Whistleblower
Wenn mir Leser schreiben, antworte ich ihnen in aller Regel. Die Ausnahme von der Regel ist: Wenn die Verfasser zu persönlichen Beleidigungen greifen. Über unseren Leserbrief-Eingang erreichte mich jetzt eine derartige Mail. Es ging um meinen Artikel über einen geschiedenen Katholiken, der sich aus Angst um seine Existenz einem kirchlichen Gerichtsverfahren stellte („Bis dass die Kirche uns scheidet“, 24.11.2017).
Angestellte der katholischen Kirche, so wie er, sehen in einem Ehenichtigkeitsverfahren oft die einzige Chance, ihren Job behalten zu können – wenn sie sich scheiden lassen und eine neue Partnerin standesamtlich heiraten wollen. Aus Kirchensicht ist das ein potenzieller Kündigungsgrund. Der Ausweg: Kirchenmitarbeiter müssen ihre kirchlich geschlossene erste Ehe für ungültig erklären lassen. Betroffene äußern sich überaus selten; wer es tut, berichtet über ein Verfahren, das er oder sie als schmerzhaften Eingriff ins Privatleben erlebte.
Der Leser schrieb, selten sei ihm „solch niederträchtiger Journalismus zu Gesicht gekommen“. Wahrscheinlich empfand er den Artikel als Angriff auf seine Glaubensüberzeugungen sowie auf die Institution Kirche. Er beleidigte meinen Informanten als „offensichtlich notorischen Lügner“; und ihn störte, dass ich den Mann anonym zitiert hatte.
Wer auf Missstände hinweist, riskiert viel
Das allein ist der Grund, warum ich hier von der Leserzuschrift berichte: Sie gibt mir die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie wichtig Whistleblower, also Informanten, für die Presse und unsere Gesellschaft sind. Nur durch ihren Mut ist es möglich, Missstände aufzudecken oder Einblicke in „geheime“Abläufe zu erhalten. Informanten riskieren viel dafür; Informantenschutz ist ein wertvolles Gut. Im Pressekodex, dem sich Journalisten verpflichtet fühlen, heißt es unter Ziffer 5: „Die Presse wahrt das Berufsgeheimnis, macht vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis.“
Was passiert, wenn InformantenNamen öffentlich werden, erlebten Marie-Elisabeth Klein und Martin Porwoll, die dieses Jahr den „Whistleblower-Preis“erhielten. Die pharmazeutisch-technische Assistentin und der Volkswirt hatten Beweise gegen ihren Arbeitgeber gesammelt, den Apotheker Peter S. aus Bottrop. Der steht vor Gericht, weil er sich an Krebspatienten bereichert haben soll. Beide gaben ihren Arbeitsplatz auf und sehen sich juristischen Auseinandersetzungen gegenüber. Das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv, das seine Berichte über die „Alte Apotheke“(unser Bild) auch auf Klein und Porwoll stützte, sammelte mithilfe eines Crowdfunding-Portals vom 10. Oktober bis 18. November 2017 10 000 Euro für den „juristischen Schutz“der zwei Whistleblower. Der Medienkonzern ProSiebenSat.1 mit Sitz in Unterföhring bei München steckt in der Krise. Der Bayerische Rundfunk muss einen harten Sparkurs fahren – und will Stellen abbauen. Es gab schon weitaus bessere Nachrichten über den Medienstandort Bayern.
Und dennoch ist und wird die Medienlandschaft im Freistaat stark bleiben. Das jedenfalls geht aus einer aktuellen Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die 133 bayerische Arbeitgeberund Wirtschaftsverbände sowie 41 Einzelunternehmen vertritt, hervor. Durchgeführt wurde die Studie von der vbw und Wirtschaftsinformatik-Experten der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Demnach kommen etwa 60 Prozent des Umsatzes aller bayerischen Medienunternehmen vom Standort „Stadt und Kreis München“. Mehr als 2000 Unternehmen sind dort in der Medienbranche aktiv; allein im Jahr 2015 machten sie rund 12,7 Milliarden Euro Umsatz. Wie hoch die Gesamtumsätze aus anderen Großräumen, etwa Augsburg, sind, wird nicht ausgeführt. Doch mit München kann der Medienstandort Berlin (zusammen mit Potsdam) nicht mithalten. Er kommt auf 6,5 Milliarden, Hamburg auf 7,9 Milliarden Euro an Umsatz.
Laut Bertram Brossardt, dem vbw-Hauptgeschäftsführer, sei das in den Köpfen der Menschen jedoch nicht präsent: „Bayerns Medienlandschaft wird von der starken Automobilindustrie überlagert“, sagte er kürzlich bei der Vorstellung der Studie in München. Sowie: Der Freistaat zähle zu den wichtigsten Medienstandorten Deutschlands.
Im Zentrum der Studie steht eine Umfrage: Um die Vor- und Nachteile Bayerns als Medienstandort zu beleuchten, wurden 25 hochrangige Manager, Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Wissenschaftler dazu befragt. Die gaben dem Medienstandort gute Noten. Als negativ stuften sie die Standortkosten ein. Auch die Lebenshaltungskosten seien hoch – vor allem im Raum München. Das schrecke einige davon ab, dort in Medienunternehmen zu arbeiten. Gerade Fachkräfte in technischen Berufsfeldern seien schwer zu finden.
Noch erheblichere Probleme für den Medienstandort Bayern sieht der schwäbische Medienstaatssekretär Franz Josef Pschierer darin, dass im Freistaat die größten Umsätze bei Rundfunk und Film entstehen, insbesondere diese Bereiche es aber mit enormen Herausforderungen zu tun hätten. „Web-basierte Formate greifen die klassischen Medien an“, nannte Pschierer nur ein Beispiel.
Umso wichtiger sei es, innovative Unternehmen in Bayern zu haben. Dies sei für die Zukunft des Medienstandorts von entscheidender Bedeutung. Der Blick auf das USUnternehmen Facebook verdeutlicht, was er meint: Es machte 2015 weltweit rund 18 Milliarden Dollar Umsatz – umgerechnet über zwei Milliarden Euro mehr als alle Münchner Medienunternehmen.