Endspurt im Blutrache-Prozess
Justiz Ein Hammer als Mordwaffe, grausame Details und ungewöhnliche Ermittlungen – am Mittwoch spricht der Staatsanwalt sein Plädoyer in einem der aufwendigsten Ulmer Gerichtsverfahren der vergangenen Jahre
Ulm Einer der aufwendigsten Prozesse der letzten Jahre vor einem Ulmer Schwurgericht geht nach fast einjähriger Verhandlung dem Ende entgegen. Angeklagt ist ein 47-jähriger Deutscher mit albanischen Wurzeln. Er soll gemeinsam mit einem Unbekannten namens „Don“einen Blutrachemord an einem 18-jährigen Albaner auf hinterhältige und grausame Weise an einem Erbacher Anglersee verübt haben.
Der Angeklagte schweigt seit Beginn des Prozesses zu dem Vorwurf, einen ihm so gut wie unbekannten Menschen mit neun Hammerschlägen getötet und die Leiche im kleinen See versenkt zu haben. Der tote Körper wurde am 22. Mai 2017 von einem Angler entdeckt und von der Feuerwehr geborgen. Der Getötete stammte aus dem persönlichen Umfeld am albanischen Geburtsort des Angeklagten. Ende Juni 2017 wurde Letzterer, ein Familienvater, in Göppingen verhaftet, wo er seit Jahren wohnt und eine Autofirma betreibt.
Eine 30-köpfige Sonderkommission nahm umfangreiche Ermittlungen auch in der Heimat des Getöte- ten auf. Nach Erstellung der Anklageschrift meinte der zuständige Oberstaatsanwalt, dass er persönlich so ein umfangreiches Ermittlungswerk selten gesehen habe. Ebenso umfangreich war dann auch die Beweisaufnahme des Schwurgerichts, in der die beiden Verteidiger immer wieder auf angebliche Ermittlungslücken hinwiesen und zahlreiche Anträge stellten, diese zu schließen. Die Anklage stützt sich auf zahlreiche Hinweise aus der Familie des 19-jährigen Getöteten, sodass sich laut Staatsanwaltschaft Blutrache als Motiv herauskristallisiert habe. Kanun ist der albanische Ausdruck für Blutrache mit speziellen Gesetzmäßigkeiten.
Vor dem Prozessbeginn im April vergangenen Jahres erläuterte der Anklagevertreter in einer Pressekonferenz dieses archaische Gewohnheitsrecht, das seit Jahrhunderten bis heute noch in Nordalbanien praktiziert werde. Ziel sei die komplette Auslöschung einer Familie: Wenn ein Mann einer Familie getötet worden ist, soll ein Mann der anderen Familie getötet werden. Frauen und Kinder werden, bis sie 18 Jahre alt sind, nach diesem archaischen Blutrecht traditionell ver- So konnte sich das jetzige Opfer mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder nach einer Odyssee durch Europa in Deutschland niederlassen, bis er 18 wurde, aufgespürt und getötet wurde. Darin ist sich die Staatsanwaltschaft sicher. Auslöser der Blutrache war ein Tötungsdelikt im Jahr 2000, wo der Onkel des jetzigen Opfers einen Mann getötet hatte. Der Todesschütze sitzt bis heute im Gefängnis. Eine Ladung dieses wichtigen Zeugen nach Ulm war nicht möglich. So berief das Schwurgericht am 20. Februar 2019 eine Videovernehmung in einem Gerichtssaal in Tirana ein (wir berichteten). Dabei belastete der Häftling den in Ulm Angeklagten schwer. Welchen Hintergrund die Tat im Jahr 2000 in Albanien hat, konnte die Sonderkommission nicht ermitteln. Auf jeden Fall, so ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, sei der Angeklagte jedenfalls der Familie des damals auf offener Straße Getöteten zuzurechnen.
Belastet wurde der Angeklagte auch durch die polizeilichen Ermittlungen, wonach er das Mordwerkzeug und das umfangreiche Verpackungsmaterial in einem Ulmer Baumarkt besorgt haben soll.
Die Verteidiger konzentrieren sich in ihrer Strategie auf den mysteriösen „Don“, der von Zeugen in Deutschland auch gesehen wurde. Mag sein, dass er der Drahtzieher der Blutrache gewesen ist oder ein Berufskiller im Familienauftrag war. Jedenfalls soll der „Don“Kontakt zu dem späteren Opfer aufgenommen haben und dem damals noch 18-Jährigen erfolgreiche Drogengeschäfte in Aussicht gestellt haben. So sei dieser an den Anglersee in Erbach gelockt und getötet worschont. den. Die Strategie der Verteidiger geht dahin, zu beweisen, dass dieser Mann einzig und allein das Opfer erschlagen und 70 Meter zum See geschleift habe, wo die Leiche versenkt wurde. Ob das ein Mann allein bewältigen kann, war die Kardinalfrage der letzten Verhandlungstage.
Der Versuch mit einer Kunstleiche, auch Dummy genannt, ergab: Den eingewickelten Toten über eine verschlossene Gartentür zu heben, war für einen Täter allein nicht zu bewältigen. So wurde erneut ein Antrag der Verteidigung gestellt, um die Anklage in Zweifel zu ziehen. In der Nähe der Gartentür wurde bei dem Versuch mit der Kunstleiche von einem der Verteidiger ein Loch im Zaun entdeckt, durch das immer wieder Biber schlüpfen. Der zweite beantragte Feldversuch war jedoch nicht notwendig, nachdem sowohl das Gericht als auch der Staatsanwalt zugestanden, dass man dort auch die Leichen hindurchzerren konnte.
Morgen, Mittwoch, 13. März, ist es voraussichtlich so weit: Der Staatsanwalt spricht sein Plädoyer, die Verteidiger sind zwei Wochen später, am 27. März, im Schwurgerichtssaal dran.