Brecht, der Gulliver unter Zwergen
B. K. Tragelehn war Schüler des großen Dramatikers. Als Gast des Augsburger Brechtfestivals spricht er über seinen Lehrer, das Berliner Ensemble und das DDR-Theater
Was ist für Sie als ehemaliger Schüler Bert Brechts in den 1950er Jahren die schönste Erinnerung an den Dramatiker?
Ich habe kein Abitur, weil ich während der Prüfung gespickt hatte in Chemie und deshalb ausgeschlossen wurde. Ich jobbte dann in der ehemaligen DDR und besuchte in meinen Ferien die Proben des Berliner Ensembles, wodurch sich natürlich auch Treffen mit Brecht ergaben. Er sagte zu mir, wenn ich mal etwas schreiben würde, solle ich es ihm schicken. Und das tat ich dann auch – zum Thema „Kreidekreis“. Brecht wollte ja junge und unschuldige Menschen haben, nicht durch eine Akademie sozusagen „versaute“. Und er schlug mich dann 1955 zum Akademieschüler vor. Haben Sie auch eine unangenehme Erinnerung an Brecht?
Nein. Aber berühmt waren die Kräche im Berliner Ensemble. Brecht konnte sich wirklich erregen und wütend werden. Aber er beendete diese Kräche auch immer mit einem Witz – oder gegebenenfalls mit einer Entschuldigung. Einer dieser Witze hieß: „Fünf Theater gibt es in Berlin, darunter vier schlechte.“Mein Grundeindruck von ihm war: ein Gulliver, der sich vorsichtig bewegt, damit er keinen Zwerg erdrückt. Und Brecht war formvollendet höflich, aber nicht steif.
Kurz nach dem Bau der Mauer mussten Sie zur Disziplinierung in den Braunkohle-Tagebau – weil Sie Heiner Müllers Drama „Die Umsiedlerin“uraufgeführt hatten und dieses als „konterrevolutionär“eingestuft wurde. Was ging da in Ihnen vor?
Das war eine dumme Verfahrensweise der DDR. Es war zu dieser Zeit nicht möglich, Realität auf der Bühne zur Geltung zu bringen. „Die Umsiedlerin“war ja Müllers erstes großes Stück. Für mich waren die Folgen nicht komisch, weil ich nicht wusste, wie lange das dauern würde im Braunkohle-Tagebau. Aber nach einem halben Jahr war das beendet – auch wegen meiner Frau und unserem kleinen Kind und weil ein Parteisekretär die Losung ausgegeben hatte: „Für Ideologie wird nicht mehr verhaftet.“Aber zwei Jahre Berufsverbot hatte ich dennoch, wie auch Heiner Müller. Mit ihm teilte ich auch das Braunkohle-Deputat, das ich noch hatte. In dieser Zeit schrieb und übersetzte ich, teils unter falschem Namen.
Wie entwickelte sich in der DDR die Rezeption Brechts nach seinem Tod?
Zu Brechts Zeiten lag der Mittelpunkt des Welttheaters am Schiffbauerdamm. Da pilgerten die Menschen auch aus Westberlin hin – zu den Inszenierungen berühmter internationaler Regisseure. Die Wirkung nach Brechts Tod dann war: Es wurde ein Stil übernommen – nicht eine Methode. Plötzlich lagen überall Rupfen auf den Bühnen, der Stil schwappte auch auf andere Theater über. Und dann wurden im Berliner Ensemble auch die alten Inszenierungen weitergespielt, manchmal mit der fünften und sechsten Besetzung. Das Theater wurde zum Museum. Dabei hatte Brecht doch gewollt, dass neue Stücke zu spielen seien und mit den dabei zu verwendenden Mitteln die alten Stücke auch neu zu inszenieren sind. Momentan scheint die Brecht-Rezeption häufig durch Ironisierung seiner Werke bestimmt zu sein.
Die heutige Situation ist so: Brecht ist den Weg aller Klassiker gegangen. Die Theater und die Schulen verwursten seine Stücke. Was Sie Ironisierung nennen, geht von dem falschen Brecht-Bild eines „Belehr mich!“aus. Ein altes deutsches Leiden. Dabei wollte Brecht nicht belehren. Aber er wollte, dass der Zuschauer Lehren ziehen kann. Darin liegt ein entscheidender Unterschied. Was sollte sich Ihrer Meinung nach bei der Inszenierung von Brecht-Dramen ändern?
Das Theater ist im Moment in keinem lebendigen Zustand. Die Intendanten sind damit beschäftigt, „Events“zu kreieren; und Romane werden um der Tantiemen willen zu Stücken umfunktioniert. Die Änderung zum Besseren wäre meiner Ansicht nach: a) gute Stücke auswählen und mit ihnen dann b) auf ein gegenwärtiges Interesse hinarbeiten. Interview: Rüdiger Heinze Ein Museum im texanischen Austin hat das letzte Werk des 2015 gestorbenen US-Künstlers Ellsworth Kelly vollendet. Kelly hatte das kapellenartige Gebäude in den 80er Jahren entworfen und das Design kurz vor seinem Tod dem Blanton Museum of Art überlassen. Das etwa 250 Quadratmeter große einstöckige Steingebäude mit bunten – in München hergestellten – Glasfenstern soll dauerhaft neben dem Blanton Museum of Art zu sehen sein. In dem Gebäude sind eine Holzskulptur und 14 schwarz-weiße Marmortafeln ausgestellt. „Austin“ist das größte Werk des 1923 geborenen Malers und Bildhauers, der hauptsächlich mit seinen minimalistischen Werken bekannt geworden war.