Gemeinsam zu feiern genügt nicht
Wenn die Kirchen feiern, dann feiern Politik und Gesellschaft mit, auch Konfessionslose sind dabei. So war es beim Münsterturmjubiläum im Jahr 2015, so war es in diesem Jahr bei den Luther-Feierlichkeiten zu 500 Jahren Reformation. Warum sollte das bei Juden und Muslimen anders sein?
Dass die jüdische Gemeinde in Ulm einen Teil einer bedeutenden religiösen Feier ins öffentliche Leben verlegt, ist ein gutes Signal. Genauso wie es ein wichtiges Zeichen ist, dass Politiker und Spender aus der nicht-jüdischen Ulmer Gesellschaft an der Feier teilnehmen wollen. Am Sonntag erinnern die Ulmer Juden nicht nur daran, dass die Synagoge vor fünf Jahren eingeweiht worden ist. Die Gemeinde bringt auch eine neue ToraRolle ein. So etwas geschieht üblicherweise nur alle 50 Jahre. Politik und Stadtgesellschaft feiern mit.
Die jüdische Gemeinde, deren Mitglieder vor allem in den vergangenen 25 Jahren aus Osteuropa nach Ulm kamen, ist ein fester Bestandteil des städtischen Lebens. Oder? Wie groß ist die Akzeptanz der Juden in der Gesellschaft wirklich? Es ist gerade einmal drei Monate her, da trat ein Unbekannter ein Loch in die Fassade der Synagoge. In der gleichen Nacht schlug ein Mann mit einem Metallpfosten gegen die Außenwand des Gebäudes. Die Polizei suchte mit sehr genauen Bildern aus Videoaufzeichnungen nach dem Täter. Kein Zeuge meldete sich. Niemand, der den Mann kannte oder kennen wollte. War Antisemitismus das Motiv für den Angriff? Das ist Spekulation. Doch dass es trotz der klaren Bilder keinen brauchbaren Hinweis auf den Täter gab, ist kein gutes Zeichen.
Das Miteinander der Gläubigen verschiedener Religionen und der Konfessionslosen zeigt sich nicht bloß an Festtagen wie an diesem Sonntag. Gemeinsam zu feiern genügt nicht. Das gesellschaftliche Leben in der Stadt besteht nicht aus Festakten, es zeigt sich vor allem im Alltag. Dass die Einbringung der neuen Tora-Rolle gemeinsam gefeiert wird, ist nur ein Anfang.