Zerplatzt: Die Hoffnung auf einen Neuanfang
Parteitag immer wieder, ist lang und holprig. Denn dass die SPD einer Fortsetzung des gemeinsamen Regierungsbündnisses mit CDU und CSU zustimmt, hatte Parteichef Martin Schulz kategorisch ausgeschlossen, als am 24. September gerade die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme im Berliner Willy-Brandt-Haus geflimmert waren. Am Ende des Wahlabends stand fest: Mit 20,5 Prozent der Wählerstimmen hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ihr schlechtestes Ergebnis in der gesamten Nachkriegszeit eingefahren. Ein Schock, der längst noch nicht verdaut ist, wie sich beim Parteitag immer wieder zeigt. Zur Erneuerung in der Opposition schien es nach der Schlappe keine Alternative zu geben, auch weil schnell alles auf eine Jamaika-Koalition deutete. Die Union sondierte mit FDP und Grünen. Doch als nach wochenlangen Gesprächen FDP-Chef Christian Lindner das Jamaika-Projekt platzen ließ, änderte sich für die SPD plötzlich alles. Derart „kalt erwischt“, wie es Fraktionschefin Andrea Nahles beschreibt, musste sich die SPD ausgerechnet von einem aus eigenen Reihen, von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, an ihre staatspolitische Verantwortung erinnern lassen. Innerhalb weniger Tage rückten Parteichef Martin Schulz und das SPD-Präsidium von ihrem klaren Nein zum Mitregieren ab. Beim Parteitag nun muss sich die SPD entscheiden. Gespräche mit der Union oder weiter auf Kurs Opposition, wie es vor allem die Jusos fordern. Kevin Kühnert, der Vorsitzende des SPD-Nachwuchses, sieht nicht weniger als die Existenz der Partei gefährdet. „Wir haben ein Interesse daran, dass hier noch was übrig bleibt von diesem Laden, verdammt noch mal“, warnt er auf dem Parteitag.
Der angeschlagene Parteichef Martin Schulz wirbt fast verzweifelt für den Leitantrag der SPD-Spitze, in ergebnisoffene Gespräche mit der Union einzutreten: „Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen.“Entscheidend sei, welche sozialdemo- kratischen Inhalte durchgesetzt werden könnten – in welcher Regierungsform dies auch sein möge.
Für Schulz geht es in Berlin auch um die eigene Zukunft. Er stellt sich zur Wiederwahl als Parteivorsitzender. 81,9 Prozent der Delegierten geben ihm schließlich ihre Stimme. Im März war er noch mit sagenhaften 100 Prozent der Delegiertenstimmen gewählt worden, doch der zeitweise überbordenden Begeisterung um seine Kanzlerkandidatur folgte das verheerende Ergebnis bei der Bundestagswahl.
Für seinen Anteil „an dieser bitteren Niederlage“entschuldigt sich Schulz bei den rund 600 Delegierten: „Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen, aber ich möchte als Parteivorsitzender meinen Beitrag dazu leisten, dass wir es besser machen.“Die Partei habe „nicht nur diese Bundestagswahl“verloren, sondern die letzten vier – und seit 1998 zehn Millionen Wähler, „fast die Hälfte unserer Wählerschaft“. Laut Schulz hat es die SPD nicht geden schafft, die Frage ausreichend zu beantworten: „Wofür steht die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert?“Schulz will das ändern. Vor allem, so Schulz, müsse die SPD für eine Stärkung Europas stehen. Der SPDVorsitzende will die Europäische Union bis ins Jahr 2025 zu „Vereinigten Staaten von Europa mit einem gemeinsamen Verfassungsvertrag“umwandeln. Mitgliedstaaten, die dem Verfassungsvertrag nicht zustimmen, „verlassen dann automatisch die EU“, so Schulz. „Leute, Europa ist unsere Lebensversicherung“, ruft Schulz in seinem rheinischen Singsang in die Halle. Das flammende Plädoyer des früheren EU-Parlamentspräsidenten für Europa wird kräftig beklatscht. Doch bei der anschließenden Aussprache wird deutlich, dass manche Genossen dahinter vor allem den Versuch sehen, die SPD mit dem Appell an die europapolitische Verantwortung in eine neue Große Koalition zu führen.
Ein Juso-Mann wirft ihm vor: