„Wir haben uns verpasst“
Martin Walser und Jakob Augstein wussten lange nichts vom besonderen Band, das sie verbindet. Inzwischen sind sie sich in ausführlichen Gesprächen nähergekommen
„Du bist mein Vater“, sagt der eine. Und der andere: „Ein Umstand, der mich mit Freude erfüllt.“
So deutlich öffentlich hat man das noch nicht gehört von Jakob Augstein und Martin Walser. Es hat ja auch gedauert, bis der eine wusste, dass er nicht der leibliche Sohn von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein ist. Als Teenager war er das erste Mal mit Getuschel konfrontiert, er ähnele dem Schriftsteller vom Bodensee. Später erbat er Auskunft von der Mutter Maria Carlsson, die ein paar Jahre mit Rudolf Augstein verheiratet war. Doch erst nach dem Tod des Spiegel-Chefs, da war Jakob Augstein bereits Ende 30, schrieb er Martin Walser, damals Ende 70, einen Herkunftsgeschichte: von der politisch unverdächtigen Familie des Rudolf Augstein hin zu den Walsers, wo die Mutter Parteimitglied war und der als Autor so erfolgreiche Sohn mit seiner Haltung zur deutschen Geschichte immer wieder Anstoß erregt hat.
Und so sind es die bekannten Walser-Themen, die das Grundgerüst des Gesprächs bilden zwischen „Martin“und „Jakob“, wie Vater und Sohn sich wechselseitig anreden. Themen, wie der Schriftsteller sie in Romanen wie „Ein springender Brunnen“und in Abhandlungen wie „Unser Auschwitz“und natürlich in seiner Paulskirchen-Rede ausgebreitet hat. Das ist alles nicht neu, aber alles immer wieder interessant in seiner argumentativen Entwicklung, die hier im Dialog hinreichend Raum erhält, und der man als Leser mal mehr, mal weniger, mal gar nicht folgen will. Wie war das mit dem Parteieintritt deiner Mutter, fragt Augstein, und Walser erklärt, das sei durch den ökonomischen Überlebenswillen der Gasthauswirtin bedingt gewesen – nicht ohne anzufügen, aus demselben Motiv (Singular!) habe „Deutschland Hitler gewählt“.
Mit so einer Verkürzung tappt der Schriftsteller in die hinreichend bekannte Walser-Falle, Augstein protestiert zwar, ohne jedoch Gehör zu finden. Alles wie gehabt. Bedenkenswerter ist da schon Walsers Appell an die Nachgeborenen, „gefühlsvorsichtig“zu sein in der Bewertung von Handlungen und Beweggründen in damaliger Zeit. Und in einer Mahnung wie der, auf der Hut zu sein vor „politischen Kor- rektheitsforderungen“, blitzt die Bedeutung Walsers für den öffentlichen Diskurs auf. Es gibt nicht viele Intellektuelle im Land, die sich so aufs Hinterfragen verstehen wie er.
Bei bestimmten Themen fühlt Walser sich schnell angegriffen, das erkennt auch Augstein: „Du bist nach all den Jahren noch so verletzlich?“Auf alle Fälle, wenn es um Marcel Reich-Ranicki geht. Augstein liest eine lange Passage aus dessen legendärem Verriss des Romans „Jenseits der Liebe“von 1976 vor. Walser: „Müssen wir uns das anhören?“Augstein: „Ich glaube, ja.“Man versteht das gequälte Schriftstellergemüt, wenn es konfrontiert wird mit Sätzen wie: „Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen.“Aber von Vernichtung der Schreibexistenz durch Kritik zu sprechen, noch jetzt, Jahrzehnte danach? Weshalb Walser hier so alttestamentarisch unversöhnlich bleibt, kann ihm auch Augstein nicht entlocken.
Der Schriftsteller hat 25 Jahre nach Reich-Ranickis Verriss mit seinem Roman „Tod eines Kritikers“zurückgekeilt, was ihm den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht hat. Auch hier bekanntes Walser-Terrain. Was aber machen die anhaltenden AntisemitismusEchos mit einem, der vom Frankfurter Auschwitz-Prozess berichtet hat, der ein Schriftstellerleben lang sich über die Vernichtung und das Davon-Sprechen-Können den Kopf zerbrochen hat? Augstein ruft die Szene in Erinnerung, wie er Walser einmal aus einem Hörsaal hat laufen sehen, wo Studenten ihn als Antisedie miten verunglimpften. „Du warst außer dir vor Wut und Enttäuschung und Verletzung.“Laut habe Walser gerufen: „Hört denn diese Scheiße niemals auf!“Ein seltenes Bild von Walser, der ja sonst in der Öffentlichkeit meist die Abgeklärtheit in Person ist.
Das letzte Kapitel des Buches geht dann doch noch „über uns“, Vater und Sohn. Doch buchstäblich auf der letzten Seite stellt sich heraus, dass in diesem Kapitel das Gespräch gar nicht den abgedruckten Verlauf nahm, sondern eine Komposition von Augstein ist, zusammengesetzt, wie man annehmen darf, aus verstreut gefallenen Äußerungen Walsers. Ein journalistisches Frage-Antwort-Spiel zum VaterSohnund zum Vater-Mutter-Verhältnis wohlt, 352 S., 19,95¤
Ein Gespräch. Ro
Der saudische Schauspieler Hischam Fakih war glücklich und geschockt zugleich, als er die Nachricht bekam – und so richtig fassen kann er sie noch immer nicht. „Wir haben das seit Jahren gehört, und nun heißt es, es passiert bald“, sagt er am Telefon mit einer Stimme, die sich vor Begeisterung beinahe überschlägt. „Aber ich kann es nicht glauben, bis ich es wirklich sehe.“Tatsächlich stellt die Mitteilung, die Saudi-Arabiens Regierung am Montag verbreitete, nicht nur für den 30 Jahre alten Künstler, sondern für das gesamte Land einen Kulturbruch dar: Erstmals seit mehr als 35 Jahren erlaubt das islamisch-konservative Königreich wieder öffentliche Kinos. Diese hatte die Führung Anfang der 1980er Jahre im Zuge einer konservativeren Politik verboten. Bis heute sehen konservative Saudis in jeder Art von Vergnügung einen Frevel.
Schon im kommenden März sollen die ersten Kinos in Saudi-Arabien öffnen und bis zum Jahr 2030 mehr als 300 Lichtspielhäuser im Land Filme zeigen. Zwar gab es Filmvorführungen in dem Königreich auch schon in der Vergangenheit, allerdings nur im privaten Rahmen. Die Entscheidung des Königreichs steht in einer Reihe von Maßnahmen, mit denen die Führung des Landes den Saudis mehr gesellschaftliche Freiheiten gibt.
Hinter der Liberalisierung steckt Mohammed bin Salman, der 32 Jahre alte Kronprinz, in dem eine ganze Generation an jungen Saudis einen Hoffnungsträger sieht. Längst gilt der Sohn von König Salman als eigentlicher