„Individuelle Leistung gibt es nicht“
Gerade in der Arbeitswelt spielt Leistung eine große Rolle. Historikerin Nina Verheyen nimmt den Begriff auseinander und erklärt, warum viele Menschen ihm zu viel Bedeutung zumessen
Frau Verheyen, Sie haben Ihr Buch die „Die Erfindung der Leistung“genannt. Haben Menschen denn nicht schon immer danach gestrebt, sich anzustrengen, also etwas zu leisten?
Natürlich gehört es gewissermaßen zum Menschsein, Fähigkeiten zu entwickeln und zu vergleichen. Kinder laufen ja schon auf dem Spielplatz um die Wette und am Ende ruft einer „Erster!“. Aber das hat wenig mit der Systematik zu tun, mit der unsere Gesellschaft um den Gedanken kreist, individuelle Leistung sei eine messbare Größe, entlang derer Menschen hierarchisiert werden können. Wir verwenden unheimlich viel Geld und Zeit darauf, Leistungen möglichst exakt zu ermitteln, sie zu steigern und zu feiern.
Ist Leistung denn etwas Negatives?
Problematisch ist, dass wir über angebliche Leistungsunterschiede soziale Ungleichheit rechtfertigen. Wir gestehen uns aber nicht ein, wie unscharf diese Kategorie ist. Mit meinem Buch will ich vor allem dazu auffordern, Leistung nicht als objektive, messbare Größe zu denken, die sich einer Einzelperson eindeutig zuordnen lässt, sondern den Denkhorizont zu erweitern. Das fängt bei der Geschichte des Wortes an.
Was haben Menschen früher gemeint, wenn sie von Leistung sprachen?
Ganz am Anfang stand „leisten“für das Folgen einer Spur oder einer Fußspur. Daraus wurde die Erfüllung einer Schuld, dann die aktive Übernahme einer Verpflichtung. Um 1800 veranschaulichten Wörterbücher das Wort mit Formeln wie „jemandem einen Dienst leisten“, ihm Hilfe, Schutz oder auch Gesellschaft leisten. Das hat nichts mit dem zu tun, was heute oft assoziiert wird: Arbeit pro Zeit. Statt um Physik ging es um etwas, das eine Person für eine andere tat, tun sollte oder wollte.
Sie schreiben, heute trenne Leistung Menschen eher voneinander als sie zu verbinden. Wann hat das angefangen?
Man kann keinen konkreten Startpunkt festlegen. Aber seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Erfahrung breiter Bevölkerungsgruppen stark verdichtet, dass „Leistung“im Sinne einer objektiven, individuellen Größe nicht nur unter anwesenden Personen verglichen wird, sondern durch IQ-Tests oder tendenziell universal gemessen werden kann. Es gab verschiedene Faktoren, die das befördert haben: unter anderem der zunehmende Einfluss der empirischen Wissenschaften und die Industrialisierung sowie der aus beidem resultierende Gedanke, die Arbeitskraft zunächst von Fabrikarbeitern zu messen und zu steigern. Dazu kamen immer stärkere Verflechtungen zwischen den Nationen. Die Menschen begannen, ihre Errungenschaften auf Weltausstellungen zu präsentieren oder in den Olympischen Spielen der Neuzeit gegeneinander anzutreten. Wer sich für die entstehenden großen Sportereignisse begeisterte, wurde schrittweise an den Gedanken gewöhnt, dass es individuelle Leistungen gibt, die sich exakt bestimmen lassen, um Menschen zu hierarchisieren. Eine Einstellung, von der wir ja bis heute nicht wirklich abweichen.
Ein aktuelles Beispiel ist die Abiturnote. Diese mathematisch berechnete Zahl suggeriert enorme Präzision. Dabei ist sie zugleich Ausdruck von subjektiven Bewertungen, die sehr unterschiedlich ausfallen können Und obwohl wir das eigentlich wissen, geben wir dieser Abschlussnote ein unglaubliches Gewicht: Sie entscheidet mit, wer auf welcher Universität was studieren kann.
Was wäre die Alternative? Ganz ohne Vergleichsinstrument geht es doch nicht.
Klar, man braucht schließlich Regeln und Standards. Sie erleichtern uns den Alltag, ohne könnten wir uns gar nicht organisieren. Ich möchte dafür sensibilisieWeltrekorde ren, dass diese Regeln historisch gewachsen sind und sich ändern können. Leistung wird im Alltag immer wieder neu ausgehandelt. Auch das meine ich mit meinem Titel „Die Erfindung der Leistung“. Jeder versteht also etwas anderes darunter?
Der Begriff ist eine Unschärfeformel. Geht es um Potenziale oder Ergebnisse? Das Bildungsniveau? Die Erwerbsarbeit? Den Grad der Anstrengung? Den Grad des ökonomischen Erfolgs? Ein Beispiel: Je nach Blickwinkel lässt sich die Leistung von Pflegern ganz unterschiedlich interpretieren. Sie werden schlecht bezahlt. Aber wenn man Leistung so versteht, dass ein Mensch etwas für andere tut, dann sind Pfleger eigentlich Leistungsträger par excellence. Vorhin haben Sie gesagt, Leistung lasse sich einer Einzelperson nicht eindeutig zuordnen...
Individuelle Leistung gibt es nicht, jedenfalls nicht in einem quasi-physikalischen Sinn. Wir handeln nicht losgelöst von anderen. Alles, was wir schaffen, basiert auf ganz breiten Unterstützungsnetzwerken. Wir stützen uns ständig auf andere, so wie wir auch andere stützen oder stützen sollten. Das fängt in der Familie an. Das Elternhaus ist unheimlich wichtig dafür, dass Kinder bestimmte Potenziale entwickeln. Dazu kommt die Schule, einzelne Lehrer, die Schüler fördern.
Aber nicht jeder wird von seinem Umfeld gleich unterstützt.
Genau. Manche Personen können auf ein sehr großes Netzwerk zurückgreifen, andere nur auf ein sehr kleines. Mein Anliegen ist, dass man genau das im Hinterkopf behält: dass nicht jeder gleich unterstützt wird. Die Schülerin, die durchschnittliche Noten hat, aber zu Hause viel helfen muss, leistet also nicht unbedingt weniger als die Schülerin, die sehr gute Noten hat. Auch daraus folgt: Leistung ist eine soziale Größe. Interview: Sarah Schierack Die Bahn will künftig nicht mehr bei jedem Fahrgast die Fahrscheine überprüfen. Wer eine Platzreservierung hat und sich selbst über das Smartphone eingecheckt hat, soll ab Mai nicht mehr kontrolliert werden, wie Bahnchef Richard Lutz der Bild am Sonntag sagte. Der Zugbegleiter wisse dann künftig, dass auf diesem Platz der eingecheckte Fahrgast sitze. Somit könne sich das Zugpersonal mehr „um die individuellen Wünsche der Fahrgäste kümmern“, sagte Lutz. Mit einem neuen Wetter-Lagezentrum will die Bahn zudem die Pünktlichkeit verbessern. Dort sollen demnach künftig die Informationen zusammenlaufen, „die wir zur Verbesserung der Pünktlichkeit brauchen“. Dadurch solle es bei Unwettern zu weniger Ausfällen kommen. Die Deutschen haben im vergangenen Jahr deutlich weniger Butter gekauft als im Vorjahr. Schuld waren einer Studie zufolge die hohen Preise. Insgesamt seien 2017 im Lebensmittelhandel und in Drogeriemärkten rund 266 Millionen Kilogramm Butter verkauft worden, schreibt das Marktforschungsunternehmen Nielsen darin. Das seien rund zwölf Prozent weniger als im Vorjahr. Die Butterpreise waren 2017 zeitweise auf den höchsten Stand seit Jahrzehnten gestiegen. Noch im September kostete das 250-Gramm-Paket im Preiseinstiegsbereich 1,99 Euro. Inzwischen liegt der Peis bei 1,59 Euro.