„Wir müssen mit gefährlichen Menschen leben“
Interview Der ehemalige Bundesgerichtshof-Richter Fischer gilt als einer der wortgewaltigsten Strafrechts-Experten in Deutschland. Er erklärt, warum die Politik im Streit um IS-Rückkehrer bei den Bürgern falsche Erwartungen schürt
Herr Professor Fischer, Sie waren viele Jahre am Bundesgerichtshof und damit einer der wichtigsten deutschen Strafrichter. Wie sollte Deutschland mit IS-Rückkehrern umgehen, die in Syrien gekämpft haben?
Thomas Fischer: So, wie es das Gesetz vorschreibt. Das steht ja auch gar nicht zur Disposition. Wenn Personen in diesen Bürgerkriegen, insbesondere in Syrien und für den IS, gekämpft haben, haben sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit strafbar gemacht. Gegen sie müssen dann in Deutschland Verfahren eingeleitet werden.
Großbritannien hat die Rückkehr einer jungen Frau blockiert, indem es ihr die Staatsbürgerschaft aberkannt hat. Geht das so einfach?
Fischer: Das geht überhaupt nicht einfach. Wenn es sich um deutsche Staatsbürger mit nur einer Staatsbürgerschaft handelt, dann ist es nach Artikel 16 Absatz 1 des Grundgesetzes verboten, sie zu entziehen. Damit soll die Staatenlosigkeit verhindert werden. Bei Doppelstaatlern kann die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn der Betroffene einem bewaffneten Verband eines anderen Staates beigetreten ist. Das ist eine Ausnahme, die hier nicht greift, weil der IS kein Staat, sondern eine Terrororganisation ist. Trotz ihres Namens ist sie genauso wenig Staat wie Boko Haram oder Al-Kaida.
Das bisherige Recht verhindert die Aberkennung in Deutschland. Das will die Bundesregierung nun ändern. Was halten Sie davon?
Fischer: Es kann wegen des Verbots in Artikel 16 Absatz 1 des Grundgesetzes nur solche Personen betreffen, die mehrere Staatsangehörigkeiten haben. Ich halte es nicht für überzeugend. Es ist der ziemlich populistische Versuch, sich ein Problem auf Kosten Dritter vom Hals zu schaffen. Wenn, statt wie bisher die Eingliederung in einen KampfVerband eines fremden Staats nun die Beteiligung an irgendwelchen „Terrorgruppen“ausreicht und als Motiv ein „Abwenden von Deutschland“, ist das ein ungutes Zeichen für das Verschwimmen der Grenzen zwischen Staatsrecht und Strafrecht, Krieg und Strafverfolgung. Weder die Welt noch Deutschland werden dadurch sicherer. IS-Kämpfer einfach auszubürgern, damit sich andere mit ihren Taten und ihrer Gefährlichkeit befassen sollen, ist nicht nur keine Lösung, sondern unverantwortlich. Es sind deutsche Staatsangehörige, die ausgezogen sind, um Verbrechen zu begehen. Einen deutschen Bürger, der im Ausland – vielleicht – einen Mord begangen hat, kann sich der deutsche Staat nicht einfach durch Ausbürgerung vom Hals schaffen.
In 32 der 42 Verdachtsfälle laufen ja noch Ermittlungsverfahren. Wie schwierig sind die Ermittlungen? Fischer: Das Auswärtige Amt hat ja eine umfangreiche Liste. Gegen 32 laufen Ermittlungsverfahren, gegen 18 liegt schon Haftbefehl vor. Der deutsche Staat ist kein Amateurverein. Der deutsche Staat hat natürlich Personen vor Ort, die dort schon ermitteln und versuchen, Vorwürfe zu konkretisieren. Die Verdächtigen sind derzeit wohl in Kriegsgefangenenlagern. Wenn sie ausgeliefert werden, dann müsste hier entschieden werden, ob sie in Untersuchungshaft kommen oder nicht. Da gibt es aber keinen Automatismus, sondern ein Ermittlungsrichter muss entscheiden.
Schürte Außenminister Heiko Maas falsche Erwartungen mit der Aussage, Rückkehrer könnten mehr oder minder automatisch in U-Haft kommen? Fischer: Das ist abwegig. Es kann kein Haftgrund sein, dass jemand aus Syrien kommt. So tief gesunken ist Deutschland noch nicht. In Haft kommt nur, gegen wen ein dringender Tatverdacht einer Straftat vorliegt, hier jedenfalls eine Tat der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Dazu muss ein sogenannter Haftgrund kommen: Flucht- oder Verdunkelungsgefahr liegen hier nahe.
Wieso wird die U-Haft von Maas als Lösung verkauft?
Fischer: Er tut so, als sei die Sache schon erledigt, wenn jemand in U-Haft genommen wurde. Dabei ist sie keine vorweggenommene Strafe, sondern eine Inhaftierung zur Sicherung des Verfahrens. Ob dann in dem Verfahren Schuld festgestellt wird, unterliegt nicht der Prüfung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, sondern der des Gerichts. Und selbst eine Verurteilung bedeutet ja nicht, dass alle Gefangenen lebenslang in Haft oder Sicherungsverwahrung kommen. Sie bekommen eine Strafe, die den ihnen nachweisbaren Straftaten angemessen ist. Und danach werden sie wieder entlassen. So funktioniert das in einem Rechtsstaat. Wie ist mit den Kindern der ISKämpfer umzugehen? Können sie den Eltern entzogen werden?
Fischer: Das kann sein. Das liegt nicht ganz fern. Wenn jemand seine Kinder so erzieht, dass sie in der Gesellschaft ausgegrenzt werden, oder mit dem Ziel, sie zu Kämpfern für einen Gottesstaat zu machen, dann wird das Kindeswohl gefährdet. Der deutsche Staat ist sehr darauf aus, dass die Jugendämter möglichst frühzeitig und umfassend eingreifen. Das ist auch richtig. Man sollte diesen Kindern nicht die Last der Verbrechen ihrer Eltern auferlegen, und sie davor schützen, in dasselbe Fahrwasser zu geraten.
Wie lassen sich Straftaten in Syrien hierzulande überhaupt nachweisen? Fischer: Jeder, der dort gekämpft hat, hat sich der Mitgliedschaft einer Terrororganisation schuldig gemacht. Ob er zusätzlich einzelne Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung begangen hat, wird man im einen Fall beweisen können, im anderen nicht. Bei manchen wird es Zeugen geben wie Mitgefangene, oder möglicherweise Opferzeugen. Es ist ja nicht grundsätzlich wesentlich leichter, in Syrien diese Prozesse zu führen und Beweise zu bringen.
Ist zu befürchten, dass potenzielle Gefährder mangels Beweisen nach ihrer Rückkehr auf freien Fuß kommen? Fischer: Das ist im Grundsatz möglich, und dann auch zu befürchten. Aber in Deutschland gibt es zu jeder Zeit eine Menge gefährliche Menschen. Wenn man die Patientenakten aller Psychiater durchsuchen würde, würde man auf Hunderttausende stoßen, die potenzielle Gefährder sind. Und es gibt auch viele Menschen, die schon Straftaten begangen haben, nach Haftverbüßung aber wieder frei sind. Die Gesellschaft könnte jede Gefährdung nur um den Preis totalitärer Verhältnisse ausschließen. Natürlich ist ein ISKämpfer in besonderer Weise gefährlich. Aber man kann nicht über eine enge Überwachung hinausgehen. Eine unbegrenzte Vorbeugehaft
„Einen deutschen Bürger kann sich der Staat nicht einfach durch Ausbürgerung vom Hals schaffen.“Thomas Fischer
können wir nicht einführen. Das mag für Stammtischgespräche interessant erscheinen, aber ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft das moralisch aushalten würde. Wir müssen letztendlich auch mit gefährlichen Menschen leben. Und angemessene Mittel finden, mit dieser Gefahr umzugehen.
Wie kann eine Deradikalisierung und Rückkehr in die Gesellschaft gelingen? Fischer: Es kommt auf den Einzelnen an. Im Grundsatz ist es klar. Wir haben es ja bekanntlich geschafft, eine große Zahl von deutschen Staatsangehörigen, die vor 70 Jahren in Europa Menschenrechtsverbrechen und Massaker begangen haben, in die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu integrieren. Sie wurden zu guten Bürgern. Abgesehen davon: Menschen ändern sich auch. Wer mit 19 oder 23 durchgeknallt war, kann mit 42 trotzdem ein anständiger Kinderarzt sein. Interview: Mirjam Moll
Thomas Fischer Der 65-jährige Strafrechts-Professor war 17 Jahre lang Richter am Bundesgerichtshof, ist ehemaliger Bundesrichter sowie Autor und Herausgeber diverser Gesetzeskommentare. Öffentlich bekannt wurde der Richter mit populären wöchentlichen Kolumnen in mehreren Medien.