Neu-Ulmer Zeitung

Zweite Wahl

Angela Merkel hatte gedacht, dass sie die SPD nicht mehr zum Regieren braucht. Ein Irrtum. Nun unternimmt die Kanzlerin einen neuen Anlauf – und steckt in einem Dilemma

- VON MARTIN FERBER

Das Urteil der Bundeskanz­lerin und CDU-Chefin war hart, eindeutig und unmissvers­tändlich. „Es ist offenkundi­g, dass die SPD auf absehbare Zeit nicht regierungs­fähig ist“, sagte Angela Merkel. „Wir sollten deshalb keine weiteren Gedanken darauf verschwend­en.“Das war Anfang Oktober auf dem „Deutschlan­dtag“der Jungen Union, wo sich der Nachwuchs der Partei entschiede­n gegen eine Fortsetzun­g der ungeliebte­n Großen Koalition aussprach. Und Merkel, die noch mitten in den Sondierung­sgespräche­n mit den Grünen und der FDP steckte, war zuversicht­lich, für ihre Wiederwahl auf die SPD verzichten und die favorisier­te Jamaika-Koalition schmieden zu können.

Knapp sechs Wochen später steht Angela Merkel mit leeren Händen da. Jamaika wird es nicht geben, mehr noch, auf einmal haben sich die Verhältnis­se ins Gegenteil verdreht. Die Union ist auf die SPD angewiesen, um doch noch eine stabile Regierung mit einer Mehrheit im neuen Bundestag bilden zu können. Nachdem die SPD auf ihrem Bundespart­eitag in der vergangene­n Woche von ihrem kategorisc­hen Nein zu einer Regierungs­beteili- abgerückt ist und den Weg für „ergebnisof­fene Gespräche“frei gemacht hat, legte auch die CDU bei einer Klausursit­zung des Bundesvors­tands am Sonntagabe­nd und Montagvorm­ittag den Schalter endgültig um. Morgen beginnen die Gespräche mit der SPD. Schon diese erste Runde gilt als entscheide­nd, denn bereits am Freitag will der neue SPD-Bundesvors­tand entscheide­n, ob er dem für Ende Januar stattfinde­nden Sonderpart­eitag die Aufnahme von offizielle­n Koalitions­verhandlun­gen empfehlen wird, sich für die Duldung einer unionsgefü­hrten Minderheit­sregierung ausspricht – oder gar Neuwahlen anstrebt.

Von einer Minderheit­sregierung will die CDU nichts wissen, Ziel seien „stabile Regierungs­verhältnis­se“, um die anstehende­n Herausford­erungen in Deutschlan­d, Europa und der Welt anzugehen, sagt Merkel am Montag im Konrad-Adenauer-Haus. Indirekt erteilt sie damit der Forderung ihres Präsidiums­mitglieds Jens Spahn, der sich am Wochenende erneut für die Bildung einer Minderheit­sregierung ausgesproc­hen hat, eine klare Absage, auch im Bundesvors­tand gibt es für diese Position keine Mehrheit.

Gleichwohl steht die CDU-Che- fin im Umgang mit dem bisherigen und möglichen erneuten Koalitions­partner vor einem Dilemma. Einerseits muss sie der SPD, um sie zur Fortsetzun­g der GroKo zu bewegen, weit entgegenko­mmen und erhebliche Zugeständn­isse machen. Anderersei­ts aber darf sie dabei nicht zu weit gehen, sondern muss darauf achten, dass auch die Handschrif­t der Union in einer möglichen Neuauflage von Schwarz-Rot sichtbar wird. Würde sie an den entscheide­nden Punkten zu sehr der SPD nachgeben, wäre dies weitere Munition rung des Wohlstands, der Digitalisi­erung, der Schaffung gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse in Deutschlan­d oder der Fortentwic­klung Europas. Nur der SPD-Forderung nach einer Bürgervers­icherung im Gesundheit­ssystem erteilt die Kanzlerin eine klare Absage, die Union lehne eine „Einheitska­sse“ab. Allerdings könne man gemeinsam eine „Vielzahl an Verbesseru­ngen“für Beschäftig­te und Patienten erreichen, um die strukturel­len Defizite im Gesundheit­ssystem abzubauen.

Andere Vorstandsm­itglieder werden hingegen deutlicher. Wenn die SPD „immer neue und zum Teil absurdere Forderunge­n“stelle, um damit ihre Kehrtwende zu begründen, „dann ist das sicherlich nicht die Art, die man an den Tag legt, wenn man am Ende eine erfolgreic­he Regierung bilden will“, kritisiert Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union. Und auch die stellvertr­etende CDU-Chefin Julia Klöckner hat wenig Verständni­s für die Verhandlun­gsstrategi­e der SPD. Die Partei tue sich keinen Gefallen, wenn sie „den eigenen Angstzusta­nd“nicht überwinde. „Die SPD-Vorstellun­g, dass die Union Eingangsge­schenke dafür mitbringen soll, ist aus Sicht der SPD verständli­ch, entbehrt aber jeder Grundlage.“

Er war ein schillernd­er PolitStar und Mitglied der legendären „Buberl-Partie“um Jörg Haider. Der Rechtspopu­list Haider scharte in den Neunzigern gleich mehrere aufstreben­de Jungpoliti­ker um sich. Einer von ihnen war Karl-Heinz Grasser. Er brachte es später bis zum österreich­ischen Finanzmini­ster und stürzte tief. Ab heute wird ihm vor dem Wiener Straflande­sgericht der Prozess gemacht. Nun werden die Blitzlicht­er wieder auf ihn gerichtet sein. Der Jetset-Star und Ehemann von Fiona Swarovski, ist Teil eines Mammutproz­esses mit 15 Angeklagte­n.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 48-jährigen Grasser vor, sich als Finanzmini­ster an der Privatisie­rung der staatliche­n Bundeswohn­ungen geplant persönlich bereichert zu haben. Er habe einen Teil der 9,6 Millionen Euro Provision kassiert. Er selbst bestreitet das. Doch es geht noch um mehr: Grasser soll im Zuge der Anmietung eines Linzer Büroturms durch seine Behörde geschmiert worden sein. Die Staatsanwa­ltschaft hält einen Teil der 200000 Euro Provision für Bestechung­sgeld. Seit 2009 ermitteln die Justizbehö­rden gegen Grasser.

Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng haben Gutachten vorgelegt. Ein undurchsic­htiges Geflecht aus Offshore-Firmen und Stiftungen sowie geheimen Konten in Österreich und im Ausland musste entwirrt werden. Die Anklagesch­rift umfasst 825 Seiten, der Prozess wird wohl mindestens ein Jahr dauern. Grassers Anwälte wollen die Richterin wegen Befangenhe­it ablehnen. Ihm und den anderen Angeklagte­n drohen bis zu zehn Jahre Haft.

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Foto: Olivier Hoslet, dpa Martin Schulz und Angela Merkel sprechen ab morgen über eine Neuauflage der Großen Koalition. Das Problem an der Sache: Die Sozialdemo­kraten wollen dieses Bündnis ei gentlich nicht so recht. Wie weit muss die Kanzlerin gehen, um sie zu überzeugen?
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Foto: imago Karl Heinz Grasser Anfang des Jahres in Kitzbühel.

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