Gehen CDU und CSU ab heute getrennte Wege?
Der Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer legt einen grundsätzlichen Konflikt offen: Braucht Deutschland mehr Europa oder mehr Nation?
Alles ist möglich, nichts wird mehr ausgeschlossen. Die neue Regierung ist noch keine 100 Tage im Amt, da steht sie fast schon vor dem Aus. So sehr haben sich CDU und CSU im Streit um den Masterplan von Horst Seehofer ineinander verharkt, dass selbst das bislang Undenkbare laut gedacht wird: CDU und CSU gehen getrennte Wege und kündigen die Fraktionsgemeinschaft auf, mehr noch, die CDU tritt bei der Landtagswahl in Bayern an und macht damit endgültig alle Hoffnungen der CSU auf eine Verteidigung der absoluten Mehrheit zunichte. Bislang nur Gedankenspiele, wohl wahr, aber allein dass sie ausgesprochen werden, belegt den Ernst der Lage in Berlin.
Der heutige Montag könnte zum Schicksalstag von Horst Seehofer und Angela Merkel werden. Fast schon wie in einer griechischen Tragödie ist ihr Schicksal untrennbar miteinander verwoben. Wenn der CSU-Chef und Innenminister tatsächlich seinen Worten Taten folgen lässt und noch am Montag die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze anordnet, provoziert er die Entlassung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch mit seinem Sturz reißt Seehofer auch die Regierungschefin in die Tiefe. Es wäre das unrühmliche Ende ihrer Kanzlerschaft. Misstrauensvotum und Auflösung des Bundestags würden folgen, kaum vorstellbar, dass sie bei den dann notwendig werdenden Neuwahlen noch einmal antritt. Jenseits des aktuellen Streits mit der CSU ist in der CDU die Erkenntnis weitverbreitet, dass man nur ohne Merkel eine Chance bei Neuwahlen hat. Im Augenblick spräche alles für Annegret Kramp-Karrenbauer.
Es ist mehr als eine Auseinandersetzung zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel, deren komplizierte Beziehung schon seit langem die Regierungsarbeit überschattet, es ist auch mehr als nur ein Streit um einen Aspekt der Flüchtlingspolitik. Die Frage, ob Deutschland das Recht – und sogar die Pflicht! – hat, Flüchtlinge zurückzuweisen, legt einen fundamentalen Dissens zwischen den beiden Schwesterparteien offen. Wenn der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagt, die Zeit des „geordneten Multilateralismus“sei vorbei, legt er die Axt an die Wurzel der bisherigen Europapolitik der Union, die Angela Merkel verzweifelt zu retten versucht. Unverdrossen kämpft sie für eine europäische Lösung, obwohl diese bereits seit Jahren versprochen wird und sich auch im Vorfeld des EU-Gipfels in zwei Wochen nicht abzeichnet.
Merkels persönliche Tragik ist, dass sie nach zwölf Jahren im Amt wie aus der Zeit gefallen, müde und ratlos wirkt. In einer Welt, in der nicht nur Trump, Putin und Erdogan, sondern auch immer mehr europäische Partner auf den starken Nationalstaat und Alleingänge setzen, verkörpert nicht mehr sie, sondern Markus Söder den neuen Zeitgeist. Dabei ist völlig offen, ob dieses neue nationale Muskelspiel zu besseren Ergebnissen und langfristigen Lösungen führt, doch als Alternative zum mutlosen, sich in endlosen Verhandlungen erschöpfenden Multilateralismus wirkt es erfrischend und unverbraucht.
Was heißt das für CDU und CSU? Der aktuelle Streit legt die tektonischen Verschiebungen offen. Mehr Europa? Oder mehr Deutschland? Gemeinsame Lösungen oder nationale Alleingänge? Es geht um Deutschlands Rolle in Europa und in der Welt. Darum ist dieser Konflikt so heftig. Und darum muss er auch ausgetragen werden. Notfalls müssen CDU und CSU getrennte Wege gehen. Was im restlichen Europa längst geschehen ist, erreicht nun auch mit Verzögerung Deutschland: Die Parteienlandschaft zerbricht und sortiert sich neu. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Zu „Ein Hauch von Wildbad Kreuth“(Po litik) vom 15. Juni: Hund san’s scho! Da wird also ein ominöser „Masterplan“, den außer Herrn Seehofer offenbar niemand bislang so genau kennt, schon gar nicht der Koalitionspartner, im Hauruckverfahren durchgeboxt, wohl wissend, dass ein ganz zentraler Punkt in der Flüchtlingspolitik den Vorstellungen der Bundeskanzlerin diametral entgegensteht. Und weshalb es damit jetzt so pressiert, konnte auch niemand erklären. Abgesprochen wird dieses seltsame Vorgehen nur innerhalb der eigenen Fraktion und mit dem Parteivorstand der CSU, einer Partei, die außerhalb von Bayern in keinem Bundesland vertreten ist. Wozu schließt man denn Koalitionsverträge ab, wenn dann jeder Minister in seinem Ressort walten kann, wie es ihm beliebt? Formell korrekt oder nicht – mir ist das alles ziemlich suspekt. Mit meiner Auffassung von Demokratie und politischer Kultur hat das nichts zu tun.
Kaufering Zu „Die große Gipfel Show“(Die Dritte Seite) vom 13. Juni: Bleibt nur noch zu hoffen, dass schnellstmöglich die Verleihung des Friedensnobelpreises an die beiden großen Staatsmänner erfolgt. Sonst besteht die Gefahr, einer der beiden ändert seine Meinung zur Abrüstung und der Preis geht an den Würdigen vorbei. Auf jeden Fall Twitter im Auge behalten.
Bäumenheim Zu „Wie stressig ist der Bürgermeister Job?“(Bayern) vom 15. Juni: Ja, es ist immer tragisch, wenn ein verhältnismäßig junger Mensch mitten aus dem Leben gerissen wird. Auch in meinem Bekanntenkreis gab es in den vergangenen Jahren einige Todesfälle von unter 60-Jährigen – allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass dies die breite Öffentlichkeit nicht weiter interessierte. Keiner, der die Frage stellte, wie stressig der Job eines kleinen Arbeiters ist, im Gegenteil: Unsere Politiker fordern munter, die Lebensarbeitszeit immer weiter anzuheben – damit möglichst noch mehr Menschen vor Erreichen des Rentenalters das Zeitliche segnen und somit der Rentenkasse „nicht mehr zur Last fallen“? Gerade für den kleinen – oft untertariflich bezahlten – Arbeitnehmer kommt zum Stress im Beruf auch noch die Sorge um das finanzielle Auskommen, wenn zum Monatsende wieder mal das Geld knapp wird. Doch weiter werden die Rentenkassen für versicherungsfremde Leistungen geplündert, um den wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes zu steigern – auf dem Rücken des kleinen Arbeiters und Rentners.
Mindelheim