Oh Gott, Herr Pfarrer!
Seit Jahrzehnten gehören Geistliche zum Stammpersonal von Filmen und Serien. Aber warum eigentlich? Wo doch die Zahl der Kirchenaustritte steigt und immer wieder Skandale für Aufsehen sorgen
Benedikt XVI., inzwischen emeritierter Papst, hat eine LieblingsfilmReihe: „Don Camillo und Peppone“. Don Camillo ist dieser gewitzte Dorfpfarrer, der sich mit dem kommunistischen Bürgermeister anlegt. Die Geschichten über die beiden, ersonnen von Giovannino Guareschi und mehrfach verfilmt, haben Kultstatus. Er kenne sie beinahe auswendig, erzählte Benedikt einmal. Auch sein Nachfolger Franziskus ist ein Fan. Er wünsche sich, sagte er, mehr Priester und Bischöfe vom Schlage eines Don Camillos. Der sei einer, der alles und jeden in seiner Pfarrei kenne und die Sorgen und Nöte seiner Gläubigen teile.
Klar, dass so einer Eindruck macht auf seine Mitmenschen. Was auch die Filmbranche erkannt hat – und seit Jahrzehnten katholische wie evangelische Priester oder Ordensleute als Film- und Fernsehfiguren in die unterschiedlichsten Abenteuer stürzt. So richtig begonnen hat das in Deutschland mit „Oh Gott, Herr Pfarrer“: Die ARD-Serie von Felix Huby, die Robert Atzorn 1988 schlagartig zum Fernsehstar werden ließ, war ein echter Überraschungserfolg – und hat sich im kollektiven Gedächtnis als Prototyp der deutschen Priester-Serie verankert.
Schon vorher gab es Produktionen, in denen Priester eine zentrale Rolle spielten, wie der – protestantische – Theologe Manfred Tiemann in seinem Buch „Leben nach Luther“über Pfarrerfiguren in Film und Fernsehen vermerkt. Aber „Oh Gott, Herr Pfarrer“sei mit den Geschichten über den protestantischen Stuttgarter Vorortpastor eine Art Türöffner gewesen, stellt er fest. Seither gehörten TV-Produktionen mit klerikalen Protagonisten zum festen Repertoire des Fernsehens.
Bei ARD und ZDF reicht die Liste der Serien von „Mit Leib und Seele“über „Pfarrerin Lenau“bis zu „Um Himmels Willen“. RTL und Sat.1 entdeckten das Genre ebenfalls: „Bruder Esel“(RTL) wurde 1997 sogar mit einem Grimme-Preis geehrt. Populäre Filmreihen sind „Pfarrer Braun“mit Otfried Fischer als kriminalisierenden Priester, „Lena Fauch“mit Veronica Ferres als Polizeiseelsorgerin sowie „Der Hafenpastor“mit Jan Fedder als Pfarrer in St. Pauli.
Darüber hinaus gab es in den letzten drei Jahrzehnten eine Vielzahl von Dramen, Krimis und Komödien, die vor allem eins zeigten: Ähnlich wie die Kommissare sind Pfarrer und Pfarrerinnen immer im Dienst. Warum sie sich aber so gro- Beliebtheit erfreuen, diese Frage lässt Tiemann offen. Zumal ja die Bedeutung der Kirchen stetig abzunehmen scheint, die Zahl der Kirchenaustritte steigt und immer wieder Skandale für Aufsehen sorgen.
Für Thomas Dörken-Kucharz, ARD-Beauftragter der evangelischen Kirche, sind Pfarrer als Fernsehfiguren schon deshalb interessant, „weil sie anders sind. Sie behaupten einen Gegenentwurf zur vorhandenen Welt und sind doch ganz normale Menschen.“Außerdem brächten sie „per se eine Spannung mit, die Filme oder Serien fruchtbar machen können“, sagt er. „Sie predigen Ethik, aber halten sie sich selbst daran?“
Ute Stenert, Rundfunkbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, sieht den Reiz der klerikalen Filmfiguren eher im emotionalen Bereich. „Serien und Fernsehfilme transportieren starke Gefühlsmomente“, sagt sie. Und in dieser Hinsicht hätten die entsprechenden Geschichten eine Menge zu bieten – „in Glücksmomenten wie etwa einer Hochzeit oder der Taufe eines Kindes, aber vor allem in Extremsituationen, etwa bei Unfällen, Konflikten, Naturkatastrophen oder Todesfällen“. Zudem sei die Sehnsucht der Menschen nach einer moralischen Instanz ungebrochen.
Tatsächlich sind die TV-Pfarrer in der Regel Respektspersonen mit vertrauenerweckender Ausstrahlung. Sie stehen für Werte, an denen man sich orientieren kann. Was nicht immer so war. Der TV- und Filmpfarrer hat sich, so Manfred Tiemann, seit seinem ersten Auftritt in dem Stummfilm „Des Pfarrers Töchterlein“von 1913 stark gewandelt. Aus den gern mit „Hochwürden“angesprochenen Figuren der Melodramen und Heimatfilme früherer Jahre sind „normale“, nahbare Menschen geworden. Sie sind humorvoll und setzen sich für Minderheiten ein – auf diese Weise können sich auch nicht-gläubige Zuschauer mit ihnen identifizieren. Schon Robert Atzorns Pfarrer trug vor dreißig Jahren lieber Jeans als Talar.
Auch der Themenkanon, der in den Produktionen abgehandelt wird, hat sich gewandelt. Da sich im protestantischen Pfarrhaus oft genug auch Kinder tummeln, sind die theologischen Diskurse weltlichen Aspekten wie Erziehungsfragen oder Ehekrisen gewichen. Auch dafür gibt es mit „Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen“einen Prototypen, zumal sich die ZDF-Serie von 2013 über den verwitweten Pfarrer auch noch mit den charakteristischen Problemen einer Patchwork-Familie befasst. In den Fernßer sehfilmen wird stärker problematisiert – so steht in „Das dunkle Nest“(2011) ein Geistlicher im Verdacht, ein Mädchen ermordet zu haben, und in „Am Kreuzweg“aus demselben Jahr hat ein katholischer Priester zwei Kinder. Und, natürlich, geht es auch um Glaubenskrisen.
Wie wenig noch die theologische Kompetenz der Pfarrer im Fernsehen im Mittelpunkt steht – und diese stattdessen eher als Sozialarbeiter gefragt sind – belegt Tiemann anschaulich anhand ihrer Predigten. Die Themen Kirche, Religion und Glaubensgrundsätze würden mittlerweile „auf bloße Alltagsphilosophie reduziert“.
Michael Grabow, der evangelisch-lutherische Regionalbischof im Kirchenkreis Augsburg und Schwaben, sagt, er interessiere sich für die derzeit laufenden Serien, in denen Pfarrer oder Nonnen im Mittelpunkt stehen, nicht so sehr. „Die sind sicher nett anzusehen, aber weit von jeder Realität entfernt“, meint Grabow. „Der Beruf des Pfarrers, der Pfarrerin fordert sehr viel, und zwar jeden Tag: Begleitung in allen Lebenslagen, von der Geburt eines Kindes bis zur Trauerbegleitung und Beerdigung etwa.“Hinzu kämen Verwaltungsaufgaben oder das Unterrichten in Schulen. Die aktuellen Filme und Serien würden all dem nicht gerecht werden.
Realität und Fiktion – manchmal gehen sie auf wunderbare Weise dennoch ineinander über. Grabow erinnert sich gut an die PaterBrown-Filme mit Heinz Rühmann, insbesondere an eine Situation in einer seiner früheren Gemeinden. In der, erzählt er, stand eine kostenaufwendige Baugeschichte an. Um Geld dafür zu sammeln, wurde im Gemeindebrief ein Bild veröffentlicht – von Pater Brown. Denn der wirbt in „Das schwarze Schaf“mit einem Modell seiner Kirche um Spenden für deren Ausbau. Jedenfalls: Wenige Tage nach Erscheinen des Gemeindebriefs klingelte es an der Tür des Pfarramts, so Grabow: Ein Schreiner bot an, auch so eine Kirche als Werbemodell zu bauen. O
Leben nach Lu ther. Das protestantische Pfarrhaus im populären Film und TV. Springer VS, 291 Seiten, 44,99 Euro Er ist einer der beliebtesten Weihnachtsfilme und in den Augen seiner Fans auch der beste: Seit 35 Jahren läuft „Der kleine Lord“jedes Jahr pünktlich zum Fest im Fernsehen und rührt mit seiner Geschichte über den liebenswerten Cedric und seinen grimmigen, adeligen Opa die Zuschauer zu Tränen. An Weihnachten 1982 hatte er Premiere im deutschen Fernsehen, heute zeigt ihn die ARD um 20.15 Uhr.
Der TV-Klassiker aus England spielt im viktorianischen Zeitalter: Der achtjährige Cedric Errol (Ricky Schroder) lebt mit seiner Mutter in armseligen Verhältnissen in New York. Sein Großvater, der dünkelhafte Earl of Dorincourt (Alec Guinness), war gegen die Heirat seines Sohnes mit Cedrics amerikanischer Mutter und verstieß ihn. Doch nun sind alle Söhne des Earls tot und Cedric sein einziger Erbe – deshalb holt ihn der Alte auf seinen englischen Stammsitz, um aus ihm einen echten Lord mit feinen Manieren zu machen. Cedric bringt mit seinem kindlichen Optimismus frischen Schwung ins Leben des hartherzigen Earl of Dorincourt. Umso größer ist das Entsetzen, als plötzlich eine Frau auftaucht und behauptet, ihr Sohn sei der rechtmäßige Erbe.
„Der kleine Lord“(Originaltitel: „Little Lord Fauntleroy“) wurde 1980 von der BBC als Weihnachtsfilm gedreht. Als Vorlage diente der 1886 geschriebene Jugendroman „Little Lord Fauntleroy“von Frances Hodgson Burnett. Gefilmt wurde unter anderem auf dem englischen Belvoir Castle, das später auch als Kulisse für den Film „The Da Vinci Code“diente.
Warum „Der kleine Lord“so beliebt ist? Wegen der märchenhaften Geschichte rund ums Thema Nächstenliebe. Wegen der Handlung, die in einer englischen Bilderbuchlandschaft spielt und mit einem perfekten Weihnachtsfest endet, bei dem Lieder wie „We Wish You A Merry Christmas“ertönen. Und wegen Hauptdarsteller Alec Guinness: Er erweckt die im Buch etwas stereotype Figur des verbitterten Patriarchen zum Leben. All das macht den Film zum Quotenphänomen: Alle Jahre wieder schauen ihn Millionen Menschen in Deutschland an. 1996 sahen sogar 8,34 Millionen die 20.15-Uhr-Ausstrahlung in der ARD. Danach sicherte sich Sat.1 die Rechte. Seit 2001 ist der Film zurück in der ARD. Was oft vergessen wird: Der Stoff hat eine lange Kinotradition. 1921 spielte Mary Pickford in einer Doppelrolle Cedric und seine Mama. Publikumsliebling Freddie Bartholomew war dann 1936 „Der kleine Lord“. Das BRFernsehen zeigt die selten gesehene Version heute um 23.25 Uhr.
Für die Fernsehsender bietet ein Film wie „Der kleine Lord“eine willkommene „Programmierbarkeit der Gefühle“, wie es die Medienwissenschaftlerin Britta Hartmann von der Universität Bonn ausdrückt. „Der kleine Lord“garantiert also große Gefühle – oder wie es der Spiegel vor fast genau zehn Jahren formulierte: Unausrottbar sei die Lust der Deutschen nach Märchen.