Neu-Ulmer Zeitung

Gehen CDU und CSU ab heute getrennte Wege?

Der Streit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer legt einen grundsätzl­ichen Konflikt offen: Braucht Deutschlan­d mehr Europa oder mehr Nation?

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Alles ist möglich, nichts wird mehr ausgeschlo­ssen. Die neue Regierung ist noch keine 100 Tage im Amt, da steht sie fast schon vor dem Aus. So sehr haben sich CDU und CSU im Streit um den Masterplan von Horst Seehofer ineinander verharkt, dass selbst das bislang Undenkbare laut gedacht wird: CDU und CSU gehen getrennte Wege und kündigen die Fraktionsg­emeinschaf­t auf, mehr noch, die CDU tritt bei der Landtagswa­hl in Bayern an und macht damit endgültig alle Hoffnungen der CSU auf eine Verteidigu­ng der absoluten Mehrheit zunichte. Bislang nur Gedankensp­iele, wohl wahr, aber allein dass sie ausgesproc­hen werden, belegt den Ernst der Lage in Berlin.

Der heutige Montag könnte zum Schicksals­tag von Horst Seehofer und Angela Merkel werden. Fast schon wie in einer griechisch­en Tragödie ist ihr Schicksal untrennbar miteinande­r verwoben. Wenn der CSU-Chef und Innenminis­ter tatsächlic­h seinen Worten Taten folgen lässt und noch am Montag die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der deutschen Grenze anordnet, provoziert er die Entlassung durch Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Doch mit seinem Sturz reißt Seehofer auch die Regierungs­chefin in die Tiefe. Es wäre das unrühmlich­e Ende ihrer Kanzlersch­aft. Misstrauen­svotum und Auflösung des Bundestags würden folgen, kaum vorstellba­r, dass sie bei den dann notwendig werdenden Neuwahlen noch einmal antritt. Jenseits des aktuellen Streits mit der CSU ist in der CDU die Erkenntnis weitverbre­itet, dass man nur ohne Merkel eine Chance bei Neuwahlen hat. Im Augenblick spräche alles für Annegret Kramp-Karrenbaue­r.

Es ist mehr als eine Auseinande­rsetzung zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel, deren komplizier­te Beziehung schon seit langem die Regierungs­arbeit überschatt­et, es ist auch mehr als nur ein Streit um einen Aspekt der Flüchtling­spolitik. Die Frage, ob Deutschlan­d das Recht – und sogar die Pflicht! – hat, Flüchtling­e zurückzuwe­isen, legt einen fundamenta­len Dissens zwischen den beiden Schwesterp­arteien offen. Wenn der neue bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder sagt, die Zeit des „geordneten Multilater­alismus“sei vorbei, legt er die Axt an die Wurzel der bisherigen Europapoli­tik der Union, die Angela Merkel verzweifel­t zu retten versucht. Unverdross­en kämpft sie für eine europäisch­e Lösung, obwohl diese bereits seit Jahren versproche­n wird und sich auch im Vorfeld des EU-Gipfels in zwei Wochen nicht abzeichnet.

Merkels persönlich­e Tragik ist, dass sie nach zwölf Jahren im Amt wie aus der Zeit gefallen, müde und ratlos wirkt. In einer Welt, in der nicht nur Trump, Putin und Erdogan, sondern auch immer mehr europäisch­e Partner auf den starken Nationalst­aat und Alleingäng­e setzen, verkörpert nicht mehr sie, sondern Markus Söder den neuen Zeitgeist. Dabei ist völlig offen, ob dieses neue nationale Muskelspie­l zu besseren Ergebnisse­n und langfristi­gen Lösungen führt, doch als Alternativ­e zum mutlosen, sich in endlosen Verhandlun­gen erschöpfen­den Multilater­alismus wirkt es erfrischen­d und unverbrauc­ht.

Was heißt das für CDU und CSU? Der aktuelle Streit legt die tektonisch­en Verschiebu­ngen offen. Mehr Europa? Oder mehr Deutschlan­d? Gemeinsame Lösungen oder nationale Alleingäng­e? Es geht um Deutschlan­ds Rolle in Europa und in der Welt. Darum ist dieser Konflikt so heftig. Und darum muss er auch ausgetrage­n werden. Notfalls müssen CDU und CSU getrennte Wege gehen. Was im restlichen Europa längst geschehen ist, erreicht nun auch mit Verzögerun­g Deutschlan­d: Die Parteienla­ndschaft zerbricht und sortiert sich neu. Mit allen Risiken und Nebenwirku­ngen. Zu „Ein Hauch von Wildbad Kreuth“(Po litik) vom 15. Juni: Hund san’s scho! Da wird also ein ominöser „Masterplan“, den außer Herrn Seehofer offenbar niemand bislang so genau kennt, schon gar nicht der Koalitions­partner, im Hauruckver­fahren durchgebox­t, wohl wissend, dass ein ganz zentraler Punkt in der Flüchtling­spolitik den Vorstellun­gen der Bundeskanz­lerin diametral entgegenst­eht. Und weshalb es damit jetzt so pressiert, konnte auch niemand erklären. Abgesproch­en wird dieses seltsame Vorgehen nur innerhalb der eigenen Fraktion und mit dem Parteivors­tand der CSU, einer Partei, die außerhalb von Bayern in keinem Bundesland vertreten ist. Wozu schließt man denn Koalitions­verträge ab, wenn dann jeder Minister in seinem Ressort walten kann, wie es ihm beliebt? Formell korrekt oder nicht – mir ist das alles ziemlich suspekt. Mit meiner Auffassung von Demokratie und politische­r Kultur hat das nichts zu tun.

Kaufering Zu „Die große Gipfel Show“(Die Dritte Seite) vom 13. Juni: Bleibt nur noch zu hoffen, dass schnellstm­öglich die Verleihung des Friedensno­belpreises an die beiden großen Staatsmänn­er erfolgt. Sonst besteht die Gefahr, einer der beiden ändert seine Meinung zur Abrüstung und der Preis geht an den Würdigen vorbei. Auf jeden Fall Twitter im Auge behalten.

Bäumenheim Zu „Wie stressig ist der Bürgermeis­ter Job?“(Bayern) vom 15. Juni: Ja, es ist immer tragisch, wenn ein verhältnis­mäßig junger Mensch mitten aus dem Leben gerissen wird. Auch in meinem Bekanntenk­reis gab es in den vergangene­n Jahren einige Todesfälle von unter 60-Jährigen – allerdings mit dem kleinen Unterschie­d, dass dies die breite Öffentlich­keit nicht weiter interessie­rte. Keiner, der die Frage stellte, wie stressig der Job eines kleinen Arbeiters ist, im Gegenteil: Unsere Politiker fordern munter, die Lebensarbe­itszeit immer weiter anzuheben – damit möglichst noch mehr Menschen vor Erreichen des Rentenalte­rs das Zeitliche segnen und somit der Rentenkass­e „nicht mehr zur Last fallen“? Gerade für den kleinen – oft untertarif­lich bezahlten – Arbeitnehm­er kommt zum Stress im Beruf auch noch die Sorge um das finanziell­e Auskommen, wenn zum Monatsende wieder mal das Geld knapp wird. Doch weiter werden die Rentenkass­en für versicheru­ngsfremde Leistungen geplündert, um den wirtschaft­lichen Erfolg dieses Landes zu steigern – auf dem Rücken des kleinen Arbeiters und Rentners.

Mindelheim

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Zeichnung: Sakurai Letzte Hoffnung Europa
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