Systemrelevant
In Umwelt, Zivilisation und Gesellschaft gibt es so einiges, dem wir eine Weiterexistenz wünschen. So viel Schützenswertes, Förderungswürdiges, Daseinsberechtigtes da draußen! Zebrastreifen, Steckdosen, Alleebäume, Höflichkeit, Fertiggerichte, Handschrift, Mond, Nachtruhe, Wiesenblumen, Tatort am Sonntag, ICE, Fachärzte. Anderes wiederum bleibt einfach, obwohl man es vielleicht nicht vermissen würde. Soli, Stechmücken, Parkverbote, Geschwätz, Kleingeld, Heino, Grenzkontrollen, Hundekacke, Vorurteile, Zölibat, Fahrradhelme.
Aber unverzichtbar? Was ist der Kernbestand, der nicht angetastet werden darf? Wo sind die Axiome des Daseins? Die Luft zum Atmen, die Grundrechte, die Gewaltenteilung, die Currywurst, das Internet, Fußball, der verkaufsfreie Sonntag.
Vieles ist Ansichtssache, manches immerhin Grundkonsens. Aber es gibt eine Instanz, die sich zutraut, per Definition das Unverhandelbare zu bestimmen: die Bundesregierung. Sie braucht dazu nicht viel, der Erklärungsaufwand ist überschaubar und steckt in einem einzigen Wort: systemrelevant.
Banken drohen zusammenzubrechen? Geht gar nicht, werden alternativlos gerettet, weil sie systemrelevant sind. Denn, so erklärte man es uns einst: krachen die Banken, kracht das System. Man sägt nicht an dem Ast, auf dem man sitzt.
In einer Reihe mit den Banken stehen nunmehr die Bienen. „Bienen sind systemrelevant“, sagte honigsüß die neue Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Das ist eine neue Qualität. Die Schöpfung, qualifiziert, bilanziert und relativiert durch eine Ministerin. Bienen systemrelevant, Wespen nicht? Katzen systemrelevant, Amseln nicht? Basilikum systemrelevant, Löwenzahn nicht? Wollte Klöckner unter Anspielung auf den Nutzwert der Bankenrettung sagen: Bienen müssen eine sichere Bank bleiben im Naturkreislauf?
Ist es nicht vielmehr so, dass sich die Menschheit ganz andere Fragen stellen muss? Nämlich: Was ist eigentlich das „System“? Und wie relevant ist das System?