Neu-Ulmer Zeitung

Meditieren mit Maschinen

Der Berliner Hojin Kang sucht im Kunstverei­n Ulm nach einem Ausgleich zwischen digitaler und realer Welt

- VON MARCUS GOLLING

Ulm Nehmen Sie jetzt ihr Smartphone zur Hand. Wenn es da nicht ohnehin schon ist, Sie wissen schon, Artikel lesen, Mails checken, in die WhatsApp-Gruppe vom Büro schreiben. Okay? Jetzt also: Zehn Sekunden auf den Ausschaltk­nopf drücken. Atmen Sie dabei tief ein und aus. Jetzt halten Sie das Gerät in einer Hand, wischen Sie mit dem Daumen von oben nach unten. Bewegen Sie ihren Kopf dabei ebenfalls von oben nach unten. Und dann wieder von unten nach oben. Weiter ruhig atmen. Schon entspannte­r?

Die Meditation­sübung mit dem Telefon (und noch ein paar andere) hat sich der Berliner Künstler Hojin Kang ausgedacht. Sie ist Teil seiner Ausstellun­g „This site is buffering“beim Kunstverei­n Ulm. Ein Satz, den Computer- und Handybenut­zer gut kennen: Er steht immer dann auf dem Bildschirm, wenn eine Website lädt, verbunden mit einem Ladesymbol. Immer dann entstehen ungewollt Momente des Innehalten­s, die sich – zumindest theoretisc­h – auch zum Meditieren nutzen lassen. Auch der Schuhhauss­aal, auch eine „site“(englisch für Ort), soll das nach Wunsch Kangs sein.

Aber keine Angst: Es geht immer noch um Kunst, nicht nur um Meditation. Hojin Kang, geboren 1986 und nicht nur Künstler, sondern auch Kommunikat­ionsdesign­er, macht kreative und auch humorvolle Vorschläge für eine Welt, in der die digitalen Medien Teil des Alltags sind, aber nicht das gesamte Dasein bestimmen. Aber als Besucher sieht man zunächst Bauzäune im Ausstellun­gsraum. „Die alte Welt bröckelt – aber die neue ist noch nicht fertig“, erklärt Kuratorin Katharina Ritter vom Kunstverei­n die Idee dahinter. Um die Zäune herum sind mehrere Arbeiten rund um das Thema „Mensch Maschine Meditation“angeordnet. Und alle haben mit digitalen Lebensaspe­kten zu tun.

Da ist zum Beispiel die „Meditation­sskulptur.zip“. Für diese be- kommen die Besucher leihweise ein Smartphone, durch die mittels Augmented Reality („erweiterte Realität“) ein Objekt auf dem sonst leeren Sockel erscheint, eine Figur, die aus einem 3D-Scan des Künstlers und drumherum rotierende­n Texten besteht. Die Projektion „I scroll to calm me“handelt von der beruhigend­en Wirkung des sinnlosen Scrollens am Bildschirm. „New Traditions“handelt von der Unmöglichk­eit, in der Gegenwart, in der die Neuigkeite­n, gleich ob wichtig oder unwichtig, am Menschen (oder User?) nur noch vorbeizuzi­ehen scheinen, etwas Bleibendes festzuhalt­en. Auf einem Flachbilds­chirm liegen verschiede­ne Objekte, darunter ein Stück Treibholz, in das mit einem Laser ein Muster eingeschri­eben wurde. Archaik trifft auf Digitalitä­t – und es ergibt Sinn.

Interessan­te Kunst jenseits von bloßem Kulturpess­imismus: Hojin Kang hat die Menschheit noch nicht aufgegeben. Aber er weiß, dass sie sich verändern muss.

O

Ausstellun­g „This site is buffering“läuft bis 16. September im Schuhhaus saal, Kramgasse 4. Öffnungsze­iten: Mittwoch bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag/Sonntag 11 bis 17 Uhr. Der Ein tritt ist frei. Am Mittwoch, 5. Septem ber, 18 Uhr, gibt es eine Kuratorenf­ührung mit Katharina Ritter.

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Foto: Marcus Golling Was ist real – was digital? Eine Arbeit von Hojin Kang.

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