Entflammt Trump den Nahen Osten?
Der US-Präsident ergreift im Dauerkonflikt Partei und erkennt Jerusalem als Israels Hauptstadt an. Damit löst er ein Wahlkampfversprechen ein. Doch die Folgen sind unberechenbar
In kaum einem Konflikt sind Symbole so präsent und so wichtig wie im Streit um Jerusalem. Die Geste eines Politikers, der Zugang zu einer Synagoge, einer Kirche oder einer Moschee – all das ist äußerst sensibel. Und zwar seit 70 Jahren. Am 29. November 1947 fasste die UN einen Beschluss, der bei Juden weltweit Jubel auslöste: Darin wurde eine Aufteilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat festgelegt. Was als Grundlage eines friedlichen Zusammenlebens angelegt war, wurde jedoch zum Keim von Hass und Krieg. Heute stehen fanatische Siedler militanten und verbitterten Palästinenser gegenüber.
Nun bricht US-Präsident Donald Trump mit dem Grundsatz, dass der formale Status quo für Jerusalem bis zu einer Lösung des Nahost-Konflikts nicht angetastet wird. Er kündigte als erster Präsident der USA in den neunziger Jahren schon einem Pulverfass glich, schreckten die jeweils amtierenden Präsidenten davor zurück, den Plan zu realisieren. Seit dem ist es Praxis, dass die USPräsidenten alle sechs Monate eine Verfügung unterschreiben, die den „Jerusalem Embassy Act“– sprich den Umzug der Botschaft – immer wieder aussetzt. Das könnte, so wird Trump interpretiert, weiterhin so praktiziert werden, bis die Verlegung tatsächlich erfolgt ist.
Israel hatte den arabisch geprägten Ostteil der Stadt im Jahr 1967 während des Sechs-Tage-Kriegs eingenommen und später annektiert. Doch dieser Schritt wurde international nicht anerkannt. Bekämpft wird er von den Palästinensern, die Ost-Jerusalem als ihre künftige Hauptstadt ansehen. Auch die Vereinten Nationen erkennen ganz Jerusalem nicht als Israels Hauptstadt an. Die Europäische Union hält ebenfalls daran fest, dass der Status der Stadt im Zuge von Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern geklärt werden soll.
Doch trotz vielfältiger Initiativen wurde der Friedensprozess immer wieder von Rückschlägen unterbrochen. Und das, obwohl seit 1993 die Frage nach dem Status Jerusalems regelmäßig ausgeklammert wurde, um die Verhandlungen nicht von vorneherein scheitern zu lassen.
In den letzten Jahren entfernten sich die Kontrahenten immer weiter voneinander. Die viel beschworene Zwei-Staaten-Lösung ist in weite Ferne gerückt. Ein Staat Palästina, mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt, dem Westjordanland und dem Gazastreifen wird von Israel rundweg abgelehnt. Hinzu kommt, dass sich gegen internationales Recht errichtete israelische Siedlungen im Westjordanland immer weiter ausbreiten und so Fakten schaffen. Die Palästinenserorganisationen ihrerseits – insbesondere die radikal-islamistische Hamas – reagierten auf ein Entgegenkommen Israels in der Vergangenheit mit fahrlässiger Halsstarrigkeit. Die Hamas torpedierte einen möglichen Friedenprozess zudem mit Raketen, die sie auf den Süden Israels abfeuerten.
Die Lage ist seit vielen Jahren festgefahren. Doch nach Trumps Ankündigung wird weltweit eine neue Runde der Gewalt befürchtet. Auch in den USA machen sich die Behörden offensichtlich große Sorgen. Die US-Botschaft in Israel warnt vor möglichen Gewaltausbrüchen als Reaktion auf Trumps Vorstoß. Die Sorge könnte berechtigt sein: Mehrere palästinensische Gruppierungen haben gestern zu drei „Tagen des Zorns“aufgerufen. Die Hamas hat Herr Shalicar, Sie arbeiten als Abteilungsleiter für internationale Beziehungen für die israelische Regierung. Was ändert sich, wenn die USA Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen? Gefühlt ist sie seit 3000 Jahren die Hauptstadt der Juden.
Diese Entscheidung hat für jeden Juden einen hohen Symbolwert. Aber natürlich hoffen wir, dass dadurch ein Domino-Effekt entsteht und andere Länder dem Beispiel der USA folgen und ihre Botschaften nach Jerusalem verlegen. Eine solche neue Einigkeit könnte auch die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern wieder voranbringen.
Im Moment sieht es eher nach dem Gegenteil aus. Es hagelt weltweit Kritik an Trumps Kurs.
Der Friedensprozess stockt seit Jahren. Das liegt in erster Linie an den Palästinensern, die mindestens drei Mal die Chance hatten, Ja zu sagen und jedes Mal Nein gesagt haben. Jerusalem war schon immer die Hauptstadt des jüdischen Volkes, und wenn wir ehrlich sind, dann sind im Nahen Osten nicht mehr die Palästinenser das Problem, sie werden irgendwann einsehen, dass sie mit Israel an ihrer Seite leben müssen. Das Problem ist der Iran.
Etliche israelische Ministerien sitzen ohnehin in Tel Aviv. Warum nicht alles belassen, wie es ist?
Ich arbeite selbst in Jerusalem, das Parlament hat seinen Sitz hier, das Außenministerium und auch der Oberste Gerichtshof. Hier schlägt, wenn man so will, das Herz Israels. Die Palästinenser drohen mit einem neuerlichen Aufstand. Droht Israel nun eine neue Welle der Gewalt?
Gewalt ist keine Lösung, das sagt selbst ihr Anführer Mahmud Abbas. Trotzdem fürchte ich, dass wir unsere Sicherheitsmaßnahmen verschärfen müssen, wenn die Palästinenser sich wieder für den Weg des Terrors und nicht den Weg der Verhandlungen entscheiden.
Kann Jerusalem auch die Hauptstadt zweier Staaten sein, des israelischen und eines palästinensischen?
Theoretisch ja, praktisch ist das nicht so einfach. In den Friedensverträgen, zu denen die Palästinenser immer Nein gesagt haben, war auch eine Teilung Jerusalems vorgesehen. Auch das haben sie unter dem Druck der Straße abgelehnt. Einen Friedensvertrag zu unterschreiben – das hieße ja, das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
Wenn es stimmt, dass der Friedensprozess mit dem Status von Jerusalem steht und fällt: Was bezweckt Trump dann mit seiner Entscheidung?
Ich war gerade in Washington und habe dort den Eindruck gewonnen, dass die USA hinter den Kulissen vor allem mit Saudi-Arabien und Jordanien, aber auch mit anderen arabischen Staaten reden. Sie richten ihren Fokus nicht mehr so sehr auf die Palästinenser wie die Europäer, sondern auf die Region insgesamt. Interview: Rudi Wais O
Arye Sharuz Shalicar ist als Sohn iranischer Juden in Berlin aufgewach sen und 2001 nach Israel ausgewandert. Dort war der studierte Politologe unter anderem acht Jahre Sprecher der Armee.