Wenn Zahlen an den Nerven zehren
Jährlich suchen rund 300 Menschen die Schuldnerberatung des Landkreises auf. Leiter Wolfgang Göser muss mit vielen Betroffenen nicht nur finanzielle Probleme lösen
Die Arbeit von Wolfgang Göser beginnt dann, wenn seine Klienten keinen Ausweg mehr finden. Wenn bei ihnen Tag für Tag Rechnungen ins Haus flattern, die ungeöffneten Briefe sich stapeln und die Schuldenhöhe stetig nach oben wandert. Göser ist Schuldnerberater am Landratsamt in Neu-Ulm. Sein tägliches Brot besteht darin, Forderungen zu sichten, mit Gläubigern zu verhandeln, Haushaltsbudgets zu erstellen – doch das ist nicht alles: „Gefühlsmäßig besteht 50 Prozent meines Berufes aus Lebensberatung“, sagt der 65-Jährige.
Neben der Frage nach der Höhe des Einkommens und dem Ausmaß der Schulden, will der Sozialpädagoge bei seiner Beratung wissen: „Was führte dazu, dass die Person verschuldet ist?“Dafür gibt es viele Faktoren. Laut einer aktuellen Studie, durchgeführt von dem Inkassounternehmen Creditreform, ist die Arbeitslosigkeit zwar nach wie vor der Hauptauslöser für Überschuldung, doch zunehmend gewinnen andere Umstände an Bedeutung: Erkrankungen, Suchtprobleme, Unfälle oder unwirtschaftliche Haushaltsführung.
Bei gut jedem zehnten Bundesbürger sind die Gesamtausgaben dauerhaft höher als die Einnahmen, so ein Ergebnis der Studie. In Bayern sind rund 7,5 Prozent der Bevölkerung überschuldet. Der Landkreis Neu-Ulm ist prozentual ebenfalls in diesem Bereich. Göser hilft im Schnitt rund 300 überschuldeten Menschen im Jahr. Die Zahlen seien seit den 1990er Jahren gleich geblieben, sagt der 65-Jährige. Auch dieses Jahr sei keine Ausnahme.
Dem Schuldnerberater fällt aber auf, dass zunehmend mehr Menschen unter 30 Jahren seine Hilfe in Anspruch nehmen: „Meist kommen die Jüngeren wegen ihrer Handyrechnung“, sagt Göser. Von den insgesamt knapp 550000 Euro Schulden, die seine Klienten 2017 ansammelten, fallen mehr als 28 000 Euro auf diesen Posten. Den größten Anteil machen aber Ratenkredite aus.
Zinsen und zusätzliche Gebühren sind für rund die Hälfte von Gösers Klienten ein Problem.
Dass Überschuldung lediglich Personen mit geringem Einkommen betrifft, ist ein Irrglaube. Praktisch alle neuen Überschuldungsfälle in Deutschland kommen aus der Mittelschicht, wie die Studie der Creditreform darlegt. Dieser Bevölkerungsgruppe falle es besonders schwer, mit den Auswirkungen des Schuldenbergs zurechtzukommen. Denn nicht zahlungsfähig zu sein, ist in der Mittelschicht mit einem Stigma behaftet.
Die Folge: Betroffene ziehen sich aus Scham von ihren Mitmenschen zurück. „Viele stecken den Kopf in den Sand“, sagt Göser. „Einige werden sogar depressiv.“Die psychische Belastung durch die Über-
schuldung macht sich für den Sozialpädagogen besonders an einem Punkt bemerkbar: Seine Klienten haben Angst Briefe zu öffnen. „In jedem könnte ja eine weitere Forderung stecken“, erzählt er. In diesen Fällen bringen die überschuldeten Personen ihre Schreiben mit zur Beratung. Göser sortiert sie und verschafft sich einen Überblick über den Schuldenberg.
Seit 25 Jahren arbeitet der 65-Jährige als Schuldnerberater im Neu-Ulmer Landratsamt. Ein Fall ist ihm in seiner Berufslaufbahn besonders im Gedächtnis geblieben: Ein Mann kam zu ihm in die Beratung, er hatte einen dicken Aktenordner dabei. Doch über den Inhalt des Hefters kamen die beiden gar nicht zu sprechen. Stattdessen erzählte der aufgelöste Mann, dass seiHohe
ne Frau über Nacht mit dem gemeinsamen Kind ausgezogen sei. „Wir mussten zuerst über das persönliche Problem sprechen, um überhaupt zur Schuldnerberatung zu kommen“, erinnert sich Göser an jenen Fall zurück. Überschuldung ist ein Problem, das nicht isoliert betrachtet werden kann. Meist seien die Personen in schwierigen Lebenssituationen – und dann: „Geht es nicht um Zahlen und Ordner, sondern um das Leben.“O
Die Schuldner beratung des Landratsamtes ist für alle Menschen aus dem Landkreis Neu Ulm kostenfrei. Sozialpädagoge Wolfgang Göser ist telefonisch unter der Nummer 0731/70402403 zu erreichen oder via Mail an wolfgang.goeser@lra.neu ulm.de.