Bewegte Jahre einer Kunstresidenz
Einst als prachtvolles Anwesen konzipiert, gammelte das Haus später vor sich hin. Vor 50 Jahren wurde ein Museum daraus. Zwei Ausstellungen würdigen die bewegte Geschichte
Unglaublich, diese Dynamik. Endlich kann man die Amazone in ihrer ganzen Pracht erfassen, um sie herumgehen und bis ins Detail studieren, wie sie auf ihrem Ross kraftvoll ausholt, um gleich einen tödlichen Speer loszuschleudern. Zum großen Jubiläum reitet die wilde Kriegerin nicht mehr im Vorgarten der Münchner Stuckvilla, sondern im derzeit lichtdurchfluteten Neuen Atelier, das sich der Meister 1914 just für solche Riesenprojekte hat bauen lassen.
Freilich, aus den grandiosen Aufträgen ist nichts mehr geworden. Der Erste Weltkrieg hatte begonnen und die deutschen Stadtoberen und ihre Baumeister plagten andere Sorgen, als öffentliche Plätze mit monumentalen Skulpturen zu versehen. Die Amazone, die noch im Gigantensaal der Kunstakademie modelliert worden war, blieb jedenfalls die erste und letzte Großplastik Franz von Stucks, 1912 von der Stadt Köln geordert.
Stuck, der es in einer rasanten Karriere zum allseits hofierten Star der Münchner Secession und der Jugendstil-Szene gebracht hatte, wohnte seit 1898 nicht nur in einem aufsehenerregenden Gesamtkunstwerk, das er bis in die kleinste Ornamentwindung selbst konzipiert hatte. Das 1863 im niederbayerischen Tettenweis geborene Allroundtalent besaß nun auch das größte Atelier seiner Zeit. Und das war im Grunde bereits der heute so angesagte „White Cube“, in dem nichts vom Objekt ablenkt.
Dass hier jetzt ganz im Sinne Stucks mit einer Präsentation seiner Skulpturen und auf Staffeleien platzierten Malereien gefeiert werden kann, ist nichts weniger als ein Wunder. Denn als die Villa 1968 vom damaligen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel als Museum eröffnet wurde, hatte sie elende Zeiten hinter sich.
Nach dem Tod des Künstlerfürsten im Jahr 1928 und einer spektakulären Versteigerung – auch Hollywoods erster Oscar-Preisträger Emil Jannings hatte Interesse angemeldet – kam das Anwesen in den Besitz von Stucks unehelicher Tochter. Doch die schöne Mary hielt es hier nicht lange mit ihren kleinen Kindern, und damit begann das Dahindümpeln der einst so noblen Villa.
Richtig genutzt wird sie erst wieder nach dem Krieg: Zunächst ziehen die Amerikaner ein und bedienen sich großzügig beim Mobiliar. Dann eröffnet Günther Franke im Erdgeschoss eine Galerie für die klassische Moderne. Und 1946 füllen sich die übrigen Etagen mit den Studenten der Musikakademie. Auch Wolfgang Sawallisch, der spätere Chef der Bayerischen Staatsoper, übt hier noch Klavier.
Für die kunstvoll ausgestatteten Räume hat sich leider niemand inte- ressiert. In den frühen 60er Jahren ist das Gebäude schließlich so heruntergewirtschaftet, dass bereits über einen Abriss nachgedacht wird. Auch für einen massiven Umbau mit der Errichtung von Bürokomplexen anstelle des Neuen Ateliers gibt es Pläne. Erst langsam dämmert den Münchnern, was auf dem Spiel steht.
Es ist das Architektenpaar HansJoachim und Amélie Ziersch, das dem Drama 1965 ein Ende bereitet und die Villa mit allem Drum und Dran für 1,1 Millionen Mark von ins Haus. Sie ließ Künstler wie Donald Judd, Sol LeWitt oder Robert Wilson die Räume erkunden – von Letzterem trabt derzeit ein übrig gebliebener Kentaur die Wände hoch. Und sie zettelte viel beachtete Großausstellungen an wie 2001 „The Short Century“mit der aktuellen Kunst Afrikas, kuratiert von Okwui Enwezor, der seit acht Jahren das Haus der Kunst leitet.
Richtig kleben bleibt man allerdings an den unzähligen Fotos prominenter Gäste der Villa. Gunter Sachs gehört dazu, weil er hier ab 1967 sein legendäres Modern Art Museum betrieb, Schmollmund Brigitte Bardot an seiner Seite. Karl Lagerfeld überrascht durch einen „Faust“-Fotografiezyklus mit Muse Claudia Schiffer. Die nie wirklich gut gelaunte Yoko Ono spielt 1996 mit den Besuchern ihrer Ausstellung Schach, und Marina Abramovic putzt Knochenabfälle vom Schlachthof. Den bestialischen Gestank, der damals durchs Treppenhaus zog, gibt das Polaroid glücklicherweise nicht wieder. Man sieht, dass seit der Wiedereröffnung vor 50 Jahren nicht nur viel frische, sondern genauso irritierende Kunst in die Stadt gekommen ist. O
„50 Jahre Museum Villa Stuck“und „Schicksal Villa Stuck“, bis 6. Mai in der Stuckvilla, Prinzregenten straße 60, Di. – So. von 11 bis 18 Uhr. Ein Katalog zum Neuen Atelier erscheint im Herbst. Was Gitarrenmusik angeht, haben zwei US-Bands bisher das neue Jahrtausend geprägt: The White Stripes samt ihrem bis heute in Festzelten und Fußballstadien gegrölten „Seven Nation Army“und The Strokes mit lässig glanzvollen Alben wie „Is This It“und „First Impressions of Earth“. Ob die Band nun aufgelöst ist (Stripes) oder pausiert (Strokes), die Gründer sind jeweils längst auch solo aktiv. So treffen nun mit neuen Werken Jack White und Albert Hammond junior (ja, er ist der Sohn) aufeinander. Hammond serviert auf „Francis Trouble“wieder die souverän rhythmisierte Strokes-Gitarre, mit ein bisschen weniger Lässigkeit und deutlich mehr Gesangsmelodie – das ist wieder gewohnt schön, auch wenn da auf immer und ewig die Stimme von Strokes-Sänger Julian Casablancas besser passen wird. Jack White hat dagegen seine Stripes weit hinter sich gelassen, auf „Boarding House Reach“erinnert nur noch ein Song daran („Over And Over And Over“). Der Rest mäandert eigenwillig, experimentell: Country-Ballade, Musical-Pathos, Elektro-Groove… Ein Abenteuer. Das allerdings nur teilweise gelingt. Also auf unterschiedlichste Art gleiches Ergebnis für beide: okay. (ws) ★★★✩✩
(XL Rec.) (Red Bull/Sony)