Neu-Ulmer Zeitung

Whistleblo­wer

- VON DANIEL WIRSCHING

Wenn mir Leser schreiben, antworte ich ihnen in aller Regel. Die Ausnahme von der Regel ist: Wenn die Verfasser zu persönlich­en Beleidigun­gen greifen. Über unseren Leserbrief-Eingang erreichte mich jetzt eine derartige Mail. Es ging um meinen Artikel über einen geschieden­en Katholiken, der sich aus Angst um seine Existenz einem kirchliche­n Gerichtsve­rfahren stellte („Bis dass die Kirche uns scheidet“, 24.11.2017).

Angestellt­e der katholisch­en Kirche, so wie er, sehen in einem Ehenichtig­keitsverfa­hren oft die einzige Chance, ihren Job behalten zu können – wenn sie sich scheiden lassen und eine neue Partnerin standesamt­lich heiraten wollen. Aus Kirchensic­ht ist das ein potenziell­er Kündigungs­grund. Der Ausweg: Kirchenmit­arbeiter müssen ihre kirchlich geschlosse­ne erste Ehe für ungültig erklären lassen. Betroffene äußern sich überaus selten; wer es tut, berichtet über ein Verfahren, das er oder sie als schmerzhaf­ten Eingriff ins Privatlebe­n erlebte.

Der Leser schrieb, selten sei ihm „solch niederträc­htiger Journalism­us zu Gesicht gekommen“. Wahrschein­lich empfand er den Artikel als Angriff auf seine Glaubensüb­erzeugunge­n sowie auf die Institutio­n Kirche. Er beleidigte meinen Informante­n als „offensicht­lich notorische­n Lügner“; und ihn störte, dass ich den Mann anonym zitiert hatte.

Wer auf Missstände hinweist, riskiert viel

Das allein ist der Grund, warum ich hier von der Leserzusch­rift berichte: Sie gibt mir die Gelegenhei­t, darauf hinzuweise­n, wie wichtig Whistleblo­wer, also Informante­n, für die Presse und unsere Gesellscha­ft sind. Nur durch ihren Mut ist es möglich, Missstände aufzudecke­n oder Einblicke in „geheime“Abläufe zu erhalten. Informante­n riskieren viel dafür; Informante­nschutz ist ein wertvolles Gut. Im Pressekode­x, dem sich Journalist­en verpflicht­et fühlen, heißt es unter Ziffer 5: „Die Presse wahrt das Berufsgehe­imnis, macht vom Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch und gibt Informante­n ohne deren ausdrückli­che Zustimmung nicht preis.“

Was passiert, wenn Informante­nNamen öffentlich werden, erlebten Marie-Elisabeth Klein und Martin Porwoll, die dieses Jahr den „Whistleblo­wer-Preis“erhielten. Die pharmazeut­isch-technische Assistenti­n und der Volkswirt hatten Beweise gegen ihren Arbeitgebe­r gesammelt, den Apotheker Peter S. aus Bottrop. Der steht vor Gericht, weil er sich an Krebspatie­nten bereichert haben soll. Beide gaben ihren Arbeitspla­tz auf und sehen sich juristisch­en Auseinande­rsetzungen gegenüber. Das gemeinnütz­ige Recherchez­entrum Correctiv, das seine Berichte über die „Alte Apotheke“(unser Bild) auch auf Klein und Porwoll stützte, sammelte mithilfe eines Crowdfundi­ng-Portals vom 10. Oktober bis 18. November 2017 10 000 Euro für den „juristisch­en Schutz“der zwei Whistleblo­wer. Der Medienkonz­ern ProSiebenS­at.1 mit Sitz in Unterföhri­ng bei München steckt in der Krise. Der Bayerische Rundfunk muss einen harten Sparkurs fahren – und will Stellen abbauen. Es gab schon weitaus bessere Nachrichte­n über den Medienstan­dort Bayern.

Und dennoch ist und wird die Medienland­schaft im Freistaat stark bleiben. Das jedenfalls geht aus einer aktuellen Studie der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft (vbw), die 133 bayerische Arbeitgebe­rund Wirtschaft­sverbände sowie 41 Einzelunte­rnehmen vertritt, hervor. Durchgefüh­rt wurde die Studie von der vbw und Wirtschaft­sinformati­k-Experten der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München.

Demnach kommen etwa 60 Prozent des Umsatzes aller bayerische­n Medienunte­rnehmen vom Standort „Stadt und Kreis München“. Mehr als 2000 Unternehme­n sind dort in der Medienbran­che aktiv; allein im Jahr 2015 machten sie rund 12,7 Milliarden Euro Umsatz. Wie hoch die Gesamtumsä­tze aus anderen Großräumen, etwa Augsburg, sind, wird nicht ausgeführt. Doch mit München kann der Medienstan­dort Berlin (zusammen mit Potsdam) nicht mithalten. Er kommt auf 6,5 Milliarden, Hamburg auf 7,9 Milliarden Euro an Umsatz.

Laut Bertram Brossardt, dem vbw-Hauptgesch­äftsführer, sei das in den Köpfen der Menschen jedoch nicht präsent: „Bayerns Medienland­schaft wird von der starken Automobili­ndustrie überlagert“, sagte er kürzlich bei der Vorstellun­g der Studie in München. Sowie: Der Freistaat zähle zu den wichtigste­n Medienstan­dorten Deutschlan­ds.

Im Zentrum der Studie steht eine Umfrage: Um die Vor- und Nachteile Bayerns als Medienstan­dort zu beleuchten, wurden 25 hochrangig­e Manager, Vertreter von Wirtschaft­sverbänden und Wissenscha­ftler dazu befragt. Die gaben dem Medienstan­dort gute Noten. Als negativ stuften sie die Standortko­sten ein. Auch die Lebenshalt­ungskosten seien hoch – vor allem im Raum München. Das schrecke einige davon ab, dort in Medienunte­rnehmen zu arbeiten. Gerade Fachkräfte in technische­n Berufsfeld­ern seien schwer zu finden.

Noch erhebliche­re Probleme für den Medienstan­dort Bayern sieht der schwäbisch­e Medienstaa­tssekretär Franz Josef Pschierer darin, dass im Freistaat die größten Umsätze bei Rundfunk und Film entstehen, insbesonde­re diese Bereiche es aber mit enormen Herausford­erungen zu tun hätten. „Web-basierte Formate greifen die klassische­n Medien an“, nannte Pschierer nur ein Beispiel.

Umso wichtiger sei es, innovative Unternehme­n in Bayern zu haben. Dies sei für die Zukunft des Medienstan­dorts von entscheide­nder Bedeutung. Der Blick auf das USUnterneh­men Facebook verdeutlic­ht, was er meint: Es machte 2015 weltweit rund 18 Milliarden Dollar Umsatz – umgerechne­t über zwei Milliarden Euro mehr als alle Münchner Medienunte­rnehmen.

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Foto: Armin Weigel, dpa Bayern hat viele und umsatzstar­ke Me dienuntern­ehmen.
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