Ein neues Denkmal für Nazi-Opfer
Geschichte Der Leidtragenden von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Morden wird ab Oktober vor dem Landgericht gedacht. Der Stein-Löwe darf aber auf seinem Sockel bleiben
Ulm Der Löwe bleibt wo er ist. Nein, so mutig waren die Auslober des „Erinnerungszeichen für die Ulmer Opfer von NS-Zwangssterilisation und ’Euthanasie’-Morden“dann doch nicht. Die beiden Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die schon einmal in einem Wettbewerb für das Berliner Holocaustmahnmal vorschlugen, das Brandenburger Tor abzureißen, es zu Staub zu zermahlen und das Granulat auf dem Gelände für das Mahnmal zu zerstreuen, gingen in Ulm leer aus. Wenngleich sich offenbar große Teile der Jury für ihren Vorschlag begeistern konnten.
Die provokanten Künstler wollten in Ulm den linken Portallöwe am Landgericht im wahrsten Sinne des Wortes „vom Sockel“nehmen und so aufstellen, dass er auf das Gerichtsgebäude blickt. Vor seinen Augen sollten Tafeln mit Bildern und Texten zur NS-Zwangssterilisation angebracht werden. Das Herrschafts- und Machtsymbol käme sozusagen zurück auf Augenhöhe der Passanten und bewacht die Namen der 160 Opfer des organisierten Patientenmordes.
Nicht zuletzt wegen Bedenken des Denkmalschutzes wird der Entwurf nicht umgesetzt. Aber auch weil, die zahlreichen Kooperationspartner ein Denkmal errichten wollen, „hinter dem wir alle stehen“, wie es Karla Nieraad, die Vorsitzende des Auswahlgremiums, ausdrückte. Drei Aufgaben habe das Denkmal, das im Oktober dieses aufgestellt werden soll: Es soll erinnern, informieren und die Opfer würdigen. 160 Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen, die aus Ulm und Umgebung stammten oder in der Ulmer „Landesfürsorgeanstalt Oberer Riedhof“lebten, wurden von den Nazis verschleppt und ermordet, weil sie als „lebensunwert“galten. Das Denkmal, das das Land Baden-Württemberg mit 50 000 Euro finanziert, erinnert zudem an die 1155 Menschen, die auf Grundlage eines Urteils des Erbgesundheitsgerichts zwangssterilisiert wurden.
Ein Metallband legt sich ab Oktober symbolisch vor die Fassade des Landgerichts Ulm, in dem in der Nazizeit das Erbgesundheitsgericht urteilte. Im oberen Bereich löst sich das Band – wie durch eine äußere Einwirkung – von der Fassade und legt das Gebäude frei. „Das Ablösen des Metalls steht als Metapher für die Offenlegung und Sichtbarmachung der Ereignisse in Ulm in den Jahren 1933 bis 1945“, erklärt Gerhard Braun, dessen „Büro Braun Engels Gestaltung“, es gelang die gesamte Jury für ihren Entwurf zu gewinnen. Das Band entspringt der Freifläche vor dem Gebäude und nimmt dann die Form eines Tisches an. Dieser Tisch vermittelt schriftlich Informationen zu den Geschehnissen. Die Ausrichtung ermöglicht bewusst eine Leseposition, die einen unmittelbaren Blick auf gleich zwei Tatorte ermöglicht: das Gericht aber auch auf den früheren Standort des Gesundheitsamts auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Die Initiative für das Erinnerungszeichen kam aus der Ulmer Bürgerschaft. Mark Tritsch, vom Initiativkreis Erinnerungszeichen, erzählt, dass einer der Auslöser der Zustand einer Stele zur Erinnerung an die Ermordeten im Ulmer IndusJahres triegebiet Donautal – am früheren Standort der „Landesfürsorgeanstalt Oberer Riedhof“– gewesen sei: Überwuchert und völlig im Abseits. Nun solle mitten in der Stadt nicht nur ein Denkmal, sondern ein Beitrag gegen die Stigmatisierung und für die Inklusion entstehen. Das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, um die Leiterin Nicola Wenge, griff die Idee auf und entwickelte sie gemeinsam mit dem Initiativkreis, der Stadt Ulm, dem Landgericht Ulm und dem Land Baden-Württemberg weiter. Das Land finanziert das Erinnerungszeichen, die Stadt die wissenschaftliche Erarbeitung eines Gedenkbuchs.
Die Frage, „wie konnte es damals so weit kommen“, ist aus Sicht von Sozialbürgermeisterin Iris Mann hochaktuell. Im besten Fall könne das Erinnerungszeichen helfen, die Faktoren der damaligen Dynamik zu verstehen, die zu diesen Verbrechen geführt hatten. Die Erinnerung biete Anlass, über den heutigen Umgang mit Behinderung und Krankheit nachzudenken und vor Augen zu führen: „Teilhabe ist wichtig.“Bis heute gebe es für die Ulmer Opfer der Zwangssterilisierungen und „Euthanasie“-Morde jenseits der Forschungen von Walter Wuttke und einzelner biografischer Arbeiten der Stolpersteininitiative keine umfassende Studie. Die Stadt Ulm finanziert nun mit 30000 Euro die Arbeit einer Historikerin. Der Initiativkreis möchte zur Einweihung im Herbst einer Vortragsreihe starten und sucht dafür noch Spender.Kontakt über dzok-ulm.de