In den Ballettsaal kommt Bewegung
Unter dem neuen Spartenchef Reiner Feistel haben zehn Tänzerinnen und Tänzer den Dienst angetreten. Zeit zum Kennenlernen gibt es kaum, denn die erste Premiere ist nicht weit
Ulm Im Theater werden gerade Garderoben gestrichen. Demnächst soll das Büro des neuen Ballettchefs Reiner Feistel fertig sein. Für den 60-Jährigen und seine Compagnie aber hat die Spielzeit 2018/19 bereits begonnen: Der Montag, Tag des gegenseitigen Kennenlernens, war extrem aufregend und spannend, erzählt Feistel, denn eine derartige Situation hatte er nie erlebt. Zehn junge Menschen, die sich untereinander nicht kennen, müssen in kurzer Zeit zu einem Team werden, das sich blind aufeinander verlassen kann. Auch Feistel hat fast alle der zehn Tänzerinnen und Tänzer bislang nur beim Vortanzen erlebt, als er sie für die Ulmer Compagnie auswählte. Einzig mit dem Japaner Yoh Ebihara hat er bereits in der Vergangenheit gearbeitet, und auch die Russin Maya Mayzel, die neben ihrer Arbeit auf der Bühne in die Ballettschule am Theater einsteigt, kennt er ein wenig.
Kaffee gab es erst einmal, um eine lockere Atmosphäre zu schaffen, in der die Tänzerinnen und Tänzer einander und Feistel beschnuppern konnten. Denn schon am Dienstag ging es mit Disziplin im Ballettsaal zur Sache. „Ich sage immer, wir haben nur sieben Wochen“, sagt Feistel. „Die letzten beiden Wochen vor der Premiere am 18. Oktober proben wir aber auf der Bühne, und da kann man nicht mehr viel ändern, weil es schon um das Licht und solche Dinge geht.“Fünf Wochen also, um zehn Tänzer aus neun Ländern und drei Kontinenten – aus Europa, Asien und Südamerika – zu einer harmonischen Compagnie zu machen.
Die Stimmung unter den Tänzerinnen und Tänzern jedenfalls ist prächtig. „Sie sind voller Energie und Erwartung und wollen loslegen“, erzählt Feistel, der selbst seine ganze bisherige Karriere in Sachsen verbracht hat – unter anderem als Solotänzer an der Semperoper Dresden, als Ballettdirektor der Landesbühnen Sachsen in Radebeul und zuletzt als Choreograf am Theater in Chemnitz. In Ulm ist die Sprache untereinander im Wesentlichen Englisch. „Tänzer sind sozial sehr kompatibel, weil sie in ständiger Bereitschaft leben, sich auf Menschen einzulassen“, berichtet der gebürti-
ge Thüringer. Eigentlich schade, sagt er, dass nicht alle Menschen auf der Welt so offen und neugierig miteinander umgehen können.
Die Rollen für „Gesichter der Großstadt“– einem Ballettabend nach Gemälden von Edward Hopper und zu Musik unter anderem von Frank Sinatra und Michael Nyman, den Feistel vor zwei Jahren in Chemnitz auf die Bühne brachte und für den er mit dem Sächsischen
Tanzpreis ausgezeichnet wurde – sind verteilt. Um Betriebsamkeit und Anonymität in der Großstadt wird es gehen, um Isolation, um Illusion und Desillusion, um Gefühle und Sehnsüchte und das urbane Mit- und Nebeneinander. Der zweite Teil des Abends wird eine Uraufführung über und für Ulm sein, in der die Tänzerinnen und Tänzer der jungen Compagnie die für sie neue Stadt erkunden.
Neu ist auch Gaëtan Chailly. Intendant Kay Metzger brachte ihn, der dem Tanztheater-Ensemble in Detmold seit 2006 angehörte und der dort ein Publikumsliebling war, mit nach Ulm, wo er als Tanzpädagoge und Choreograf arbeiten wird. Chailly wurde an der Pariser Oper ausgebildet; er tanzte unter anderem am Moskauer Bolschoi-Theater. In Detmold wurde er zwei Mal mit dem Theaterpreis ausgezeichnet.