu­ng in dem Präzedenzf­all wird mit Spannung in den nächsten Monaten erwartet. Wie auch immer sie ausfällt, sie wird ein entscheide­nder Fingerzeig dafür sein, wie es mit Vanessas Mörder Michael W. weitergeht. „Ich gehe davon aus, dass das Gericht seine bisherige Linie zur nachträgli­chen Sicherungs­verwahrung beibehält“, sagt Rechtsanwa­lt Ahmed.

Das würde bedeuten, dass W. in absehbarer Zeit freikommen könnte. Für viele ist das eine beängstige­nde Vorstellun­g. Gabriele Schmidthal­sPluta vom Gersthofer Opferschut­zverein „Sicheres Leben“findet, dass jeder Tag sinnvoll ist, den Michael W. weiter hinter Gittern zubringt. „So kann er draußen keinen Schaden anrichten und weiter in einer Therapie an sich arbeiten“, sagt sie. Der Verein wurde nach Vanessas Ermordung gegründet. Schmidthal­s-Pluta glaubt, dass sich Vanessas Mörder mit jedem Tag länger sehr schwertun würde, in Freiheit wieder zurechtzuk­ommen. „Das würde die Gefahr einer Wiederholu­ngstat verstärken, und das müssen wir mit allen Mitteln verhindern.“

Maximilian S. ist wegen einer fortschrei­tenden Muskel- und Nervenerkr­ankung seit Geburt schwerst behindert. Seit einigen Jahren lebt er in einem Heim. Der 26-Jährige kann nicht gehen und benötigt eine intensive Behandlung. Gute Erfolge wurden mit einem Therapiedr­eirad erzielt, mit dem sich der junge Mann selbststän­dig fortbewege­n kann. Das bisherige Dreirad konnte vor über zehn Jahren noch von der Krankenkas­se gefördert werden, ist jedoch mittlerwei­le defekt. Anträge für die Kostenüber­nahme für den Kauf eines neuen Rads liefen zwischen Kasse und Bezirk hin und her. Sie endeten letztlich alle nach Widerspruc­h mit einer Ablehnung mangels gesetzlich­er Grundlage.

Maximilian S. kann einen Eigenantei­l leisten, da er sich von seinem Taschengel­d etwas angespart hat. Die Summe reicht jedoch nicht aus. Die Kartei der Not hilft ihm mit einem Zuschuss für den Kauf eines Therapiera­ds. (jös)

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Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger plant ein Volksbegeh­ren gegen die in vielen Gemeinden heftig umstritten­en Straßenaus­baubeiträg­e. Am 16. Dezember soll bei einer außerorden­tlichen Landesvers­ammlung der Partei über den Plan abgestimmt werden. Aiwanger geht von einer „klaren Mehrheit“aus.

Das „Bürokratie­monster Straßenaus­baubeitrag muss abgeschaff­t werden“, sagt Aiwanger. Als Beleg sieht er die vielen Prozesse an den Verwaltung­sgerichten und in der zweiten Instanz vor dem Verwaltung­sgerichtsh­of: Derzeit werden nach Angaben des Innenminis­teriums bayernweit 123 Prozesse zum Straßenaus­baubeitrag­srecht geführt. Das beinhaltet sowohl Fälle, in denen Bürger gegen die Beitragsre­gelung in ihrer Gemeinde klagen, als auch Klagen der Gemeinden gegen Bürger. Nicht mitgezählt sind die Fälle, bei denen Bürger lediglich gegen ihren Gebührenbe­scheid klagen – deren Zahl ist unbekannt.

Die Freien Wähler fordern daher die Abschaffun­g der Beiträge, stießen damit aber zuletzt im Landtag auf Kritik von CSU, SPD und Grünen. Zumindest die CSU scheint mittlerwei­le umzuschwen­ken und will die Soll- in eine Kann-Regelung umwandeln. Dann dürfte jede Gemeinde selbst entscheide­n, ob sie Straßenaus­baubeiträg­e kassiert oder nicht. „Wer die Planungsho­heit hat, soll auch die Entscheidu­ngshoheit haben“, sagte der Würzburger Landtagsab­geordnete Oliver Jörg (CSU).

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Archivfoto: Marcus Merk Vanessas Mörder bei der Tatortbesi­chti gung im Jahr 2002.

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