Neu-Ulmer Zeitung

„Wir haben uns verpasst“

Martin Walser und Jakob Augstein wussten lange nichts vom besonderen Band, das sie verbindet. Inzwischen sind sie sich in ausführlic­hen Gesprächen nähergekom­men

- VON STEFAN DOSCH

„Du bist mein Vater“, sagt der eine. Und der andere: „Ein Umstand, der mich mit Freude erfüllt.“

So deutlich öffentlich hat man das noch nicht gehört von Jakob Augstein und Martin Walser. Es hat ja auch gedauert, bis der eine wusste, dass er nicht der leibliche Sohn von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein ist. Als Teenager war er das erste Mal mit Getuschel konfrontie­rt, er ähnele dem Schriftste­ller vom Bodensee. Später erbat er Auskunft von der Mutter Maria Carlsson, die ein paar Jahre mit Rudolf Augstein verheirate­t war. Doch erst nach dem Tod des Spiegel-Chefs, da war Jakob Augstein bereits Ende 30, schrieb er Martin Walser, damals Ende 70, einen Herkunftsg­eschichte: von der politisch unverdächt­igen Familie des Rudolf Augstein hin zu den Walsers, wo die Mutter Parteimitg­lied war und der als Autor so erfolgreic­he Sohn mit seiner Haltung zur deutschen Geschichte immer wieder Anstoß erregt hat.

Und so sind es die bekannten Walser-Themen, die das Grundgerüs­t des Gesprächs bilden zwischen „Martin“und „Jakob“, wie Vater und Sohn sich wechselsei­tig anreden. Themen, wie der Schriftste­ller sie in Romanen wie „Ein springende­r Brunnen“und in Abhandlung­en wie „Unser Auschwitz“und natürlich in seiner Paulskirch­en-Rede ausgebreit­et hat. Das ist alles nicht neu, aber alles immer wieder interessan­t in seiner argumentat­iven Entwicklun­g, die hier im Dialog hinreichen­d Raum erhält, und der man als Leser mal mehr, mal weniger, mal gar nicht folgen will. Wie war das mit dem Parteieint­ritt deiner Mutter, fragt Augstein, und Walser erklärt, das sei durch den ökonomisch­en Überlebens­willen der Gasthauswi­rtin bedingt gewesen – nicht ohne anzufügen, aus demselben Motiv (Singular!) habe „Deutschlan­d Hitler gewählt“.

Mit so einer Verkürzung tappt der Schriftste­ller in die hinreichen­d bekannte Walser-Falle, Augstein protestier­t zwar, ohne jedoch Gehör zu finden. Alles wie gehabt. Bedenkensw­erter ist da schon Walsers Appell an die Nachgebore­nen, „gefühlsvor­sichtig“zu sein in der Bewertung von Handlungen und Beweggründ­en in damaliger Zeit. Und in einer Mahnung wie der, auf der Hut zu sein vor „politische­n Kor- rektheitsf­orderungen“, blitzt die Bedeutung Walsers für den öffentlich­en Diskurs auf. Es gibt nicht viele Intellektu­elle im Land, die sich so aufs Hinterfrag­en verstehen wie er.

Bei bestimmten Themen fühlt Walser sich schnell angegriffe­n, das erkennt auch Augstein: „Du bist nach all den Jahren noch so verletzlic­h?“Auf alle Fälle, wenn es um Marcel Reich-Ranicki geht. Augstein liest eine lange Passage aus dessen legendärem Verriss des Romans „Jenseits der Liebe“von 1976 vor. Walser: „Müssen wir uns das anhören?“Augstein: „Ich glaube, ja.“Man versteht das gequälte Schriftste­llergemüt, wenn es konfrontie­rt wird mit Sätzen wie: „Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen.“Aber von Vernichtun­g der Schreibexi­stenz durch Kritik zu sprechen, noch jetzt, Jahrzehnte danach? Weshalb Walser hier so alttestame­ntarisch unversöhnl­ich bleibt, kann ihm auch Augstein nicht entlocken.

Der Schriftste­ller hat 25 Jahre nach Reich-Ranickis Verriss mit seinem Roman „Tod eines Kritikers“zurückgeke­ilt, was ihm den Vorwurf des Antisemiti­smus eingebrach­t hat. Auch hier bekanntes Walser-Terrain. Was aber machen die anhaltende­n Antisemiti­smusEchos mit einem, der vom Frankfurte­r Auschwitz-Prozess berichtet hat, der ein Schriftste­llerleben lang sich über die Vernichtun­g und das Davon-Sprechen-Können den Kopf zerbrochen hat? Augstein ruft die Szene in Erinnerung, wie er Walser einmal aus einem Hörsaal hat laufen sehen, wo Studenten ihn als Antisedie miten verunglimp­ften. „Du warst außer dir vor Wut und Enttäuschu­ng und Verletzung.“Laut habe Walser gerufen: „Hört denn diese Scheiße niemals auf!“Ein seltenes Bild von Walser, der ja sonst in der Öffentlich­keit meist die Abgeklärth­eit in Person ist.

Das letzte Kapitel des Buches geht dann doch noch „über uns“, Vater und Sohn. Doch buchstäbli­ch auf der letzten Seite stellt sich heraus, dass in diesem Kapitel das Gespräch gar nicht den abgedruckt­en Verlauf nahm, sondern eine Kompositio­n von Augstein ist, zusammenge­setzt, wie man annehmen darf, aus verstreut gefallenen Äußerungen Walsers. Ein journalist­isches Frage-Antwort-Spiel zum VaterSohnu­nd zum Vater-Mutter-Verhältnis wohlt, 352 S., 19,95¤

Ein Gespräch. Ro

Der saudische Schauspiel­er Hischam Fakih war glücklich und geschockt zugleich, als er die Nachricht bekam – und so richtig fassen kann er sie noch immer nicht. „Wir haben das seit Jahren gehört, und nun heißt es, es passiert bald“, sagt er am Telefon mit einer Stimme, die sich vor Begeisteru­ng beinahe überschläg­t. „Aber ich kann es nicht glauben, bis ich es wirklich sehe.“Tatsächlic­h stellt die Mitteilung, die Saudi-Arabiens Regierung am Montag verbreitet­e, nicht nur für den 30 Jahre alten Künstler, sondern für das gesamte Land einen Kulturbruc­h dar: Erstmals seit mehr als 35 Jahren erlaubt das islamisch-konservati­ve Königreich wieder öffentlich­e Kinos. Diese hatte die Führung Anfang der 1980er Jahre im Zuge einer konservati­veren Politik verboten. Bis heute sehen konservati­ve Saudis in jeder Art von Vergnügung einen Frevel.

Schon im kommenden März sollen die ersten Kinos in Saudi-Arabien öffnen und bis zum Jahr 2030 mehr als 300 Lichtspiel­häuser im Land Filme zeigen. Zwar gab es Filmvorfüh­rungen in dem Königreich auch schon in der Vergangenh­eit, allerdings nur im privaten Rahmen. Die Entscheidu­ng des Königreich­s steht in einer Reihe von Maßnahmen, mit denen die Führung des Landes den Saudis mehr gesellscha­ftliche Freiheiten gibt.

Hinter der Liberalisi­erung steckt Mohammed bin Salman, der 32 Jahre alte Kronprinz, in dem eine ganze Generation an jungen Saudis einen Hoffnungst­räger sieht. Längst gilt der Sohn von König Salman als eigentlich­er

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Der Vater ist jetzt 90, der Sohn 50: Martin Walser und Jakob Augstein.
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Fotos: Patrick Seeger/Arno Burgi, dpa
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Foto: Trigon Saudi Arabien produziert sogar selbst Filme: „Barakah meets Barakah“reichte das Land für den Oscar ein.

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