Berlin auf dem Gipfel am Pranger?
Vor dem Treffen des Verteidigungsbündnisses hat Trump unmissverständlich höhere Militärausgaben von Deutschland gefordert. Nun droht eine Eskalation des Konflikts
Berlin Ein Eklat mit unübersehbaren Folgen für Deutschlands Sicherheit droht beim zweitägigen Nato-Gipfel, der am Mittwoch in Brüssel beginnt. US-Präsident Donald Trump ist erbost über zu niedrige Verteidigungsausgaben vieler Mitglieder des westlichen Militärbündnisses. Und in seinem Zorn könnte er gerade Deutschland ins Visier nehmen, das vom vereinbarten Ziel, bis 2024 zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, weit entfernt ist. So muss Deutschland zittern, dass die USA die jahrzehntealten Beistandsverpflichtungen infrage stellen könnten.
Der Politikwissenschaftler und Verteidigungsexperte Jan Techau vom German Marshall Fund sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Die Eskalation über das Zwei-ProzentZiel ist erwartbar. Deutschland wird am Pranger stehen. Die Frage ist nur, wie schlimm es werden wird.“Techau will nicht ausschließen, dass Trump wie beim G7-Gipfel in Kanada ein starkes Zeichen seines Ärgers setzen könnte – „etwa indem er abreist und zum Golfen nach Schottland fliegt.“Die gesamte europäische Machtbalance könne durch ein Scheitern des Gipfels oder gar eine Aufkündigung des transatlantischen Bündnisses aus den Fugen geraten.
Techau: „Es fühlt sich an wie eine Art Wachablösung. Doch Deutschland und Europa sind nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, denn sie können ihre wirtschaftliche Macht nicht in Sicherheit ummünzen.“Angesichts der russischen Annexion der Krim, des schwelenden Konflikts in der Ostukraine, der Lage in Nahost, der weltweiten Terrorgefahr oder des wachsenden chinesischen Machtstrebens sieht Techau für Europa so hohe Sicherheitsrisiken wie lange nicht. „Der Glaube, dass die Zeit der friedlichen Konfliktlösung angebrochen ist, hat sich als die Illusion erwiesen, die sie immer schon war“, sagt der Politikwissenschaftler.
Neu ist die Schärfe, mit der USPräsident Trump immer wieder klarmacht, dass er die Nato in ihrer jetzigen Form als „schlechtes Geschäft“betrachtet und das amerikanische Beistandsversprechen für säumige Verbündete infrage stellt. „Und wir sind die Deppen, die für die ganze Sache bezahlen“, brachte Trump jüngst diese Haltung auf den Punkt, direkt an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gerichtet. USMedien spekulierten zudem über einen möglichen Abzug eines Teils der rund 35000 in Deutschland stationierten US-Soldaten, was die Regierung allerdings dementierte. Mit Sorge müssten die übrigen 28 NatoMitglieder auch auf das Treffen zwischen Trump und Russlands Machthaber Wladimir Putin blicken, das vier Tage nach dem NatoGipfel in Helsinki geplant ist, sagt Jan Techau. „Die Befürchtung ist, dass Trump Putin Zugeständnisse auf Kosten europäischer Sicherheitsinteressen machen wird. Und ich halte diese Sorgen nicht für abwegig“, fügt er hinzu.
2014 hat sich Deutschland beim Nato-Gipfel in Wales verpflichtet, sich bis 2024 dem Zwei-ProzentZiel anzunähern. Im Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sind für das Verteidigungsressort von Ursula von der Leyen (CDU) 42,9 Milliarden Euro vorgesehen – rund vier Milliarden mehr als im laufenvorzeitig den Jahr. Das bedeutet, dass 2019 lediglich eine Quote von 1,31 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht wird. Experten haben ausgerechnet, dass sich die Militärausgaben bis 2024 auf mehr als 80 Milliarden Euro erhöhen, also fast verdoppeln müssten, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Bisher hat die Bundesregierung aber faktisch nur ein Anwachsen auf 1,5 Prozent in diesem Zeitraum in Aussicht gestellt. Die Bundeskanzlerin hat zwar in einer Videobotschaft steigende Wehrausgaben verteidigt, bei der Bundeswehr gehe es um „Ausrüstung statt Aufrüstung“. Doch auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg fordert Deutschland als stärkste europäische Wirtschaftsmacht auf, mehr zu tun.
Militärexperte Jan Techau glaubt: „Angesichts dessen, was droht, würde Deutschland mit einer Erfüllung des Zwei-Prozent-Zieles günstig wegkommen. Es geht ja nicht darum, uns bei Trump lieb Kind zu machen.“Sondern, angesichts des „jämmerlichen Zustands“, in dem sich die Bundeswehr befinde, „um nichts weniger als unsere eigene Sicherheit“.