Leitartikel
Olaf Scholz ist stolz auf die schwarze Null in seinem Haushalt. Tatsächlich investiert der Bund viel zu wenig. In der nächsten Rezession wird sich das rächen
Vielleicht sollte Olaf Scholz noch einmal einen Blick in sein Buch „Hoffnungsland“werfen, das er vor gut einem Jahr geschrieben hat. „Wir dürfen nicht abwarten“, warnt er da, „bis uns die Umstände das Handeln aufzwingen, sondern müssen handeln, um die Umstände zu prägen.“
Seine Pläne für die laufende Legislatur werden diesem Anspruch, wenn überhaupt, nur eingeschränkt gerecht. Zwar kann Scholz als Finanzminister dank der anhaltend guten Konjunktur und den anhaltend niedrigen Zinsen aus dem Vollen schöpfen und die Milliarden nur so übers Land verteilen, an zwei entscheidenden Punkten allerdings kneift die Koalition. Weder hatte sie den Mut, der arbeitenden Mitte über eine große Steuerreform ihren Anteil am Aufschwung auszuzahlen, noch hat sie eine Vorstellung davon, wie marode und veraltet die Infrastruktur in weiten Teilen des Landes ist. Ob Straßen, Brücken oder Tunnels, ob Schulen, Universitäten oder die digitale Grundversorgung mit einem flächendeckenden schnellen Internet: Für eine Volkswirtschaft, die noch immer zu den leistungsfähigsten der Welt gehört, lebt die Bundesrepublik schon viel zu lange von der Substanz. Ja, schlimmer noch: Anstatt die Investitionen des Bundes wenigstens jetzt kontinuierlich zu steigern, will Scholz sie nach einem kurzen Zwischenspurt in diesem und im nächsten Jahr wieder auf das Niveau des Jahres 2017 zurückfahren. Deutschland, heißt das, fährt weiter auf Verschleiß.
Union und SPD sind zu Gefangenen ihrer eigenen Wahlversprechen geworden, die sich von der ausgeweiteten Mütterrente und der Wiedereinführung des Baukindergeldes bis zu einem teilweisen Erlass des Solidaritätszuschlages und einer Mindestrente für Geringverdiener auf fast 46 Milliarden Euro addieren. Zu kurz gekommen sind dabei nicht nur die Investitionen, sondern auch die Verpflichtungen, die frühere Regierungen in der Verteidigungs- und der Entwicklungspolitik eingegangen sind. Entsprechend schlecht sind Ursula von der Leyen und Gerd Müller, die beiden zuständigen Minister, auf Scholz zu sprechen. Gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes liegen ihre Etats um mehrere Milliarden Euro unter den gegebenen Zusagen.
Nicht abwarten, sondern handeln: Eine vorausschauende Finanzpolitik sorgt wie die berühmte schwäbische Hausfrau in guten Zeiten für schlechtere vor, sie achtet darauf, dass die Infrastruktur intakt ist und die sozialen Transfers auch im nächsten Konjunkturtief finanzierbar bleiben, sie überprüft Subventionen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit hin und verliert die Steuergerechtigkeit nicht aus den Augen. Union und SPD dagegen leben von der Hand in den Mund, als gäbe es kein Morgen mehr. Die schwarze Null etwa, auf die auch der neue Finanzminister so stolz ist, sollte angesichts der guten Kassenlage eine Selbstverständlichkeit sein und keine politische Ruhmestat.
Ja, Deutschland geht es gut. Ja, Deutschland kann sich vieles leisten, das andere Länder sich nicht leisten können oder wollen. Spätestens in der nächsten Rezession jedoch wird den Finanzminister, wie immer er dann heißt, die Politik seiner Vorgänger und der jeweiligen Koalitionen einholen. Weit über 20 Milliarden Euro im Jahr alleine für die Flüchtlingspolitik, immer höhere Bundeszuschüsse für die Rente, deutlich gestiegene Überweisungen an die EU – und gleichzeitig ein Investitionsstau von gut und gerne 120 Milliarden Euro. Aus diesem Dilemma helfen nach der gängigen Logik nur Steuer- und Beitragserhöhungen oder ein rigoroser Sparkurs. Frei nach Scholz hieße das dann, die Umstände hätten die Politik zum Handeln gezwungen. Dabei wollte er es doch genau umgekehrt haben. Zu „Millionen bei der Rente verschwen det?“und zum Kommentar „Das Geld der Beitragszahler“von Martin Ferber (Seite 1) vom 28. April: Das ist doch nichts Neues, dass mit dem Geld der Versicherten so sorglos umgegangen wird. Verwaltungspaläste, Vorstandsgehälter oder nun die 10 Millionen für die Post AG. Aber was nützt die Kontrolle von Rechnungshof und Bundestag? Die 10 Millionen sind futsch. Die Beitragszahler haben keine Möglichkeit zu verfolgen, was mit ihrem schwer verdienten Pflichtbeitrag passiert. Das ist eine Riesensauerei! Wo bleibt der Aufschrei der Betroffenen? Aber bei den Krankenkassen wird mit den Beiträgen genauso verfahren. Verwaltungskosten, die jedes Jahr immens steigen. Alles mit dem Geld der Versicherten, das eigentlich in erster Linie ihnen zustehen würde.
Monheim Itzing Zum selben Thema: Als frischgebackener Rentner habe ich den Artikel zum Thema „Rentenausweise“mit großem Interesse gelesen. Ich gebe Herrn Ferber insofern recht, dass dafür Alternativangebote hätten eingeholt werden müssen. Allerdings war ich beim Erhalt meiner Rentenunterlagen total entsetzt über den Papierausweis, den man auch noch selbst ausschneiden muss. Ich finde es in höchstem Maße diskriminierend, uns Rentnern einen solchen Ausweis zur Verfügung zu stellen. Bei jedem Discounter bekommt man Kundenkarten in Plastikform, und wir, die wir jahrzehntelang Beiträge bezahlt haben, werden, sorry, mit „so einem Fetzen Papier“abgespeist. Das drückt unseren Stellenwert sehr deutlich aus. Wir sind nur noch ein Kostenfaktor, in den nicht mehr unnötig investiert werden soll. Armes reiches Deutschland.
Bernbach Zur Kreuz Debatte: Bei allen berechtigten Hinweisen auf die weltanschauliche Neutralität des Staates, bei aller berechtigter Kritik, dass Herr Söder das Kreuz für politische Zwecke instrumentalisiert: Müsste vonseiten des Herrn Kardinal Reinhard Marx nicht zuallererst ein Wort des Lobes und des Dankes kommen für den Mut eines gläubigen Ministerpräsidenten, auf diese Weise Zeugnis von seinem Glauben zu geben? So aber entsteht der Eindruck mangelnder Wertschätzung den eigenen Glaubenssymbolen gegenüber.
Markt Rettenbach Zum selben Thema: Allen, die das Fähnchen „christlich geprägte Leitkultur“schwenken, sei ins Stammbuch geschrieben: Die Zehn Gebote sind alttestamentarischen Ursprungs. Abraham, den auch Juden und Moslems als Stammvater verehren, wurden sie von Gott als „Grundgesetz“für die Menschheit gegeben. Und wenn in Bayern immer wieder ins Feld geführt wird, dass Kultur und Bräuche hauptsächlich christlich-religiösen (insbesondere katholischen) Ursprungs sind – der Katholikenanteil liegt hier bei 54 Prozent der Bevölkerung –, ist das noch kein Grund, das Symbol „Kreuz“für politische Zwecke zu missbrauchen. Im Saarland, mit knapp 63 Prozent katholischer Bevölkerung (größte Dichte in der BRD), wird auch kein Bohei veranstaltet.
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