Nur ein kurzes Tänzchen
Die Meisterfeier des FC Bayern fällt gedämpft aus: Weil der Titel erwartbar war und andere Trophäen locken. Rummenigge äußert sich zur Zukunft von Ribéry und Robben
Irgendwann ließ er sich doch erweichen, derart laut hallten die „Jupp“-Rufe der rot-weißen Anhängerschaft durch Augsburgs Arena. Jupp Heynckes kam der Forderung nach, passierte vor dem Münchner Fanblock das Spalier der Bayern-Profis, winkte den Fans zu und ließ sich widerwillig hochleben. Womöglich fürchtete er von seinen Gefühlen übermannt zu werden. Heynckes war sichtbar ergriffen, nur mit Mühe hielt er die Tränen zurück. 72 Jahre ist er inzwischen alt, hat mit dem FC Bayern gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Sein beschauliches Zuhause in der niederrheinischen Gemeinde Schwalmtal, Frau und Hund hat er nicht verlassen, um sein Ego zu befriedigen. Sondern um den Bayern-Bossen Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß einen Gefallen zu tun. Für den uneitlen Heynckes ist der Verein eine Herzensangelegenheit.
Als er im Herbst vergangenen Jahres seinen Freundschaftsdienst beim FC Bayern angetreten hatte, fehlten fünf Punkte auf die Tabellenspitze. Nach 29 Spieltagen sind die Münchner mit 20 Punkten Vorsprung Meister. Diese Zahlen drücken aus, was Heynckes in einem halben Jahr bewirkt hat. Interne Gräben hat er zugeschüttet, hat Ruhe einkehren lassen. Heynckes sollte dem FC Bayern Zeit verschaffen, ehe man im Sommer ein „neues Kapitel aufschlagen“und „die Zukunft gestalten“werde, wie es Präsident Uli Hoeneß bei Heynckes’ Amtsantritt angekündigt hatte.
Wie viel Gespür der 72-Jährige für die Mannschaft und die Befindlichkeiten seiner Stars hat, offenbarte er am Samstagnachmittag nach errungener Meisterschaft. Erst holte er Franck Ribéry zu sich und herzte ihn, danach Arjen Robben. Mit dem Finger deutete Heynckes auf sie, huldigte ihnen. Ihre Seele streicheln, das mögen die Altstars.
Deren Verträge laufen im Sommer aus, ob sie bleiben dürfen, hängt wohl vom künftigen BayernTrainer und dessen Vorstellungen ab. Mitreden dürfen zudem Präsident Hoeneß und Vorstandschef Rummenigge. „Nicht viel“spreche gegen eine Vertragsverlängerung der beiden, merkte Letzterer an. Entscheidend sei, wie sie spielen. „Und beide spielen erstklassig“, fügte Rummenigge hinzu. Die Erfolge der vergangenen Jahre seien eng verknüpft mit Robben und Ribéry. „Seitdem sie hier sind, haben wir Riesenerfolge gefeiert.“
Zu diesen Errungenschaften zählt die sechste Meisterschaft in Serie. Wobei die Feierlichkeiten nach dem 4:1 in Augsburg an Dienst nach Vorschrift erinnerten. Gewissenhaft hatte die PR-Abteilung des FC Bayern vorgesorgt. Spieler und Betreuer streiften sich rote T-Shirts mit einer großen „6“über, eine kleine Polonaise vor den Fans, dazu „Campeone“-Gesänge in der Kabine. Sogar eine Kiste Bier des Brauereisponsors und gefüllte Champagnergläser trieben die Münchner noch auf, um die Social-Media-Kanäle und Medienpartner mit Feierbildern aus der Kabine einzudecken.
Als die Spieler im Trainingsanzug die Kabine verließen, war von Ausgelassenheit indes nichts mehr zu spüren. Robben erklärte die gebremste Euphorie mit dem Erwartbaren. „Man muss ehrlich sein: Wir wussten, dass es kommt.“Innenverteidiger Niklas Süle, erstmals deutscher Meister, musste sich selbst beinahe bemitleiden, an diesem Abend nicht feiern zu dürfen, während Thomas Müller für seine Freude einen Vergleich heranzog. Der Meistertitel sei diesmal, „wie wenn man in der Kreisklasse aufsteigt, nur ein bisschen gedämpfter“.
Schon am Freitag hatte Heynckes verfügt, nicht zu feiern. Die entscheidende Phase der Saison steht an, eine Meisterschaft allein befriedigt nicht im geringsten die Ansprüche der Münchner. Endspiele im DFB-Pokal und in der Champions League, danach streben die Bayern noch. Man wolle in den ausstehenden Wettbewerben ganz weit kommen, bekräftigte Müller. „Wir haben schon das Gefühl, dass da was drin ist.“Zunächst soll am Mittwoch gegen den FC Sevilla der Einzug ins Halbfinale der Königsklasse erfolgen. Müde Feierbiester können die Bayern da nicht gebrauchen. Als der Liga Spannung an der Tabellenspitze drohte, musste Lebemann Carlo Ancelotti seinen Platz räumen. Ihre Stars vertrauten die Bayern-Bosse einmal mehr Jupp Heynckes an. Der 72-Jährige wusste, den Erneuerer müsste er nicht geben – mit dem Umbau der Mannschaft und dem Einleiten einer neuen Ära sollte sich sein Nachfolger beschäftigen.
Heynckes ist kein Gestalter, sondern Verwalter. Mit ruhiger Hand hat er dem Klub sein Selbstverständnis zurückgegeben. Er beschränkt sich darauf, das Leistungsvermögen der Spieler abzurufen. Die Meisterschaft 2018 ist nicht das Ergebnis einer überlegenen Spielidee oder eines Offensivspektakels, sie ist Folge eines Wohlfühleffekts, einer positiven Grundstimmung in Mannschaft und Verein.
Stellt sich die Frage, wie viel innovative Ideen darf der künftige Bayern-Trainer mitbringen? Der Kern der Mannschaft wird erhalten bleiben, doch wer ersetzt dauerhaft einen Ribéry, einen Robben oder den abwanderungswilligen Lewandowski? Eine Mannschaft im Umbruch, dazu noch ein Trainerfehlgriff – so könnte Spannung in die Meisterschaft zurückkehren.