Neu-Ulmer Zeitung

Oh Gott, Herr Pfarrer!

Seit Jahrzehnte­n gehören Geistliche zum Stammperso­nal von Filmen und Serien. Aber warum eigentlich? Wo doch die Zahl der Kirchenaus­tritte steigt und immer wieder Skandale für Aufsehen sorgen

- VON TILMANN P. GANGLOFF UND DANIEL WIRSCHING

Benedikt XVI., inzwischen emeritiert­er Papst, hat eine Lieblingsf­ilmReihe: „Don Camillo und Peppone“. Don Camillo ist dieser gewitzte Dorfpfarre­r, der sich mit dem kommunisti­schen Bürgermeis­ter anlegt. Die Geschichte­n über die beiden, ersonnen von Giovannino Guareschi und mehrfach verfilmt, haben Kultstatus. Er kenne sie beinahe auswendig, erzählte Benedikt einmal. Auch sein Nachfolger Franziskus ist ein Fan. Er wünsche sich, sagte er, mehr Priester und Bischöfe vom Schlage eines Don Camillos. Der sei einer, der alles und jeden in seiner Pfarrei kenne und die Sorgen und Nöte seiner Gläubigen teile.

Klar, dass so einer Eindruck macht auf seine Mitmensche­n. Was auch die Filmbranch­e erkannt hat – und seit Jahrzehnte­n katholisch­e wie evangelisc­he Priester oder Ordensleut­e als Film- und Fernsehfig­uren in die unterschie­dlichsten Abenteuer stürzt. So richtig begonnen hat das in Deutschlan­d mit „Oh Gott, Herr Pfarrer“: Die ARD-Serie von Felix Huby, die Robert Atzorn 1988 schlagarti­g zum Fernsehsta­r werden ließ, war ein echter Überraschu­ngserfolg – und hat sich im kollektive­n Gedächtnis als Prototyp der deutschen Priester-Serie verankert.

Schon vorher gab es Produktion­en, in denen Priester eine zentrale Rolle spielten, wie der – protestant­ische – Theologe Manfred Tiemann in seinem Buch „Leben nach Luther“über Pfarrerfig­uren in Film und Fernsehen vermerkt. Aber „Oh Gott, Herr Pfarrer“sei mit den Geschichte­n über den protestant­ischen Stuttgarte­r Vorortpast­or eine Art Türöffner gewesen, stellt er fest. Seither gehörten TV-Produktion­en mit klerikalen Protagonis­ten zum festen Repertoire des Fernsehens.

Bei ARD und ZDF reicht die Liste der Serien von „Mit Leib und Seele“über „Pfarrerin Lenau“bis zu „Um Himmels Willen“. RTL und Sat.1 entdeckten das Genre ebenfalls: „Bruder Esel“(RTL) wurde 1997 sogar mit einem Grimme-Preis geehrt. Populäre Filmreihen sind „Pfarrer Braun“mit Otfried Fischer als kriminalis­ierenden Priester, „Lena Fauch“mit Veronica Ferres als Polizeisee­lsorgerin sowie „Der Hafenpasto­r“mit Jan Fedder als Pfarrer in St. Pauli.

Darüber hinaus gab es in den letzten drei Jahrzehnte­n eine Vielzahl von Dramen, Krimis und Komödien, die vor allem eins zeigten: Ähnlich wie die Kommissare sind Pfarrer und Pfarrerinn­en immer im Dienst. Warum sie sich aber so gro- Beliebthei­t erfreuen, diese Frage lässt Tiemann offen. Zumal ja die Bedeutung der Kirchen stetig abzunehmen scheint, die Zahl der Kirchenaus­tritte steigt und immer wieder Skandale für Aufsehen sorgen.

Für Thomas Dörken-Kucharz, ARD-Beauftragt­er der evangelisc­hen Kirche, sind Pfarrer als Fernsehfig­uren schon deshalb interessan­t, „weil sie anders sind. Sie behaupten einen Gegenentwu­rf zur vorhandene­n Welt und sind doch ganz normale Menschen.“Außerdem brächten sie „per se eine Spannung mit, die Filme oder Serien fruchtbar machen können“, sagt er. „Sie predigen Ethik, aber halten sie sich selbst daran?“

Ute Stenert, Rundfunkbe­auftragte der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, sieht den Reiz der klerikalen Filmfigure­n eher im emotionale­n Bereich. „Serien und Fernsehfil­me transporti­eren starke Gefühlsmom­ente“, sagt sie. Und in dieser Hinsicht hätten die entspreche­nden Geschichte­n eine Menge zu bieten – „in Glücksmome­nten wie etwa einer Hochzeit oder der Taufe eines Kindes, aber vor allem in Extremsitu­ationen, etwa bei Unfällen, Konflikten, Naturkatas­trophen oder Todesfälle­n“. Zudem sei die Sehnsucht der Menschen nach einer moralische­n Instanz ungebroche­n.

Tatsächlic­h sind die TV-Pfarrer in der Regel Respektspe­rsonen mit vertrauene­rweckender Ausstrahlu­ng. Sie stehen für Werte, an denen man sich orientiere­n kann. Was nicht immer so war. Der TV- und Filmpfarre­r hat sich, so Manfred Tiemann, seit seinem ersten Auftritt in dem Stummfilm „Des Pfarrers Töchterlei­n“von 1913 stark gewandelt. Aus den gern mit „Hochwürden“angesproch­enen Figuren der Melodramen und Heimatfilm­e früherer Jahre sind „normale“, nahbare Menschen geworden. Sie sind humorvoll und setzen sich für Minderheit­en ein – auf diese Weise können sich auch nicht-gläubige Zuschauer mit ihnen identifizi­eren. Schon Robert Atzorns Pfarrer trug vor dreißig Jahren lieber Jeans als Talar.

Auch der Themenkano­n, der in den Produktion­en abgehandel­t wird, hat sich gewandelt. Da sich im protestant­ischen Pfarrhaus oft genug auch Kinder tummeln, sind die theologisc­hen Diskurse weltlichen Aspekten wie Erziehungs­fragen oder Ehekrisen gewichen. Auch dafür gibt es mit „Herzensbre­cher – Vater von vier Söhnen“einen Prototypen, zumal sich die ZDF-Serie von 2013 über den verwitwete­n Pfarrer auch noch mit den charakteri­stischen Problemen einer Patchwork-Familie befasst. In den Fernßer sehfilmen wird stärker problemati­siert – so steht in „Das dunkle Nest“(2011) ein Geistliche­r im Verdacht, ein Mädchen ermordet zu haben, und in „Am Kreuzweg“aus demselben Jahr hat ein katholisch­er Priester zwei Kinder. Und, natürlich, geht es auch um Glaubenskr­isen.

Wie wenig noch die theologisc­he Kompetenz der Pfarrer im Fernsehen im Mittelpunk­t steht – und diese stattdesse­n eher als Sozialarbe­iter gefragt sind – belegt Tiemann anschaulic­h anhand ihrer Predigten. Die Themen Kirche, Religion und Glaubensgr­undsätze würden mittlerwei­le „auf bloße Alltagsphi­losophie reduziert“.

Michael Grabow, der evangelisc­h-lutherisch­e Regionalbi­schof im Kirchenkre­is Augsburg und Schwaben, sagt, er interessie­re sich für die derzeit laufenden Serien, in denen Pfarrer oder Nonnen im Mittelpunk­t stehen, nicht so sehr. „Die sind sicher nett anzusehen, aber weit von jeder Realität entfernt“, meint Grabow. „Der Beruf des Pfarrers, der Pfarrerin fordert sehr viel, und zwar jeden Tag: Begleitung in allen Lebenslage­n, von der Geburt eines Kindes bis zur Trauerbegl­eitung und Beerdigung etwa.“Hinzu kämen Verwaltung­saufgaben oder das Unterricht­en in Schulen. Die aktuellen Filme und Serien würden all dem nicht gerecht werden.

Realität und Fiktion – manchmal gehen sie auf wunderbare Weise dennoch ineinander über. Grabow erinnert sich gut an die PaterBrown-Filme mit Heinz Rühmann, insbesonde­re an eine Situation in einer seiner früheren Gemeinden. In der, erzählt er, stand eine kostenaufw­endige Baugeschic­hte an. Um Geld dafür zu sammeln, wurde im Gemeindebr­ief ein Bild veröffentl­icht – von Pater Brown. Denn der wirbt in „Das schwarze Schaf“mit einem Modell seiner Kirche um Spenden für deren Ausbau. Jedenfalls: Wenige Tage nach Erscheinen des Gemeindebr­iefs klingelte es an der Tür des Pfarramts, so Grabow: Ein Schreiner bot an, auch so eine Kirche als Werbemodel­l zu bauen. O

Leben nach Lu ther. Das protestant­ische Pfarrhaus im populären Film und TV. Springer VS, 291 Seiten, 44,99 Euro Er ist einer der beliebtest­en Weihnachts­filme und in den Augen seiner Fans auch der beste: Seit 35 Jahren läuft „Der kleine Lord“jedes Jahr pünktlich zum Fest im Fernsehen und rührt mit seiner Geschichte über den liebenswer­ten Cedric und seinen grimmigen, adeligen Opa die Zuschauer zu Tränen. An Weihnachte­n 1982 hatte er Premiere im deutschen Fernsehen, heute zeigt ihn die ARD um 20.15 Uhr.

Der TV-Klassiker aus England spielt im viktoriani­schen Zeitalter: Der achtjährig­e Cedric Errol (Ricky Schroder) lebt mit seiner Mutter in armseligen Verhältnis­sen in New York. Sein Großvater, der dünkelhaft­e Earl of Dorincourt (Alec Guinness), war gegen die Heirat seines Sohnes mit Cedrics amerikanis­cher Mutter und verstieß ihn. Doch nun sind alle Söhne des Earls tot und Cedric sein einziger Erbe – deshalb holt ihn der Alte auf seinen englischen Stammsitz, um aus ihm einen echten Lord mit feinen Manieren zu machen. Cedric bringt mit seinem kindlichen Optimismus frischen Schwung ins Leben des hartherzig­en Earl of Dorincourt. Umso größer ist das Entsetzen, als plötzlich eine Frau auftaucht und behauptet, ihr Sohn sei der rechtmäßig­e Erbe.

„Der kleine Lord“(Originalti­tel: „Little Lord Fauntleroy“) wurde 1980 von der BBC als Weihnachts­film gedreht. Als Vorlage diente der 1886 geschriebe­ne Jugendroma­n „Little Lord Fauntleroy“von Frances Hodgson Burnett. Gefilmt wurde unter anderem auf dem englischen Belvoir Castle, das später auch als Kulisse für den Film „The Da Vinci Code“diente.

Warum „Der kleine Lord“so beliebt ist? Wegen der märchenhaf­ten Geschichte rund ums Thema Nächstenli­ebe. Wegen der Handlung, die in einer englischen Bilderbuch­landschaft spielt und mit einem perfekten Weihnachts­fest endet, bei dem Lieder wie „We Wish You A Merry Christmas“ertönen. Und wegen Hauptdarst­eller Alec Guinness: Er erweckt die im Buch etwas stereotype Figur des verbittert­en Patriarche­n zum Leben. All das macht den Film zum Quotenphän­omen: Alle Jahre wieder schauen ihn Millionen Menschen in Deutschlan­d an. 1996 sahen sogar 8,34 Millionen die 20.15-Uhr-Ausstrahlu­ng in der ARD. Danach sicherte sich Sat.1 die Rechte. Seit 2001 ist der Film zurück in der ARD. Was oft vergessen wird: Der Stoff hat eine lange Kinotradit­ion. 1921 spielte Mary Pickford in einer Doppelroll­e Cedric und seine Mama. Publikumsl­iebling Freddie Bartholome­w war dann 1936 „Der kleine Lord“. Das BRFernsehe­n zeigt die selten gesehene Version heute um 23.25 Uhr.

Für die Fernsehsen­der bietet ein Film wie „Der kleine Lord“eine willkommen­e „Programmie­rbarkeit der Gefühle“, wie es die Medienwiss­enschaftle­rin Britta Hartmann von der Universitä­t Bonn ausdrückt. „Der kleine Lord“garantiert also große Gefühle – oder wie es der Spiegel vor fast genau zehn Jahren formuliert­e: Unausrottb­ar sei die Lust der Deutschen nach Märchen.

 ?? Fotos: dpa, ARD Degeto, U. Düren/H. Kaiser, dpa, Schöllhorn ?? Unvergesse­n: Robert Atzorn und Maren Kroymann in „Oh Gott, Herr Pfarrer“; Fernandel und Gino Cervi in „Don Camillo und Peppone“(oben). Die Pfarrer Serie – mal witzig, mal modern: Otti Fischer als „Pfarrer Braun“(Mitte, Bild links unten) und Simon Böer...
Fotos: dpa, ARD Degeto, U. Düren/H. Kaiser, dpa, Schöllhorn Unvergesse­n: Robert Atzorn und Maren Kroymann in „Oh Gott, Herr Pfarrer“; Fernandel und Gino Cervi in „Don Camillo und Peppone“(oben). Die Pfarrer Serie – mal witzig, mal modern: Otti Fischer als „Pfarrer Braun“(Mitte, Bild links unten) und Simon Böer...
 ?? Foto: ARD Degeto, dpa ?? Ricky Schroder (links) und Alec Guinness in einer Szene des Kult Films „Der kleine Lord“von 1980.
Foto: ARD Degeto, dpa Ricky Schroder (links) und Alec Guinness in einer Szene des Kult Films „Der kleine Lord“von 1980.

Newspapers in German

Newspapers from Germany