Frauenhaus zieht an neuen geheimen Ort
Gewalt Wenn der Mann zuschlägt, können Frauen und Kinder in der Einrichtung in Ulm Schutz finden. Doch die Anonymität ist über die Jahre brüchig geworden. Ein Neuanfang soll das ändern – und mehr Komfort bringen
Ulm Am Ende war der geheime Ort nicht mehr geheim genug: Seit fast 20 Jahren befindet sich das Ulmer Frauenhaus am gleichen Platz. Frauen, die vor häuslicher und sexueller Gewalt fliehen, können dort unterkommen. Doch mal kamen Handwerker ins Frauenhaus, mal machte ein Arzt einen Hausbesuch. Der Ort, der geheim bleiben muss, um die Frauen und ihre Kinder zu schützen, war zu vielen Leuten in der Stadt bekannt. So vielen, dass das Frauenhaus im Jahr 2017 zwölf von 40 Anfragen absagen musste. Die Frauen hätten keinen Schutz gefunden, weil Partner oder Verwandte die Adresse kannten. „Nach 15 Jahren wird die Anonymität brüchig, in einer Stadt wie Ulm sowieso“, sagte Angelika Glaschick. Die Geschäftsführerin des Trägervereins Frauen helfen Frauen berichtete im Ulmer Sozialausschuss von den neusten Entwicklungen.
Im Herbst soll das Frauenhaus umziehen, bis dahin wird grundsaniert
Die Aufenthaltsdauer hat über die Jahre zugenommen
und umgebaut. Vor fast fünf Jahren, Mitte April 2014, hatte die Suche nach einer neuen Immobilie begonnen. Mitte 2016 wurde der Verein fündig, Anfang 2017 stand die Finanzierung fest. Schwierig sei die Suche nach einem passenden Standort nicht nur wegen des umkämpften Wohnungsmarkts in Ulm gewesen. „Es lag auch an die Bedingungen, die wir brauchen“, berichtete Glaschick. Um Anonymität und damit Sicherheit zu gewährleisten, musste das neue Haus ausreichend weit entfernt vom alten Standort liegen. Es braucht ausreichend Platz für die WGs, in denen die Frauen mit oder ohne Kinder vorübergehend einziehen. Die Parkplätze sollen schwer einsichtig sein, damit Frauen beim Ein- und Auszug unbeobachtet bleiben. Das neue Frauenhaus bekommt eine barrierefreie Wohnung, im Keller ist Platz für einen Werk- und Bastelraum, für einen Tischkicker und eine Tischtennisplatte. Aus Sicherheitsgründen wird rund ums Gebäude eine Beleuchtung installiert, zudem soll es eine Sprechanlage mit Ton und Video an der Tür geben.
Angelika Glaschick zieht sich nach mehr als 20 Jahren als Geschäftsführerin zurück, sie wechselt zur AG West, dem Verein für Jugendhilfe und soziale Arbeit im Ulmer Westen. „Ich wollte ein bisschen was Leichteres, ein bisschen weniger Verantwortung und weni- ger Gewalt“, erklärte sie. Ihre Nachfolgerin, die Sozialarbeiterin Anja Schlumpberger, arbeitet seit annähernd 15 Jahren im Frauenhaus und in der Frauenberatungsstelle. Zum 1. Juli wird sie die Geschäftsführung übernehmen.
Über eine Neuerung freuen sich die alte und die neue Geschäftsführerin am meisten. „Es ist ein altes Haus und es hat einen Garten“, schwärmte Glaschick. Das Gebäude besitze Charme, man könne sich dort wohlfühlen. Der Garten gebe wichtige Freiheiten, ergänzte Schlumpberger. Oft sollen Frauen in den ersten Tagen nach dem Einzug ins Frauenhaus das Gelände nicht verlassen. Sie sollen auf diese Weise vor übergriffigen, eifersüchtigen und wütenden Partnern geschützt werden, die sie angreifen könnten. „Ohne Garten war das bislang oft anstrengend und mühsam“, beschrieb Schlumpberger. In Zukunft müssen die Frauen nicht mehr im Haus bleiben, sie können im Garten an die frische Luft. Das Grundstück ist eingezäunt, mit Kameras überwacht und kann komplett ausgeleuchtet werden. Geplant ist unter anderem ein überdachter Bereich, in dem Wäsche aufgehängt werden kann. Auch ein Hochbeet könnte später angelegt werden. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg: „Das ist ein brachliegendes Gelände. Da muss man richtig viel machen“, schilderte Glaschick.
Der Garten soll auch den Kindern, die oft mit ihren Müttern ins Frauenhaus ziehen, mehr Freiraum zum Spielen geben. Zusätzliche Freiheiten gibt auch der Grundriss des neuen Gebäudes. Bei etwa gleichbleibender Grundfläche werde es drei statt bisher zwei Wohnungen geben, kündigte Glaschick an. Das gebe den Familien mehr Privatsphäre. Bislang leben drei Mütter mit Kindern in einer Wohnung, zukünftig werden es zwei pro Wohnung sein. Auch weil die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Frauenhaus zugenommen hat. Waren es anfangs um die 60 Tage, sind es inzwischen etwa 80. Auch das, sagt Glaschick, liege am überhitzten Wohnungsmarkt.
Der hat auch Auswirkungen auf die Frauen, die im neuen Frauenhaus Hilfe suchen: Je nach finanzieller Situation müssen diese einen Eigenanteil für die Unterkunft bezahlen. Der könnte durch die höheren Kosten steigen. „Ich hoffe, dass niemand dadurch abgeschreckt wird“, sagte die Geschäftsführerin. Nicht alle Frauen zahlen den Eigenanteil. Für den Fehlbetrag, der sich in Grenzen halte, komme der Trägerverein auf.
Über den neuen Standort sagt Angelika Glaschick: „Die Anonymität müssen wir pflegen, das ist nicht einfach.“Auch nach dem Umzug werde es Frauen geben, die nicht in Ulm bleiben können, weil ein gewalttätiger Mann sie suchen und wahrscheinlich finden würde. „Dann können sie sich nicht frei bewegen und nicht zur Ruhe kommen“, sagte Glaschick. Der Verein Frauen helfen Frauen hat Kontakte in andere Städte geknüpft, um in solchen Fällen Plätze zu vermitteln.
Andere Plätze in Ulm könnten vorsorglich freigehalten werden: in einer Kita in der Nähe des neuen Frauenhauses. Dort könnten junge Kinder vorübergehend betreut werden. Mehrere Räte hatten sich in der Sitzung nach der Kinderbetreuung erkundigt – und nach Möglichkeiten, wie die Stadt Frauenhaus und Trägerverein unterstützen könne.