Wie lange geht das noch gut?
„Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, soll Horst Seehofer über Angela Merkel gesagt haben. Wie der Konflikt zwischen den Schwesterparteien heute eskalieren könnte
Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch Sarkasmus. „Ich mache mir schon mal Gedanken über eine mögliche Sitzordnung im Bundestag und könnte mir vorstellen, dass die FDP dann zwischen CDU und CSU sitzt“, witzelt der stellvertretende Fraktionschef der FDP, Stephan Thomae. Er spielt damit auf den Streit zwischen den Schwesterparteien an. Aber auch der FDP-Politiker weiß, dass die Lage eigentlich zu ernst ist, um darüber Witze zu machen. Die Stimmung in der Führung der Unionsfraktion ist nach seinem Erleben „extrem schlecht“. An eine weitere Zuspitzung der Lage, gar ein Ende der Koalition, glaubt der Allgäuer Parlamentarier trotzdem nicht. „Der Zwang zusammenzubleiben ist einfach zu groß.“
Alles also nur ein Sturm im Wasserglas? Eine heftige Eruption der Emotionen? Oder kommt es am heutigen Montag doch zum Eklat, wenn sich der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer in den Führungsgremien seiner Partei in München den Rückhalt für seinen Alleingang holt? Er will dann – gegen das ausdrückliche Veto der Kanzlerin – unverzüglich die Zurückweisung von Flüchtlingen anordnen, die bereits in einem anderen EU-Land registriert worden sind oder ohne Papiere einreisen wollen.
Längst ist aus dem Konflikt um die Sache eine persönliche Auseinandersetzung geworden. „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten“, soll der CSU-Chef nach einem Bericht der Welt am Sonntag im Kreis von Vertrauten über die CDU-Chefin gesagt haben – was allerdings von Teilnehmern nicht offiziell bestätigt wird.
Am Wochenende deutete jedenfalls rein gar nichts auf eine Entspannung der Lage und auf eine rasche Beilegung des Konflikts zwischen CDU und CSU hin. Im Gegenteil: Beide Seiten beharrten stur auf ihren Positionen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft, die Migration sei eine „europäische Herausforderung, seiner Ressortzuständigkeit“das Notwendige anordnen und könne sich dabei der Mehrheit in der Fraktion und unter den Deutschen gewiss sein, sagte der Neu-Ulmer CSU-Abgeordnete. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Kanzlerin darauf mit einem Alleingang reagieren wird. Sie weiß, wie wichtig die Fortsetzung dieses mühsam erreichten Regierungsbündnisses ist.“
In Kreisen der CDU hieß es gegenüber unserer Zeitung, man rechne „nicht mit dem Äußersten“. Horst Seehofer könne weder ein Interesse an seiner Entlassung durch Merkel noch an einem Bruch der Koalition haben, „weil das auch das Ende seiner politischen Karriere wäre“. Ein hochrangiges Mitglied der Unionsfraktion, das mit den rechtlichen wie organisatorischen Fragen in der Flüchtlingspolitik bestens vertraut ist, sagte hinter vorgehaltener Hand, man gehe zwar davon aus, dass die Führungsgremien der CSU den Alleingang des Innenministers absegnen würden. Wahrscheinlich werde Seehofer danach aber nicht sofort mit den Zurückweisungen beginnen, zumal die Bundespolizei darauf noch gar nicht vorbereitet sei. „Am Montag wird noch niemand zurückgewiesen“, heißt es. Vielmehr brauche Seehofer mindestens zwei Wochen, um seinen Ankündigungen konkrete Taten folgen zu lassen. Das wäre genau der Zeitraum, den auch Merkel für die von ihr angestrebte Lösung auf europäischer Ebene benötigt. „Bis zum 1. Juli passiert nichts“, lautet die lapidare Prognose des CDU-Innenexperten.
Und wenn doch? Wenn Seehofer, um Stärke und Entschlossenheit zu demonstrieren, doch unverzüglich zurückweisen lässt? Dann, so heißt es am Wochenende aus dem Umfeld der Regierungschefin, dann wäre dies in der Tat der „Casus Belli“– mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Auch wenn das AdenauerHaus bemüht ist, nach außen die Wogen zu glätten, wollte man intern nichts ausschließen und sich alle Optionen offenlassen. Gestern Abend trafen sich die CDU-Spitzen, um über das Szenario zu sprechen.
Für den Ernstfall kursiert in der CDU Folgendes: Die Entlassung Seehofers als Innenminister könnte zum Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU führen. Die CDU beschließt daraufhin, einen eigenen Landesverband in Bayern zu gründen und bei der Landtagswahl am 14. Oktober auch gegen die CSU anzutreten. Für die Aufstellung einer Liste hätte man nach dem Wahlgesetz noch Zeit. Damit, so hieß es in CDU-Kreisen, wären die Hoffnungen des neuen Ministerpräsidenten Markus Söder auf die absolute Mehrheit endgültig dahin.
Das dürfte zwar ein Bluff sein, aus dem Nichts kann man weder einen Landesverband aufbauen noch Wahlkampf führen. Und doch gewährt die CDU damit der kleinen Schwester einen Blick in ihr Waffenarsenal. Nach dem Motto: Wir können auch anders.
Angela Merkel ist empört. Seit Wochen gibt es fast täglich neue Enthüllungen über die Machenschaften des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes in Deutschland. Sogar das Handy der Kanzlerin sollen die US-Spione eiskalt ausspioniert haben. Ein Riesenskandal, der das deutsch-amerikanische Verhältnis massiv stört und in Merkels Forderung mündet: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.“Fünf Jahre ist das her. Und nun sagte der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen ganz ähnlichen Satz – allerdings meinte er damit nicht die Amerikaner, sondern die Deutschen.
Österreichs Staatsoberhaupt und die Regierung von Kanzler Sebastian Kurz fordern von den Deutschen volle Aufklärung über Spionageaktivitäten des Bundesnachrichtendiensts (BND). „Ein Ausspionieren unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel“, stellt Van der Bellen klar. Und Kurz bezeichnet das Ausmaß des Spionageverdachts als „ein enormes“. Anlass für den Ärger in Wien sind Berichte über systematische Abhöraktionen des deutschen Auslandsgeheimdiensts in der Alpenrepublik.
Der BND soll zwischen 1999 und 2006 die Telekommunikation von Ministerien, internationalen Organisationen, von islamischen Einrichtungen und auch Wirtschaftsunternehmen in Österreich überwacht haben. Das berichtet unter anderem die Zeitung Der Standard. Demnach wurden insgesamt 2000 Telefon-, Fax- und Handyanschlüsse sowie E-Mail-Adressen ins Visier genommen. Die Daten seien auch mit den USA geteilt worden.
Die Berichte über die Spionageaktivitäten der deutschen Nachbarn lösen in der österreichischen Politik große Unruhe aus. Das Kanzleramt in Wien beruft umgehend ein Krisentreffen mit den Chefs der Geheimdienste und Vertretern der zuständigen Ministerien ein. Bundespräsident und Bundeskanzler wenden sich anschließend in einer ungewöhnlichen gemeinsamen Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Derartige Abhöraktionen würden „auf Dauer das Vertrauen zwischen den Staaten infrage stellen“, sagt Van der Bellen. Der Bundespräsident bezeichnet die Vorwürfe als „ernst“und sagt: „Ich persönlich lege auf meine Privatsphäre großen Wert.“Für diplomatische Reaktionen gegenüber Berlin erklärt er, sei es „ein bisschen früh“.
Heute wäre das Spionieren in dieser Form wohl gar nicht mehr möglich. Mit der BND-Reform wurde die Spionage gegen Bürger und Einrichtungen von EU-Staaten 2016 stark beschränkt. Anlass waren übrigens die Spähaktivitäten der USA gegen Deutschland.