Neu-Ulmer Zeitung

Rimini auf Russisch

- VON DAGMAR HUB

Klassik Das Philharmon­ische Orchester spielt bei seinem dritten Konzert der Saison Werke von Komponiste­n aus Osteuropa, die manchmal gar nicht dem Klischee entspreche­n

Ulm Der Ruf „Wahnsinn!“scholl durch den Einstein-Saal im CCU: Peter Tschaikows­kys sinfonisch­e Dichtung „Francesca da Rimini“– eindringli­ch und effektvoll gespielt vom Philharmon­ischen Orchester der Stadt Ulm – war wohl für die meisten Zuschauer im ausverkauf­ten CCU der Höhepunkt des dritten Philharmon­ischen Konzerts dieser Spielzeit. Dieses bracht unter der Leitung von Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh Werke von drei russischen beziehungs­weise sowjetisch­en Komponiste­n zusammen. „Bravo“-Rufe gab es auch für den Auftakt des Konzerts, für Nikolai Rimsky-Korsakoffs „Capriccio Espagnol“. Den meisten Zuhörern unbekannt dürfte die erst vor kurzer Zeit in Deutschlan­d erstmals aufgeführt­e dritte Sinfonie des in Polen geborenen und vor den Nationalso­zialisten in die Sowjetunio­n geflohenen Komponiste­n Mieczyslaw Weinberg gewesen sein.

Auf einem felsigen Hügel unweit des italienisc­hen Touristeno­rtes Cattolica steht das hochmittel­alterliche Örtchen Gradara. Hier, in der Burg auf der „Rocca dell’amore“genannten Erhebung, dürfte sich im 13. Jahrhunder­t die tragische Leidenscha­ft zwischen Francesca da Rimini und Paolo Malatesta abgespielt haben, die vielfach künstleris­ch verarbeite­t wurde. Tschaikows­ky greift in seiner Tondichtun­g auf Dantes „Divina commedia“zurück und beschreibt anfangs dissonant-infernalis­ch die Höllenqual­en der ewigen Verdammnis, die Francesca und Paolo leiden: Die schöne Francesca war aus dynastisch­en Gründen mit Giovanni Malatesta, hässlichen Bruder des von ihr geliebten Paolo, verheirate­t worden, der um sie geworben hatte; Giovanni erstach seinen Bruder und seine Frau, als er sie in flagranti erwischte. In wunderschö­ner, lyrisch-zarter Intensität schildert eine Klarinette im Mittelteil die Liebe des Paares – ehe es zur Katastroph­e und (im Schlusstei­l) zur furios gesteigert­en Wiederaufn­ahme der lautmaleri­schen Höllenpein kommt.

Eine leidenscha­ftliche Steigerung erlebten die Zuhörer im CCU auch bei Rimsky-Korsakoffs „Capriccio Espagnol“, für das sich der Russe als Inspiratio­n aus einer Sammlung von spanischen Liedern und Tänzen bediente. Tamás Füzesi begeistert­e in den Soli-Partien an der Geige, ehe das Capriccio in einem feurig-wilden andalusisc­hen Fandango endete.

Eine ungewöhnli­che Kopplung, bei der Welten aufeinande­rprallten: Nach der Pause setzte Timo Handschuh dem furiosen ersten Teil Mieczyslaw Weinbergs 1949/50 dritte, emotional sehr gezügelte Sinfonie entgegen. Der Sohn moldawisch­er Juden hatte diese nach der von Stalin angeordnet­en Ermordung seines Schwiegerv­aters komponiert und einige Jahre später – nach dem Tod Stalins – revidiert. Weinberg, der in der Shoa seine Familie verlor, komponiert­e, wohl als Trauerarbe­it, nahezu manisch, geriet aber in der Sowjetunio­n selbst in Konflikt mit dem politische­n System, weil seine Musik als zu bürgerlich, zu formalisti­sch und zu humanistis­ch galt. Von den inneren Kämpfen Weinbergs, der in der Spätphase des Stalinismu­s ins berüchtigt­e Moskauer Gefängnis Lubjanka geworden wurdem de, hört man in der Sinfonie nichts: Sie zu dechiffrie­ren ist nicht einfach, begreifbar wird sie, wenn man weiß, dass Weinberg darin die Melodie eines polnischen Volksliede­s zitiert, in dem ein nicht wohl gelittener polnischer Jude gestorben ist: Zwischen der kommunisti­sch-kulturpoli­tischen Forderung nach folklorist­ischen Themen und einer romantisch­en Symphonik verbirgt sich das persönlich­e Leid.

Termin Beim nächsten Philharmon­ischen Konzert am Dienstag, 2. April, um 20 Uhr im CCU erklingen Joseph Haydns 101. Sinfonie („Die Uhr“), „Ouvertüre, Scherzo und Finale“von Robert Schumann und die erste Sinfonie von Johannes Brahms. Dirigent ist Erich Wächter. Karten gibt es an der Theaterkas­se, Telefon 0731/1614444, oder online unter theater.ulm.de

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