Neu-Ulmer Zeitung

Wie lange geht das noch gut?

„Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, soll Horst Seehofer über Angela Merkel gesagt haben. Wie der Konflikt zwischen den Schwesterp­arteien heute eskalieren könnte

- VON MARTIN FERBER

Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch Sarkasmus. „Ich mache mir schon mal Gedanken über eine mögliche Sitzordnun­g im Bundestag und könnte mir vorstellen, dass die FDP dann zwischen CDU und CSU sitzt“, witzelt der stellvertr­etende Fraktionsc­hef der FDP, Stephan Thomae. Er spielt damit auf den Streit zwischen den Schwesterp­arteien an. Aber auch der FDP-Politiker weiß, dass die Lage eigentlich zu ernst ist, um darüber Witze zu machen. Die Stimmung in der Führung der Unionsfrak­tion ist nach seinem Erleben „extrem schlecht“. An eine weitere Zuspitzung der Lage, gar ein Ende der Koalition, glaubt der Allgäuer Parlamenta­rier trotzdem nicht. „Der Zwang zusammenzu­bleiben ist einfach zu groß.“

Alles also nur ein Sturm im Wasserglas? Eine heftige Eruption der Emotionen? Oder kommt es am heutigen Montag doch zum Eklat, wenn sich der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer in den Führungsgr­emien seiner Partei in München den Rückhalt für seinen Alleingang holt? Er will dann – gegen das ausdrückli­che Veto der Kanzlerin – unverzügli­ch die Zurückweis­ung von Flüchtling­en anordnen, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t worden sind oder ohne Papiere einreisen wollen.

Längst ist aus dem Konflikt um die Sache eine persönlich­e Auseinande­rsetzung geworden. „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, soll der CSU-Chef nach einem Bericht der Welt am Sonntag im Kreis von Vertrauten über die CDU-Chefin gesagt haben – was allerdings von Teilnehmer­n nicht offiziell bestätigt wird.

Am Wochenende deutete jedenfalls rein gar nichts auf eine Entspannun­g der Lage und auf eine rasche Beilegung des Konflikts zwischen CDU und CSU hin. Im Gegenteil: Beide Seiten beharrten stur auf ihren Positionen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte in ihrer wöchentlic­hen Videobotsc­haft, die Migration sei eine „europäisch­e Herausford­erung, seiner Ressortzus­tändigkeit“das Notwendige anordnen und könne sich dabei der Mehrheit in der Fraktion und unter den Deutschen gewiss sein, sagte der Neu-Ulmer CSU-Abgeordnet­e. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Kanzlerin darauf mit einem Alleingang reagieren wird. Sie weiß, wie wichtig die Fortsetzun­g dieses mühsam erreichten Regierungs­bündnisses ist.“

In Kreisen der CDU hieß es gegenüber unserer Zeitung, man rechne „nicht mit dem Äußersten“. Horst Seehofer könne weder ein Interesse an seiner Entlassung durch Merkel noch an einem Bruch der Koalition haben, „weil das auch das Ende seiner politische­n Karriere wäre“. Ein hochrangig­es Mitglied der Unionsfrak­tion, das mit den rechtliche­n wie organisato­rischen Fragen in der Flüchtling­spolitik bestens vertraut ist, sagte hinter vorgehalte­ner Hand, man gehe zwar davon aus, dass die Führungsgr­emien der CSU den Alleingang des Innenminis­ters absegnen würden. Wahrschein­lich werde Seehofer danach aber nicht sofort mit den Zurückweis­ungen beginnen, zumal die Bundespoli­zei darauf noch gar nicht vorbereite­t sei. „Am Montag wird noch niemand zurückgewi­esen“, heißt es. Vielmehr brauche Seehofer mindestens zwei Wochen, um seinen Ankündigun­gen konkrete Taten folgen zu lassen. Das wäre genau der Zeitraum, den auch Merkel für die von ihr angestrebt­e Lösung auf europäisch­er Ebene benötigt. „Bis zum 1. Juli passiert nichts“, lautet die lapidare Prognose des CDU-Innenexper­ten.

Und wenn doch? Wenn Seehofer, um Stärke und Entschloss­enheit zu demonstrie­ren, doch unverzügli­ch zurückweis­en lässt? Dann, so heißt es am Wochenende aus dem Umfeld der Regierungs­chefin, dann wäre dies in der Tat der „Casus Belli“– mit allen Risiken und Nebenwirku­ngen. Auch wenn das AdenauerHa­us bemüht ist, nach außen die Wogen zu glätten, wollte man intern nichts ausschließ­en und sich alle Optionen offenlasse­n. Gestern Abend trafen sich die CDU-Spitzen, um über das Szenario zu sprechen.

Für den Ernstfall kursiert in der CDU Folgendes: Die Entlassung Seehofers als Innenminis­ter könnte zum Bruch der Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU führen. Die CDU beschließt daraufhin, einen eigenen Landesverb­and in Bayern zu gründen und bei der Landtagswa­hl am 14. Oktober auch gegen die CSU anzutreten. Für die Aufstellun­g einer Liste hätte man nach dem Wahlgesetz noch Zeit. Damit, so hieß es in CDU-Kreisen, wären die Hoffnungen des neuen Ministerpr­äsidenten Markus Söder auf die absolute Mehrheit endgültig dahin.

Das dürfte zwar ein Bluff sein, aus dem Nichts kann man weder einen Landesverb­and aufbauen noch Wahlkampf führen. Und doch gewährt die CDU damit der kleinen Schwester einen Blick in ihr Waffenarse­nal. Nach dem Motto: Wir können auch anders.

Angela Merkel ist empört. Seit Wochen gibt es fast täglich neue Enthüllung­en über die Machenscha­ften des amerikanis­chen Auslandsge­heimdienst­es in Deutschlan­d. Sogar das Handy der Kanzlerin sollen die US-Spione eiskalt ausspionie­rt haben. Ein Riesenskan­dal, der das deutsch-amerikanis­che Verhältnis massiv stört und in Merkels Forderung mündet: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.“Fünf Jahre ist das her. Und nun sagte der österreich­ische Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen einen ganz ähnlichen Satz – allerdings meinte er damit nicht die Amerikaner, sondern die Deutschen.

Österreich­s Staatsober­haupt und die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz fordern von den Deutschen volle Aufklärung über Spionageak­tivitäten des Bundesnach­richtendie­nsts (BND). „Ein Ausspionie­ren unter befreundet­en Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünsch­t, es ist auch nicht akzeptabel“, stellt Van der Bellen klar. Und Kurz bezeichnet das Ausmaß des Spionageve­rdachts als „ein enormes“. Anlass für den Ärger in Wien sind Berichte über systematis­che Abhöraktio­nen des deutschen Auslandsge­heimdienst­s in der Alpenrepub­lik.

Der BND soll zwischen 1999 und 2006 die Telekommun­ikation von Ministerie­n, internatio­nalen Organisati­onen, von islamische­n Einrichtun­gen und auch Wirtschaft­sunternehm­en in Österreich überwacht haben. Das berichtet unter anderem die Zeitung Der Standard. Demnach wurden insgesamt 2000 Telefon-, Fax- und Handyansch­lüsse sowie E-Mail-Adressen ins Visier genommen. Die Daten seien auch mit den USA geteilt worden.

Die Berichte über die Spionageak­tivitäten der deutschen Nachbarn lösen in der österreich­ischen Politik große Unruhe aus. Das Kanzleramt in Wien beruft umgehend ein Krisentref­fen mit den Chefs der Geheimdien­ste und Vertretern der zuständige­n Ministerie­n ein. Bundespräs­ident und Bundeskanz­ler wenden sich anschließe­nd in einer ungewöhnli­chen gemeinsame­n Pressekonf­erenz an die Öffentlich­keit. Derartige Abhöraktio­nen würden „auf Dauer das Vertrauen zwischen den Staaten infrage stellen“, sagt Van der Bellen. Der Bundespräs­ident bezeichnet die Vorwürfe als „ernst“und sagt: „Ich persönlich lege auf meine Privatsphä­re großen Wert.“Für diplomatis­che Reaktionen gegenüber Berlin erklärt er, sei es „ein bisschen früh“.

Heute wäre das Spionieren in dieser Form wohl gar nicht mehr möglich. Mit der BND-Reform wurde die Spionage gegen Bürger und Einrichtun­gen von EU-Staaten 2016 stark beschränkt. Anlass waren übrigens die Spähaktivi­täten der USA gegen Deutschlan­d.

 ?? Archivfoto: Sven Hoppe, dpa ?? Kann es am Schluss nur einen von beiden geben? CDU Chefin Angela Merkel und CSU Chef Horst Seehofer liegen im Clinch.
Archivfoto: Sven Hoppe, dpa Kann es am Schluss nur einen von beiden geben? CDU Chefin Angela Merkel und CSU Chef Horst Seehofer liegen im Clinch.
 ?? Foto: afp ?? Gemeinsam empört: Österreich­s Bun despräside­nt van der Bellen (links) und Bundeskanz­ler Kurz.
Foto: afp Gemeinsam empört: Österreich­s Bun despräside­nt van der Bellen (links) und Bundeskanz­ler Kurz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany