In Traunstein wurde gerade ein 48 Jähriger verurteilt
die Kinder sich vor einer Webcam ausziehen, tanzen und urinieren.
Schon zwei Mal war der Mann einschlägig mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und hatte Strafbefehle über je acht Monate auf Bewährung erhalten. Einmal war es Kinderpornografie, ein anderes Mal begrapschte er seine Tochter. Die erste Ehe zerbrach. Der Richter sprach von einer gewissen Unbelehrbarkeit. Dass der 48-Jährige nach weniger als fünf Jahren wieder straffällig wurde, wirkte sich strafverschärfend aus. Im August war der Maler in U-Haft genommen worden. Die Staatsanwaltschaft Traunstein und das Bundeskriminalamt (BKA) beschrieben die Tat damals als „noch neuen Modus Operandi des ,Webcam Child Sex Tourism‘ (WCST)“. Das Verfahren in Traunstein war eines der ersten dieser Art in Deutschland.
Jetzt haben auch die Philippinen selbst dem Verbrechen den Kampf angesagt, dem Ruby zum Opfer gefallen ist. Das Mädchen war elf Jahre alt, als ihre Eltern starben. Danach gab es immer wieder Streit mit ihren neun älteren Geschwistern, oft schlugen sie Ruby mit einem Kabel. Ruby wollte nur noch weg. Da blinkte die vermeintliche Rettung plötzlich auf ihrem Smartphone auf. Eine junge Frau kontaktierte Ruby über Facebook, schmeichelte der sich nach Zuwendung sehnenden Schülerin, bot ihr einen Job als Kassiererin in einem Internetcafé an und schickte Geld für die Reise. ihren Geschwistern Bescheid zu sagen, machte sich Ruby auf den Weg. 24 Stunden war sie mit Bus und Fähre unterwegs, schließlich brachte ein Angestellter ihrer neuen Facebook-Bekanntschaft sie zu einem kleinen Haus. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, begriff Ruby, dass sie betrogen worden war. „Ich war total schockiert, als plötzlich halb nackte Mädchen aus den Zimmern kamen. Ich dachte, es passiert nur im Film, dass Kinder verschleppt werden, um sich vor der Kamera auszuziehen.“
Ruby wollte zurück zu ihren prügelnden Schwestern, doch am nächsten Tag stand sie vor der Webcam – und zog sich aus. „Ich musste mich selbst missbrauchen, und andere sahen mir dabei zu“, erzählt Ruby und wieder laufen ihr Tränen über das Gesicht. Erreichte sie in ihrer Acht-Stunden-Schicht nicht die Umsatzvorgaben oder weigerte sie sich, die perversen Wünsche der Kunden zu erfüllen, bekam sie weniger zu essen. Zwischen zehn und dreißig Euro zahlten die meisten ihrer Kunden für einen Live-SexChat mit der Minderjährigen.
„Ich dachte, ich müsste in diesem Gefängnis sterben“, erzählt Ruby. Sie wusste nicht, dass philippinische Ermittler ihren Peinigern da bereits auf der Spur waren. Eines Morgens stürmten schwer bewaffnete Polizisten ins Haus. „Ich war glücklich. Aber ich sah die Panik in den Augen der anderen Mädchen. Die Jüngste war erst acht“, berichtet Ruby in der Einrichtung einer christlichen Hilfsorganisation in der Nähe von Manila. Ruby kam ins Wohnheim einer Partnerorganisation der International Justice Mission (IJM), die sich gegen Sklaverei und Zwangsarbeit einsetzt. Dazu arbeitet die Organisation in zehn Ländern eng mit Polizei, Justiz und Gesetzgebern zusammen. Auch eigene verdeckte Ermittler, Anwälte und Sozialarbeiter sind im Einsatz.
Auf den Philippinen steht der Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet ganz oben auf der Agenda. „Die Philippinen sind laut dem FBI das Epizentrum der CybersexKriminalität mit Kindern. Wir kämpfen für ein Ende dieser abscheulichen Verbrechen“, sagt IJMLandesdirektor Sam Inocencio.
Doch wie konnten die Philippinen zum Internetsex-Hotspot werden? Und wie soll dieses globale und boomende Business bekämpft werden? IJM-Mann Inocencio kennt Antworten und Lösungsansätze. Etwa ein Fünftel der rund 105 MilOhne lionen Filipinos lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die Möglichkeit, im Internet mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern – oft der eigenen – schnelles Geld zu verdienen, erscheint da verführerisch. Zudem gibt es mittlerweile auch in ländlichen Gebieten billiges und schnelles Internet für Livestreams und Bezahlung.
Die entsprechenden Gesetze zur Bekämpfung der Cybersex-Kriminalität gibt es bereits. Im von Präsident Duterte autoritär regierten Land kann die sexuelle Ausbeutung von Kindern mit lebenslanger Haft bestraft werden. „Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Gesetze auch konsequent umgesetzt werden“, sagt Inocencio. „Wir müssen die Risiken für Anbieter und Konsumenten so sehr erhöhen, dass Angebot und Nachfrage stark zurückgehen. Auf den Philippinen und in allen Ländern, in denen die pädophilen Kunden sitzen.“
In Frankfurt am Main zum Beispiel. Dort nahm das Bundeskriminalamt Mitte Januar einen 52-jährigen Deutschen fest. Über das Internet soll er sich in mindestens drei Fällen zum schweren sexuellen Missbrauch philippinischer Kinder verabredet haben. Er soll bereit gewesen sein, dafür mehrere hundert Euro zu zahlen. Außerdem soll der Vater eines Kindes, der längere Zeit auf den Philippinen lebte, sich über 1900 kinderpornografische Bilder und Videos besorgt haben. Bereits wenige Wochen nach seiner Festnahme wollte der Pädophile erneut auf die Philippinen reisen. IJMErmittler hatten in dem Fall der philippinischen Polizei geholfen, Beweismaterial zu sichern.
Marcus, der nicht möchte, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht, ist einer dieser IJM-Ermittler. „Dort hinten haben wir aus einem Haus mehrere Kinder befreit, die in Livestreams missbraucht wurden. Das jüngste war sieben Jahre alt“, sagt er und zeigt durch die getönten Scheiben eines unauffälligen Toyotas auf den Eingang einer engen Gasse in einem der vielen Slums in der Hauptstadt Manila. Marcus war selber zehn Jahre Polizist, bevor er als Ermittler zur IJM wechselte. „Unsere Undercover-Arbeit ist gefährlich. Die Leute sind misstrauisch, wenn in ihrer Nachbarschaft ein fremdes Gesicht auftaucht. Sie wissen, dass sie für den sexuellen Missbrauch von Kindern für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis gehen können. Und sie sind teilweise bewaffnet“, sagt der Ermittler.
Bei ihren Befreiungsaktionen kooperiert