Wie Kinder Opfer eines Priesters wurden
Das Ausmaß des Skandals in einem früheren Donauwörther Heim ist größer als bislang bekannt. Bischof Zdarsa schaltet sich ein. So geht es jetzt weiter
Das Entsetzen war groß, als vor knapp zwei Monaten bekannt wurde, wie Kinder im Donauwörther Kinderheim über Jahre körperlich und seelisch gepeinigt worden sind. Nun wurde bekannt, dass es offenbar auch sexuellen Missbrauch gab. Im Zentrum des Skandals steht dabei der damalige Kinderheim-Leiter und Pfarrer Max Auer. Er starb 1980.
Die Pädagogische Stiftung Cassianeum, zu der das 1977 geschlossene Heim gehörte, rief im Februar dazu auf, dass sich weitere Betroffene melden sollen. Jetzt gab es ein erstes Treffen in Leitershofen (Landkreis Augsburg), zu dem neun Betroffene kamen. Zwei weitere waren terminlich verhindert, sagt Peter Kosak, Vorsitzender der Stiftung. Die Gespräche dauerten rund fünf Stunden, informiert er. Kosak rechnet damit, dass sich noch weitere Betroffene melden werden. Bei dem Treffen wurde klar, dass es auch sexuellen Missbrauch gegeben hat.
Bettina H.* war von 1965 bis 1975 im Donauwörther Kinderheim untergebracht. Sie ist froh und dankbar, dass die Geschichte aufgearbeitet wird. „Auer hat uns damals im Beichtstuhl gefragt, ob wir uns unten angefasst hätten, oder hat an unseren Händen gerochen, um das zu überprüfen.“Dabei habe der
Von Übergriffen durch Auer berichtet auch Stefan Schmid im Bayerischen Rundfunk. Als Privatministrant von Auer musste er täglich bei der Messe dienen. Davor oder danach soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Schmid musste ihn befriedigen oder aber der Priester vergewaltigte ihn. „Mit wem hätte ich reden sollen, der Max Auer hat mir das so verkauft, dass das dazugehört, das gehöre zur Kirche und sei gottgewollt. Und es war ja niemand da, dem man sich hätte anvertrauen können“, sagt Schmid.
Zu den Strafmaßnahmen in dem Kinderheim gehörte laut ehemaligen Bewohnern auch, dass Kinder nichts zu essen oder trinken bekamen. Hans* berichtete gegenüber unserer Zeitung, er habe es immer wieder erlebt, dass Kinder ihr Erbrochenes essen mussten und Kinder, die eingenässt hatten, anschließend noch zwei Tage in dieser Bettwäsche schlafen mussten. Er lebte von 1955 bis 1958 in der Einrichtung.
Der Fall hat inzwischen solche Dimensionen angenommen, dass der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa das Ganze zur Chefsache erklärt und den ehemaligen Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Augsburg, Manfred Prexl, mit der Koordination beauftragt hat. Kommende Woche starten die Einzelgespräche mit der Missbrauchsbeauftragten der Diözese Augsburg, Rechtsanwältin Brigitte KetterleFaber, so Kosak. Da würden die Schilderungen dann auf ihre Plausibilität geprüft.
Da die Fälle juristisch verjährt sind, erhalten die Opfer eine Summe als „Anerkennung für erfahrenes Leid“. Wie hoch diese sein wird, hänge vom Urteil der Beauftragten und der Deutschen Bischofskonferenz ab. Dorthin schickt die Beauftragte ihre Berichte und das Gremium berät dann über jeden Fall und gibt eine Empfehlung dazu ab, wie hoch die Summe sein soll. In drei Fällen hat die Diözese bereits vor einigen Jahren gezahlt. „Wir werden den Prozess gründlich und schnell vorantreiben, um den Opfern gerecht zu werden“, verspricht Kosak. * Die Namen sind der Redaktion bekannt.
Die Schilderungen der Donauwörther Heimkinder über ihre Zeit in der Einrichtung sind erschütternd. Dass die Sitten in den fünfziger und sechziger Jahren rauer waren, ist bekannt. Wenn die Kinder nicht gehorchten, gab es schnell mal eine Tracht Prügel. Was sich aber hinter den Mauern des Donauwörther Kinderheims abspielte, geht weit darüber hinaus.
Erschreckend ist besonders, dass diese Taten eng mit dem Namen eines Pfarrers und einzelner Erzieherinnen verbunden sind. Für beide Berufe sind Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Lebensumstände der Kinder Pflicht. Beides fehlte bei Max Auer und einigen Erzieherinnen offensichtlich vollkommen. Dabei wäre es für die Heimkinder sehr wichtig gewesen, hatten diese im Leben doch schon schlimme Schicksalsschläge hinnehmen müssen: Ihre Eltern waren gestorben oder mit der Erziehung völlig überfordert. Deswegen kamen die Kinder ins Heim.
Doch dort begann für viele das Martyrium erst richtig. Zwar ist von allen ehemaligen Heimkindern, die sich bei unserer Zeitung gemeldet haben, zu hören, dass es auch liebevolle Schwestern in jener Zeit gab. Den Übergriffen durch den Pfarrer und einzelne gewalttätige Kolleginnen hatten aber auch sie offenbar nichts entgegenzusetzen – vielleicht auch aus Angst. Er leitete das Heim „mit strenger Hand“, wie es der frühere Internatsleiter der Knabenrealschule Donauwörth kürzlich formulierte.
Immerhin einen Lichtblick gibt es in dieser Affäre: Die Diözese und die Stiftung, zu der das Kinderheim gehörte, ducken sich nicht weg. Obwohl die Taten juristisch verjährt sind. Sie suchen das Gespräch mit den Betroffenen und sind auch bereit, einen finanziellen Ausgleich für das erfahrene Leid zu bezahlen.