Videobeweis im Fußball?
Es gibt im Fußball keine Gerechtigkeit. Und Objektivität schon gar nicht. Das Streben nach immer mehr vermeintlicher Beweissicherheit führt nicht nur in die Irre – es führt vor allem weg vom Wesen des Spiels. Und das liegt im Chaos, in der Willkür, im Zufall, in der Unzulänglichkeit, im Irrtum, im Kippmoment, im nachhallenden Mythos des Zweifels. Ein Fußballspiel ist eine Ansammlung von Ereignissen, die interpretierbar sind. War das ein Foul? Absichtliches Handspiel? Abseits? Das zu entscheiden ist Aufgabe des Schiedsrichters und seiner Linienrichter. Sie deuten. Auf Augenhöhe. Auf dem Platz. Angreifbar. Strittig. Aber nur daraus entsteht jene immer neue Erzählung, die den Fußball am Leben hält.
Der Videobeweis bringt eine völlig neue Ebene ins Spiel. Das mag im Spitzenfußball, der von Milliarden Menschen nur noch medial vermittelt erlebt wird, zwangsläufig sein. Wo jeder halbtrunkene Sesselexperte fünf Super-Zeitlupen als Beurteilungshilfe hat, der reale Schiedsrichter aber nicht, gerät etwas in Schieflage. Doch der Videobeweis zerstört die Unmittelbarkeit. Er verlagert nicht nur das Spiel in den virtuellen Raum und bringt es abgetötet wieder zurück, sondern relativiert die Spielregeln. Der Schiedsrichter büßt an Autorität ein. Jedes Tor ist nun theoretisch ein Prüfungsfall. Über den entscheiden aber weiter: Menschen. Wer an den Videobeweis glaubt, der muss konsequent sein. Das Spielfeld muss verkabelt werden, jeder Kicker kriegt eine Bodycam an die Backe und eine ans Knie, dazu Sensoren unter die Sohlen. Und in den Ball packen wir mehr künstliche Intelligenz als Luft. Lasertechnik, Satelliten. Fußball kaputt? Der Videobeweis war der Sündenfall. Nie mehr Wembley-Tor. Der Fußball wird sich selbst zerstören.