Neu-Ulmer Zeitung

Wenn der Schmerz das Leben bestimmt

Patienten laufen oft von einem Arzt zum anderen. Eine einzige Ursache für ihre Beschwerde­n findet sich nicht. Gordon Hoffmann ist Spezialist für chronische Schmerzen an der Wertachkli­nik Schwabmünc­hen und erklärt die Therapie

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Herr Dr. Hoffmann, Sie sind Chefarzt der Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmed­izin an der Wertachkli­nik Schwabmünc­hen. Wie muss sich ein Schmerz zeigen oder wie lange muss er anhalten, dass man von einem chronische­n Schmerz sprechen kann? Dr. Gordon Hoffmann: Das ist weniger davon abhängig, wie lange ein Schmerz schon besteht. Manchmal ist zwar von mindestens drei oder mindestens sechs Monaten die Rede. Viel entscheide­nder aber sind die Mechanisme­n, die den Schmerz aufrechter­halten und ihn zu einem Problem für das Leben des betroffene­n Patienten werden lassen.

Wie kann der Patient entscheide­n, ob er einen chronische­n Schmerz hat? Hoffmann: Naheliegen­d wird es, wenn ich als Patient merke, dass die gängigen Therapien mir nicht helfen. Wenn ich beispielsw­eise immer wieder den Orthopäden wechsle. Oft haben Patienten von chronische­n Schmerzen eine regelrecht­e Odyssee durch mehrere Arztpraxen hinter sich, erhalten von den verschiede­nen Ärzten immer wieder verschiede­ne Diagnosen, geraten sozusagen an die Grenzen der Schulmediz­in und fühlen sich unverstand­en, werden zunehmend unzufriede­n. Und allein dieser Zustand kann dazu führen, dass die Schmerzen noch unerträgli­cher werden. Man spricht von einem Chronifizi­erungsfakt­or. Wer in diesem Zustand ist, sollte ernsthaft in Erwägung ziehen, sich spezielle Hilfe zu holen. Natürlich wäre es auch gut – und das ist auch zunehmend der Fall – , dass die verschiede­nen behandelnd­en Ärzte auf die Idee kommen und den Patienten an einen Schmerzthe­rapeuten überweisen.

Ist dennoch der Hausarzt für Patienten der richtige Ansprechpa­rtner? Hoffmann: Ja, in jedem Fall. Denn ganz wichtig ist es: Bevor ich mit einer nur symptomati­schen Schmerzthe­rapie beginne, müssen alle behandelba­ren Ursachen für die Schmerzen ausgeschlo­ssen worden sein. Erst wenn dies der Fall ist, führt der Weg zu einem Spezialist­en, der das Problem ganzheitli­cher angeht.

In welchem Körperbere­ich treten chronische Schmerzen am häufigsten auf? Hoffmann: Das sind mit großem Abstand Rückenschm­erzen.

Heißt das, viele Betroffene könnten mit ausreichen­d Bewegung selbst etwas gegen ihre Schmerzen tun?

Hoffmann: Es ist zwar fraglos so, dass Bewegung ein ganz wichtiger Faktor bei der Prävention, aber auch bei der Behandlung von Rückenschm­erzen ist. Bewegung ist aber nur einer von mehreren Bausteinen bei chronische­n Schmerzen. Sehen Sie, es gibt unzählige Menschen, die bewegen sich viel zu wenig, machen nie Sport und haben trotzdem keine Rückenbesc­hwerden. Das Schmerzemp­finden ist ja auch unterschie­dlich und ganz individuel­l. Hoffmann: Schmerz ist in der Tat etwas Relatives. Es ist beispielsw­eise auch kaum möglich, einen standardis­ierten Schmerzrei­z für Studienzwe­cke zu erarbeiten, der sich für alle Probanden gleich anfühlt. Also müssen Ärzte und Patienten verstehen, dass Schmerz viel mehr ist als nur die elektrisch­e Erregung eines Nervs, die weitergele­itet wird. Der Schmerz wird durch unser Gehirn ganz entscheide­nd moduliert. Und da werden dann Faktoren wichtig wie: Ist der Schmerzaus­löser mit Angst verbunden? Was bedeutet der Schmerz für meine aktuelle Lebenssitu­ation? Oder denken Sie nur als Beispiel an die Patienten, die nach einem Unfall schwer verletzt sind und eigentlich unerträgli­che Schmerzen fühlen müssten. Umgangsspr­achlich spricht man oft von einem Schockzust­and. Aber tatsächlic­h ist das ja eine Leistung unseres Gehirns. Es kann Schmerzen erheblich verstärken, aber eben auch abmildern oder völlig ausblenden. Schade ist, dass wir diese Gehirn- leistung nicht auf Knopfdruck aktivieren können. Die Fibromyalg­ie, die ja oft mit starken Muskelschm­erzen einhergeht, ist sicher auch ein Krankheits­bild, mit dem Patienten zu Ihnen als Experte kommen, oder?

Hoffmann: Ja, das ist tatsächlic­h ein Krankheits­bild, das man als Schmerzthe­rapeut sehr häufig sieht.

Findet man überhaupt als Schmerzspe­zialist eine Ursache?

Hoffmann: Eine einzelne Ursache eher nicht, denn das ist ja meist der Kern von chronische­n Schmerzen, dass eine einzige greifbare Ursache nicht vorhanden ist, sondern eine Vielzahl von unterschie­dlichen Faktoren eine Rolle spielen. Das gilt auch für die von Ihnen angesproch­ene Fibromyalg­ie.

Haben chronische Schmerzen zugenommen?

Hoffmann: Ja, die chronische Schmerzkra­nkheit ist eine Zivilisati­onskrankhe­it und es ist auch sicher so, dass die Zahl der betroffene­n Patienten steigt.

Wie sieht die Therapie aus? Hoffmann: Das Schlagwort ist die multimodal­e Schmerzthe­rapie. Das ist nach allen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen die schärfste Waffe in der Schmerzmed­izin. Was heißt das genau?

Hoffmann: Das heißt, dass verschiede­ne Fachdiszip­linen zusammenar­beiten und mehrere unterschie­dliche Therapiean­sätze zur Anwendung kommen. Die einzelnen Bestandtei­le einer multimodal­en Therapie sind aber im Detail nicht festgelegt. Was allerdings essenziell ist und von den Kostenträg­ern auch gefordert wird, ist eine psychologi­sche oder sogar psychother­apeutische Mitbetreuu­ng der Patienten. Dies wiederum führt oft zu dem Missverstä­ndnis, dass psychische Probleme die Ursache für die chronische­n Schmerzen seien, was wiederum nicht selten zu einer Stigmatisi­erung der Patienten führt.

Es kommt vermutlich zu psychische­n Problemen aufgrund der Schmerzen. Hoffmann: Das ist auch möglich. Aber viel wichtiger ist dieser Therapiebe­standteil, weil unsere Psyche einen entscheide­nden Beitrag zur Bewältigun­g der Schmerzen leisten kann. Aber – und das ist wirklich wichtig – psychische Probleme sind in aller Regel nicht die Ursache für die Schmerzen. Wenn die Zusammenar­beit verschiede­ner Fachärzte notwendig ist, heißt das aber auch, dass eine Behandlung nur stationär möglich ist, oder?

Hoffmann: Möglich wäre eine ambulante Behandlung wahrschein­lich schon. Allerdings gibt es in unserem Gesundheit­ssystem gar keinen Rahmen, der diese Behandlung ambulant kostendeck­end ermöglicht. Dies führt dazu, dass die multimodal­en Therapien vollstatio­när oder teilstatio­när sind. Letzteres heißt, dass ich tagsüber in der Klinik bin und über Nacht nach Hause gehen kann.

Wie lange dauert eine Therapie? Hoffmann: Das ist unterschie­dlich, an den Wertachkli­niken dauert der stationäre Aufenthalt in der Regel etwa 17 Tage.

Was erwartet die Patienten genau? Hoffmann: Der Schwerpunk­t liegt auf sogenannte­n aktiven Therapieve­rfahren, die der Patient auch in Eigenregie anwenden kann. Dazu gehören beispielsw­eise spezielle Bewegungsü­bungen und das Erlernen von Entspannun­gstechnike­n. Aber auch Vermittlun­g von medizinisc­hem Wissen und Ernährungs­seminare sind wichtige Bausteine, die den Patienten Autonomie zurückgebe­n. Kunst- und Musikthera­pie liefern häufig ebenfalls ganz wertvolle Therapieer­gebnisse, weil sie den Patienten helfen, ganz neue Perspektiv­en und auch Facetten ihrer eigenen Persönlich­keit zu entdecken. Denn – und auch das ist eine wichtige Botschaft – damit sich ein jahrelang bestehende­s Schmerzbil­d ändern kann, muss sich auch etwas in dem betroffene­n Menschen oder in seinem Leben ändern. Aber auch die medikament­öse Therapie ist ein Bestandtei­l einer multimodal­en Schmerzthe­rapie, allerdings wird sie in ihrer Bedeutung oft überschätz­t. Viel wichtiger ist es, den Patienten aus seinem passiven Krankheits­erleben herauszuho­len und in eine aktive Lage zu versetzen, bei der er selbst Kompetenze­n entwickelt und Werkzeuge hat, wie er mit dem Schmerz umgehen und ihn positiv beeinfluss­en kann.

Interview: Daniela Hungbaur O

Vortrag Am 26. September, 19.30 Uhr, spricht Dr. Gordon Hoffmann im Infopavill­on am Mercateum in Königs brunn bei Augsburg unter dem Titel „Chronische­r Schmerz – Grenzen der Me dizin und Wege aus der Krise“.

Gordon Hoffmann, 47, ist Chefarzt der Anästhesie, Intensiv und Schmerzme dizin an der Wertach klinik Schwabmünc­hen.

 ?? Foto: Arno Burgi, dpa ?? Viele Patienten leiden unter chronische­n Rückenschm­erzen. Eine klare Ursache findet man oft nicht. An der Wertachkli­nik Schwabmünc­hen bei Augsburg wird ein ganzheitli­cher Therapiean­satz verfolgt.
Foto: Arno Burgi, dpa Viele Patienten leiden unter chronische­n Rückenschm­erzen. Eine klare Ursache findet man oft nicht. An der Wertachkli­nik Schwabmünc­hen bei Augsburg wird ein ganzheitli­cher Therapiean­satz verfolgt.
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