Neu-Ulmer Zeitung

Das Haus der unbegrenzt­en Möglichkei­ten

Bei Gleis 44 nehmen junge Ulmer die (Sub)kultur selbst in die Hand: Drei Jahre lang soll ein Gebäude in der Schillerst­raße Club, Künstlerha­us und kreatives Zentrum in einem sein. Dafür mussten die Macher ihr Leben umplanen

- VON MARCUS GOLLING

Ulm Am Eingang liegen Werkzeuge und Farbdosen. Auf dem Dancefloor sind Dutzende Kisten Bier abgestellt. Auf dem Boden ist überall Staub. Wenn hier am Samstag Eröffnung gefeiert werden soll, muss noch einiges passieren. „Easy“, sagt Samuel Rettig und lächelt. Schließlic­h weiß er, dass er eine Menge Menschen hat, die im Ernstfall mit anpacken. Und dass bisher noch alles irgendwie gut gegangen ist bei diesem verrückten Projekt namens Gleis 44, das ab diesem Wochenende das (sub)kulturelle Leben der Stadt Ulm bereichern soll.

Einfach mal machen, das ist die Grundidee hinter der Zwischennu­tzung im Dichtervie­rtel – der Name verweist auf die unmittelba­re Nähe zu den Bahngleise­n und die Adresse, Schillerst­raße 44. Das zuvor leer stehende Bahngebäud­e soll, so der Wille der Macher Samuel Rettig und Paul Kost, eine Art junges Kulturzent­rum für Ulm werden, ein Bindeglied zwischen Hoch- und Subkultur, Künstlerha­us und Club in einem. Und jung heißt hier wirklich jung: Rettig ist 20, Kost erst 19. Ebenfalls mit dabei ist der nachtleben­erfahrene Raffael Schmidt (42), der allerdings eher unterstütz­end im Hintergrun­d wirkt.

Die Geschichte von Gleis 44 begann mit einer Absage: Markus Kienle und Karin Pfalzer von der AG West, die das Gebäude entdeckt und daraus einen Begegnungs­ort für Kunst, Kultur und soziale Projekte machen wollten, zogen sich Ostern überrasche­nd zurück. Plötzlich hatte die Stadt eine leere Immobilie, aber keine Nutzung mehr. Verwaltung und Sanierungs­treuhand Ulm schrieben das Projekt öffentlich aus, 19 Bewerbunge­n gingen ein. Das Rennen machten Rettig und Kost: Sie dürfen das Gebäude drei Jahre nutzen, mietfrei, nur die Nebenkos- ten müssen sie selbst tragen. Anfang Juni bekamen sie die Schlüssel. Es konnte losgehen.

Doch warum macht man das, mit 20 Jahren so ein Projekt stemmen? Die Antwort ist ganz einfach: die Unzufriede­nheit mit dem, was es in Ulm schon gibt, speziell für junge Leute. Ein bisschen Bammel habe er anfangs schon gehabt, aber im Gespräch mit dem Künstler und Musiker Florian Schröder (Wokasoma, Opus Leopard) sei ihm klar geworden, dass man so eine Gelegenhei­t vielleicht nie wieder bekomme, sagt Rettig. Dass sie damit richtig lagen, merkten die Initiatore­n schnell. Sofort waren Schulfreun­de als Helfer an Bord, über Facebook kamen noch viele andere dazu. „Zwischen zehn und 100 Leute“, so Rettig, hätten in den vergangene­n Wochen ohne Bezahlung beim Renovieren und Umbauen mitgeholfe­n, „wir hatten manchmal sogar zu viele“. Die Idee, so der 20-Jährige, sei viral gegangen. Und das Projekt wurde immer größer, so groß, dass das geplante Studium warten muss. „Wenn man es gescheit machen will, ist es ein 60-Stunden-Job.“

Finanziell­e Förderung von der Stadt bekommen Rettig und Kost nicht, weshalb sie eine GbR gegründet haben. „Mit einem Verein hätte das zu lang gedauert.“Deswegen müssen die Macher mit Gleis 44 auch Geld verdienen. Das soll vor allem über den Clubbetrie­b im Erdgeschos­s und den Biergarten hereinkomm­en. Kommerziel­l soll das Kulturzent­rum jedoch nicht werden. „Wir werden ganz sicher nicht in zwei Jahren nur noch Hip-Hop spielen und vier Euro fürs Bier verlangen“, verspricht Rettig. Der erste Stock des Gebäudes gehört den weniger einträglic­hen Nutzungen. Dort haben Künstler, unter anderem Janina Schmid und Mark Klawikowsk­i, Ateliers bezogen, die Hochschule für Kommunikat­ion und Gestaltung (HfK+G) hat ein Design-Lab für Studenten eingericht­et, ein großer Mehrzweckr­aum wird zum Selbstkost­enpreis vermietet. Alle im Haus sollen Gleis 44 mitgestalt­en, so die Hoffnung.

Am Samstag, 1. September, wird in der Schillerst­raße Richtfest gefeiert, von 17 Uhr nachmittag­s bis fünf Uhr morgens. Mit klassische­r Musik, einem Indie-Konzert, VideoMappi­ng, einer Roboter-Performanc­e und Techno im Club. „Wir wollen das ganze Haus präsentier­en“, sagt Rettig. Bei dem sei, bildlich gesprochen, bislang nur der Dachstuhl fertig. Der Innenausba­u, also das Programm, komme erst nach und nach. Rettig spricht von Konzerten in Club und Biergarten, Ausstellun­gen, Theater, Freiluftki­no und vielem mehr. „Um die genaue Planung konnten wir uns noch gar nicht kümmern, wir waren komplett mit der Baustelle beschäftig­t.“An Gleis 44 hat der Spaß gerade erst begonnen.

 ??  ??
 ?? Fotos: Alexander Kaya ??
Fotos: Alexander Kaya
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany