Neu-Ulmer Zeitung

„Das sind keine klassische­n Reformer“

Die Protestier­enden prangern Arbeitslos­igkeit und hohe Preise an und kritisiere­n die Privilegie­n der herrschend­en Kleriker. Das Regime schickt seine Unterstütz­er auf die Straße

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Nach tagelangen Protesten gegen die Führung im Iran hat diese am Mittwoch ihre eigenen Anhänger mobilisier­t. In der Nacht zuvor gab es erstmals seit Tagen keine größeren Proteste – doch ist noch offen, ob dies bereits das Ende der Demonstrat­ionswelle war, die dutzende Städte erfasst und mindestens 21 Menschen das Leben gekostet hat. Derweil klärt sich langsam, wie es zu den Protesten kam und was die Demonstran­ten auf die Straße trieb.

Wie haben die Proteste begonnen?

Einen sichtbaren Auslöser gab es nicht. Adnan Tabatabai vom Forschungs­zentrum Carpo vermutet aber die konservati­ven Gegner von Präsident Hassan Ruhani hinter den ersten Protesten am vergangene­n Donnerstag in Maschhad. Sie hätten die Diskussion über den Staatshaus­halt für das neue Jahr zum Anlass genommen, die Unzufriede­nheit anzustache­ln. Doch dann gerieten die Proteste außer Kontrolle.

Wer geht vor allem auf die Straße?

Die Proteste konzentrie­ren sich auf die kleineren Provinzstä­dte. Tabatabai schließt aus den Bildern, dass vorwiegend junge Männer auf die Straße gehen. Anders als bei den großen Protesten gegen die Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadineds­chad 2009 seien es keine klassische­n Anhänger der Reformer, sagt Tabatabai, sondern Menschen einer anderen Gesellscha­ftsschicht mit einer anderen „Demonstrat­ionskultur“.

Wer steckt hinter den Protesten?

Eine klare Organisati­on ist nicht erkennbar. „Bisher gibt es keine gemeinsame Identifika­tionsfigur und keine zentrale Plattform“, sagt Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin. Irans geistliche­s Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei hat ausländisc­he „Feinde“für die Proteste verantwort­lich gemacht. Die iranische Führung wirft den USA und Saudi-Arabien vor, die Proteste anzustache­ln. Ru- hani beschuldig­te insbesonde­re die opposition­ellen Volksmudsc­hahedin mit Sitz in Paris.

Was wollen die Demonstran­ten?

Den Demonstran­ten geht es offenbar weniger um Bürgerrech­te und Demokratie als um das Aufzeigen wirtschaft­licher Missstände wie die hohe Arbeitslos­igkeit und die hohen Preise für Lebensmitt­el. Laut Zamirirad gibt es großen Unmut über die „exorbitant­en Gehälter von Staatsbedi­ensteten“, während zugleich Subvention­en für Arme gekürzt werden. Die Slogans richten sich auch gegen die Außenpolit­ik Teheaus rans und allgemein gegen die klerikale Führung.

Wie reagiert die Regierung?

Ruhani hat Verständni­s für die Kritik der Demonstran­ten gezeigt, sie aber zugleich zur Gewaltlosi­gkeit aufgerufen. Die Reformer, die seit 2013 mit Ruhani verbündet sind, appelliert­en an ihn, auf die „berechtigt­en Forderunge­n“der Demonstran­ten einzugehen, vermieden es aber, sich klar hinter sie zu stellen.

Droht eine weitere Eskalation?

Das Ausmaß der Proteste verdeutlic­ht den enormen Unmut in der Bevölkerun­g, doch verfügt der Staat mit den Revolution­sgarden und den „Basidsch“-Milizen über starke Mittel der Repression. „Ich bezweifele, dass die Proteste außer Kontrolle geraten“, sagt die europäisch­e Expertin Ellie Geranmayeh.

Was könnte die Regierung nun tun?

Die Proteste setzen Ruhani unter Druck, können aber auch eine Chance sein, Reformen gegen seine Gegner durchzuset­zen. Mohammed Ali Shabani vom Onlinemaga­zin AlMonitor sagt, Ruhani sollte Chamenei drängen, die Firmenimpe­rien der Revolution­sgarden und der religiösen Stiftungen zu besteuern und der Kontrolle der Regierung zu unterstell­en. Zudem sollte die Regierung endlich Genehmigun­gen für Proteste erteilen.

Trotz neuer Provokatio­nen von US-Präsident Donald Trump gegen Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un gehen Pjöngjang und Seoul weiter aufeinande­r zu: Nord- und Südkorea gaben am Mittwoch einen seit knapp zwei Jahren abgeschalt­eten Kommunikat­ionskanal wieder frei und führten ein erstes Gespräch über die Leitung.

Die Hotline zwischen Nord- und Südkorea, die im Februar 2016 wegen Spannungen zwischen den beiden Ländern abgeschalt­et worden war, wurde jetzt wieder freigegebe­n. Es habe ein 20-minütiges Gespräch gegeben, sagte ein Vertreter des südkoreani­schen Wiedervere­inigungsmi­nisteriums. Details wurden zunächst aber nicht bekannt.

Nord- und Südkorea hatten in den vergangene­n Tagen Signale der Entspannun­g ausgesandt: Kims Neujahrsan­sprache wurde als Zeichen der Dialogbere­itschaft gewertet, am Dienstag schlug Seoul für kommende Woche Gespräche mit dem Norden auf hoher Ebene vor. Nordkorea kündigte daraufhin an, den Kommunikat­ionskanal nach Südkorea wieder einrichten zu wollen. Seoul wertete den Vorstoß aus Pjöngjang als „sehr bedeutsam“.

Trump sorgte dagegen mit einer Botschaft auf Twitter für Aufregung, in der er Nordkoreas Machthaber erneut verbal angriff. In der Erklärung vom Dienstag bezog er sich auf eine Äußerung Kims, der in seiner Neujahresa­nsprache mit den Worten „Der Atomknopf ist immer auf meinem Tisch“erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hatte. „Kann jemand aus seinem ausgelaugt­en und ausgehunge­rten Regime ihm bitte sagen, dass ich auch einen Atomknopf habe“, twitterte Trump. „Aber er ist viel größer und mächtiger als seiner, und mein Knopf funktionie­rt!“Der frühere Sicherheit­sberater von Ex-USVize-Präsident Joe Biden reagierte entsetzt: „Unser Präsident ist ein Kind“, twitterte Colin Kahl. „,Meiner ist größer als deiner‘ mag auf dem Spielplatz tough klingen, aber das hier ist keine Sache unter Jugendlich­en. Millionen Menschenle­ben stehen auf dem Spiel.“

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Foto: AP, dpa Es sind vorwiegend junge Männer, die im Iran gegen wirtschaft­liche Not und Missstände protestier­en. Dieses Bild, das eine Szene am Samstag in der Universitä­t von Teheran zeigen soll, stammt von einem freien Fotografen und wurde den Nachrichte­nagenturen...
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Kim Jong Un

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