Schüsse in der Nachbarschaft
Die Ukraine ist kaum mehr als zwei Flugstunden von Deutschland entfernt – der dortige bewaffnete Konflikt findet in unserer unmittelbaren Nähe statt. Auch deswegen muss die Bundesrepublik ein elementares Interesse daran haben, dass zwischen Regierungstruppen und Separatisten im Osten des Landes die Waffen schweigen. Außenminister Sigmar Gabriel, wenn auch nur geschäftsführend im Amt, kommt mit dem Besuch in Kiew weiter seiner Aufgabe nach – auch ohne den zunächst geplanten Besuch an der Front.
Wichtiger ist, dass sich die deutsche Diplomatie nicht unkritisch verhält. Denn das Minsker Abkommen, das auch unter Vermittlung Deutschlands 2015 geschlossen wurde, wird von allen Seiten verletzt. Die Separatisten haben sich nicht wie vereinbart von der „Kontaktlinie“zurückgezogen, Russland hat seine Unterstützung nicht eingestellt. Andererseits vermochte die Regierung in Kiew die in Minsk gemachten politischen Zusagen nicht zu erfüllen. Außerdem ist das Land bei den Reformen stecken geblieben: Noch immer ziehen Oligarchen die Fäden, die Korruption blüht weiter.
Es führt also kein Weg daran vorbei, alle am Konflikt Beteiligten wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Eine „robuste“Friedensmission, wie jetzt von Gabriel gefordert, könnte zumindest die Gewalt an der Frontlinie eindämmen.
Aber auch die tieferen Ursachen müssen gelöst werden – sonst wird nie Ruhe einkehren. Die Konfliktregionen lassen sich nur dann wieder in die Ukraine eingliedern, wenn sie in einer föderalen Struktur umfassende Autonomierechte erhalten. Auch Russland muss ein Interesse haben, daran mitzuwirken. Sonst kann Präsident Wladimir Putin nicht erwarten, dass der Westen die Wirtschaftssanktionen aufhebt.