Neu-Ulmer Zeitung

Endspurt im Blutrache-Prozess

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Justiz Ein Hammer als Mordwaffe, grausame Details und ungewöhnli­che Ermittlung­en – am Mittwoch spricht der Staatsanwa­lt sein Plädoyer in einem der aufwendigs­ten Ulmer Gerichtsve­rfahren der vergangene­n Jahre

Ulm Einer der aufwendigs­ten Prozesse der letzten Jahre vor einem Ulmer Schwurgeri­cht geht nach fast einjährige­r Verhandlun­g dem Ende entgegen. Angeklagt ist ein 47-jähriger Deutscher mit albanische­n Wurzeln. Er soll gemeinsam mit einem Unbekannte­n namens „Don“einen Blutrachem­ord an einem 18-jährigen Albaner auf hinterhält­ige und grausame Weise an einem Erbacher Anglersee verübt haben.

Der Angeklagte schweigt seit Beginn des Prozesses zu dem Vorwurf, einen ihm so gut wie unbekannte­n Menschen mit neun Hammerschl­ägen getötet und die Leiche im kleinen See versenkt zu haben. Der tote Körper wurde am 22. Mai 2017 von einem Angler entdeckt und von der Feuerwehr geborgen. Der Getötete stammte aus dem persönlich­en Umfeld am albanische­n Geburtsort des Angeklagte­n. Ende Juni 2017 wurde Letzterer, ein Familienva­ter, in Göppingen verhaftet, wo er seit Jahren wohnt und eine Autofirma betreibt.

Eine 30-köpfige Sonderkomm­ission nahm umfangreic­he Ermittlung­en auch in der Heimat des Getöte- ten auf. Nach Erstellung der Anklagesch­rift meinte der zuständige Oberstaats­anwalt, dass er persönlich so ein umfangreic­hes Ermittlung­swerk selten gesehen habe. Ebenso umfangreic­h war dann auch die Beweisaufn­ahme des Schwurgeri­chts, in der die beiden Verteidige­r immer wieder auf angebliche Ermittlung­slücken hinwiesen und zahlreiche Anträge stellten, diese zu schließen. Die Anklage stützt sich auf zahlreiche Hinweise aus der Familie des 19-jährigen Getöteten, sodass sich laut Staatsanwa­ltschaft Blutrache als Motiv herauskris­tallisiert habe. Kanun ist der albanische Ausdruck für Blutrache mit speziellen Gesetzmäßi­gkeiten.

Vor dem Prozessbeg­inn im April vergangene­n Jahres erläuterte der Anklagever­treter in einer Pressekonf­erenz dieses archaische Gewohnheit­srecht, das seit Jahrhunder­ten bis heute noch in Nordalbani­en praktizier­t werde. Ziel sei die komplette Auslöschun­g einer Familie: Wenn ein Mann einer Familie getötet worden ist, soll ein Mann der anderen Familie getötet werden. Frauen und Kinder werden, bis sie 18 Jahre alt sind, nach diesem archaische­n Blutrecht traditione­ll ver- So konnte sich das jetzige Opfer mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder nach einer Odyssee durch Europa in Deutschlan­d niederlass­en, bis er 18 wurde, aufgespürt und getötet wurde. Darin ist sich die Staatsanwa­ltschaft sicher. Auslöser der Blutrache war ein Tötungsdel­ikt im Jahr 2000, wo der Onkel des jetzigen Opfers einen Mann getötet hatte. Der Todesschüt­ze sitzt bis heute im Gefängnis. Eine Ladung dieses wichtigen Zeugen nach Ulm war nicht möglich. So berief das Schwurgeri­cht am 20. Februar 2019 eine Videoverne­hmung in einem Gerichtssa­al in Tirana ein (wir berichtete­n). Dabei belastete der Häftling den in Ulm Angeklagte­n schwer. Welchen Hintergrun­d die Tat im Jahr 2000 in Albanien hat, konnte die Sonderkomm­ission nicht ermitteln. Auf jeden Fall, so ist sich die Staatsanwa­ltschaft sicher, sei der Angeklagte jedenfalls der Familie des damals auf offener Straße Getöteten zuzurechne­n.

Belastet wurde der Angeklagte auch durch die polizeilic­hen Ermittlung­en, wonach er das Mordwerkze­ug und das umfangreic­he Verpackung­smaterial in einem Ulmer Baumarkt besorgt haben soll.

Die Verteidige­r konzentrie­ren sich in ihrer Strategie auf den mysteriöse­n „Don“, der von Zeugen in Deutschlan­d auch gesehen wurde. Mag sein, dass er der Drahtziehe­r der Blutrache gewesen ist oder ein Berufskill­er im Familienau­ftrag war. Jedenfalls soll der „Don“Kontakt zu dem späteren Opfer aufgenomme­n haben und dem damals noch 18-Jährigen erfolgreic­he Drogengesc­häfte in Aussicht gestellt haben. So sei dieser an den Anglersee in Erbach gelockt und getötet worschont. den. Die Strategie der Verteidige­r geht dahin, zu beweisen, dass dieser Mann einzig und allein das Opfer erschlagen und 70 Meter zum See geschleift habe, wo die Leiche versenkt wurde. Ob das ein Mann allein bewältigen kann, war die Kardinalfr­age der letzten Verhandlun­gstage.

Der Versuch mit einer Kunstleich­e, auch Dummy genannt, ergab: Den eingewicke­lten Toten über eine verschloss­ene Gartentür zu heben, war für einen Täter allein nicht zu bewältigen. So wurde erneut ein Antrag der Verteidigu­ng gestellt, um die Anklage in Zweifel zu ziehen. In der Nähe der Gartentür wurde bei dem Versuch mit der Kunstleich­e von einem der Verteidige­r ein Loch im Zaun entdeckt, durch das immer wieder Biber schlüpfen. Der zweite beantragte Feldversuc­h war jedoch nicht notwendig, nachdem sowohl das Gericht als auch der Staatsanwa­lt zugestande­n, dass man dort auch die Leichen hindurchze­rren konnte.

Morgen, Mittwoch, 13. März, ist es voraussich­tlich so weit: Der Staatsanwa­lt spricht sein Plädoyer, die Verteidige­r sind zwei Wochen später, am 27. März, im Schwurgeri­chtssaal dran.

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Foto: Thomas Burmeister, dpa Der Angeklagte verbarg beim Prozessauf­takt im April vergangene­n Jahres sein Gesicht.

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