Genießbar oder gefährlich?
Bei einer Tour mit Biologe Wolfgang Decrusch erfahren Teilnehmer Wissenswertes über Wild- und Heilkräuter
Roggenburg Als Wolfgang Decrusch mit kurzen Hosen in die Brennnesseln steigt, lässt der gewünschte Effekt nicht lange auf sich warten. Sein Publikum zieht scharf die Luft ein, ein Teil lacht, wieder andere verziehen das Gesicht – wahrscheinlich in schmerzlicher Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit der Pflanze, die Jucken und Brennen auf der Haut auslöst. Decrusch jedoch grinst lässig, greift sich zwei Pflanzen aus dem kniehohen Meer an Grün und watet mit geübten Schritten wieder aus dem Dickicht.
Dass die Brennnessel mehr kann als schmerzlichen Hautausschlag zu verursachen, lernen die etwa 40 Teilnehmer bei einer Exkursion über essbare Wildpflanzen und ihre giftigen Doppelgänger, die jüngst rund um den Roggenburger Weiher führte. Der Biologe Wolfgang Decrusch gewährt im Auftrag des Bund Naturschutz Einblicke in die fast vergessene Welt der Wildkräuter.
An Kräutern und Wildpflanzen lasse sich ins Bewusstsein holen, wie es um die Kulturlandschaft im Landkreis stehe, sagt Decrusch. Und diese verändere sich dramatisch: „Wir haben einen eklatanten Artenschwund und durch die intensive Landwirtschaft erhöhte Nitratwerte im Grundwasser. Es dauert lange, bis wir diese Schäden behoben haben. Die Frage ist daher: Wie gehen wir damit um?“Decrusch, der sich seit mehr als 25 Jahren mit Pflanzen beschäftigt, stellt nach eigener Aussage immer mehr fest, wie sehr sich alles durch die intensive Düngung und die Verwendung von Spritzmitteln verändere. „Dadurch und durch die Bebauung geht die Vielfalt an Pflanzenarten zurück, was zu einem Verlust an Insekten führt. Und das führt wiederum zum Verlust der Vielfalt an Vögeln.“
Alles hat irgendwie miteinander zu tun – das führt der Biologe dann auch am Beispiel der Heilkräuter aus. „Essbare Wildpflanzen und Heilpflanzen lassen sich oft gar nicht trennen. Was man isst, hat immer irgendeine Wirkung auf beispielsweise die Verdauung, auch die kleinsten Mengen.“Umso erleichternder ist da Decruschs Aussage, wonach die Wahrscheinlichkeit, sich in unseren Breitengraden zu vergiften, nicht so hoch sei.
Dennoch komme der, der vermehrt auf Kräuter aus der Wildnis setzen will, um einen Kurs zur Bestimmung nicht umhin, ergänzt der Biologe. Auch Ratgeber seien wichtige Begleiter. Und: Bei der Suche nach Kräutern sollten sich Sammler keinesfalls auf Vögel oder andere Tiere verlassen. Aufgrund der teils gravierenden Unterschiede der Verdauungssysteme könnten diese andere Beeren verarbeiten als der Mensch – der mitunter Bauchkrämpfe davonträgt, wenn er von den falschen Früchten nascht. Also: Finger weg von der Vogelbeere!
Das beste Beispiel für eine tatsächlich essbare Pflanze: die Brennnessel. Ob eingekocht als spinatartige Beilage zum Essen oder die Wurzeln als Wirkstoff in der Männerheilkunde – die Pflanze ist vielseitig einsetzbar. Als Magnesium-Lieferant kann sie auch bei nächtlichen Krampfanfällen helfen. Doch der Tisch am Wegesrand ist weiterhin reichlich gedeckt: Die kreisrunden und handtellergroßen Blätter der Knoblauchsrauke können genauso in den Salat wie die jungen, sanften Blüten der Nachtkerze. Die desinfizierenden Wirkstoffe des Spitzwegerichs helfen bei Mückenstichen, der eingekochte Saft des schwarzen Holunders bei Erkältung.
Von einer Pflanze sollte man jedoch tunlichst die Finger lassen. Der Wasserschierling gehört zu den giftigsten Pflanzen Mitteleuropas, schon ein bis zwei Gramm im Organismus führen zum Tod durch Ganzkörperlähmung. Die Pflanze, die dem griechischen Philosophen Sokrates den Tod brachte, wächst an Teichrändern, beispielsweise in Roggenburg. In den vergangenen Jahren ist sie allerdings sehr selten geworden.