„Alle Zeit auf Erden hatte ich plötzlich.“
überdauert. Straight, direkt ist nicht Handkes Richtung, er ist einer für die Umwege, die Seitenwege, das Umher- und Abschweifen in Augenblicken, das Entschleunigen, noch mal Umkehren vom Gartentor in den Keller.
Peter Handke reist, zu Fuß und mit der Bahn, von seinem Haus in Chaville nahe Paris, wo er, der Rastlose, seit vielen Jahren sesshaft ist (die „Niemandsbucht“, die „Stillebucht“), in die Picardie, nördlich von Paris. Dort hat der Autor seit einiger Zeit ein zweites Domizil. Nach knapp 200 Seiten verschwindet der Erzähler auf dieser „einfachen Fahrt ins Landesinnere“und es tritt auf und übernimmt die Obstdiebin, eine junge Frau namens Alexia. Auch mit ihr bewegen wir uns drei Tage gegen den Strich durch das Frankreich von heute, auf dem Plateau von Vexin. Begleitet wird die Obstdiebin von einem jungen Pizzafahrer, der sich ihr anschließt und der den althochdeutschen Minnenamen Valter trägt.
In seinem neuen Buch spricht Peter Handke von sich – als Dichter, als Einzelner, als Vater von zwei Töchtern, wie eine davon die Obstdiebin sein könnte. Es schreibt ein Mann, der einmal Gruppe-47-Rebell war und Verfasser der „Publi- und der nun 75 ist. „Alle Zeit auf Erden hatte ich plötzlich. Alt wie ich war: Mehr Zeit denn je. Und das Buch des Lebens: Offen und dabei dingfest, die Seiten, besonders die unbeschriebenen, aufleuchtend im Wind der Welt, der Erde hier, der Hiesigkeit.“Handke benennt sein Außenseitersein, mal launisch („,Stümper!‘ war die am häufigsten mir in den Sinn kommende Selbstanrede“), mal existenziell: „Jemand ,Ungesetzlicher‘, ein Verbotener zu sein bestimmt meine gesamte Existenz.“„Mein illegales Treiben, es würde mich, wie noch ein jedes Mal, ausschließen aus der Menschheit.“
Er, „armer Narr des Nachschauens“, sieht sich umgeben von einer Mehrheit der Unerreichbaren: „Nichts wundert sie. Nichts macht sie aufhorchen. Von nichts, aber auch gar nichts trifft sie ein Schein oder Widerschein.“Und gleichwohl, und solche Passagen machen „Die Obstdiebin“zu etwas, was man Alterswerk nennen könnte, hat doch der jähzornige, sanftmütige Autor Handke, der sich seines „Hochmuts“bewusst ist, die Hoff- nung, die „Unerreichbaren“(und auch die Spötter?) noch für sich gewinnen zu können. „Aber ich, ich möchte sie, und nicht erst seit heute, erreichen, sie durch die Bank, sonderzahl. Oder so: Ich brenne seit je darauf, es zu schaffen, daß sie zu Erreichbaren würden – Aufhorchende – Offene – Antwortende.“
Zum runden Geburtstag ist uns nicht nur der in Kärnten geborene Schriftsteller Handke gegenwärtig, der mit seinen Epen und Tagebükumsbeschimpfung“ chern, Stücken und Essays seit einem halben Jahrhundert seine prägende Spur durch die Literaturlandschaft zieht, sondern auch der Streitbare, der sich in seiner Parteinahme für Serbien verrannt hat. Handkes Titel sind mehr Allgemeingut als ihr Inhalt. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Wunschloses Unglück“, „Die linkshändige Frau“, „Versuch über die Müdigkeit“, „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“… Peter Handke ist auch