Meditieren mit Maschinen
Der Berliner Hojin Kang sucht im Kunstverein Ulm nach einem Ausgleich zwischen digitaler und realer Welt
Ulm Nehmen Sie jetzt ihr Smartphone zur Hand. Wenn es da nicht ohnehin schon ist, Sie wissen schon, Artikel lesen, Mails checken, in die WhatsApp-Gruppe vom Büro schreiben. Okay? Jetzt also: Zehn Sekunden auf den Ausschaltknopf drücken. Atmen Sie dabei tief ein und aus. Jetzt halten Sie das Gerät in einer Hand, wischen Sie mit dem Daumen von oben nach unten. Bewegen Sie ihren Kopf dabei ebenfalls von oben nach unten. Und dann wieder von unten nach oben. Weiter ruhig atmen. Schon entspannter?
Die Meditationsübung mit dem Telefon (und noch ein paar andere) hat sich der Berliner Künstler Hojin Kang ausgedacht. Sie ist Teil seiner Ausstellung „This site is buffering“beim Kunstverein Ulm. Ein Satz, den Computer- und Handybenutzer gut kennen: Er steht immer dann auf dem Bildschirm, wenn eine Website lädt, verbunden mit einem Ladesymbol. Immer dann entstehen ungewollt Momente des Innehaltens, die sich – zumindest theoretisch – auch zum Meditieren nutzen lassen. Auch der Schuhhaussaal, auch eine „site“(englisch für Ort), soll das nach Wunsch Kangs sein.
Aber keine Angst: Es geht immer noch um Kunst, nicht nur um Meditation. Hojin Kang, geboren 1986 und nicht nur Künstler, sondern auch Kommunikationsdesigner, macht kreative und auch humorvolle Vorschläge für eine Welt, in der die digitalen Medien Teil des Alltags sind, aber nicht das gesamte Dasein bestimmen. Aber als Besucher sieht man zunächst Bauzäune im Ausstellungsraum. „Die alte Welt bröckelt – aber die neue ist noch nicht fertig“, erklärt Kuratorin Katharina Ritter vom Kunstverein die Idee dahinter. Um die Zäune herum sind mehrere Arbeiten rund um das Thema „Mensch Maschine Meditation“angeordnet. Und alle haben mit digitalen Lebensaspekten zu tun.
Da ist zum Beispiel die „Meditationsskulptur.zip“. Für diese be- kommen die Besucher leihweise ein Smartphone, durch die mittels Augmented Reality („erweiterte Realität“) ein Objekt auf dem sonst leeren Sockel erscheint, eine Figur, die aus einem 3D-Scan des Künstlers und drumherum rotierenden Texten besteht. Die Projektion „I scroll to calm me“handelt von der beruhigenden Wirkung des sinnlosen Scrollens am Bildschirm. „New Traditions“handelt von der Unmöglichkeit, in der Gegenwart, in der die Neuigkeiten, gleich ob wichtig oder unwichtig, am Menschen (oder User?) nur noch vorbeizuziehen scheinen, etwas Bleibendes festzuhalten. Auf einem Flachbildschirm liegen verschiedene Objekte, darunter ein Stück Treibholz, in das mit einem Laser ein Muster eingeschrieben wurde. Archaik trifft auf Digitalität – und es ergibt Sinn.
Interessante Kunst jenseits von bloßem Kulturpessimismus: Hojin Kang hat die Menschheit noch nicht aufgegeben. Aber er weiß, dass sie sich verändern muss.
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Ausstellung „This site is buffering“läuft bis 16. September im Schuhhaus saal, Kramgasse 4. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag/Sonntag 11 bis 17 Uhr. Der Ein tritt ist frei. Am Mittwoch, 5. Septem ber, 18 Uhr, gibt es eine Kuratorenführung mit Katharina Ritter.