Neu-Ulmer Zeitung

Lebenslang für „Blutrache-Mord“

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Justiz Aus Furcht vor gnadenlose­n Mördern floh ein junger Albaner nach Deutschlan­d. Doch selbst dort war er nicht sicher. Über die tödlichen Hammerschl­äge auf das Opfer wurde jetzt nach einem Jahr Verhandlun­gen geurteilt

Ulm Nach knapp einem Jahr intensiver Beweisaufn­ahme ist am Mittwoch im Blutrachep­rozess das Urteil gesprochen worden. Die Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Ulm hat einen 37-jährigen Deutschen mit albanische­n Wurzeln wegen heimtückis­chen Mordes zu einer lebensläng­lichen Freiheitss­trafe verurteilt. Er soll gemeinsam mit einem Komplizen einen ihm unbekannte­n 19-jährigen Albaner im April 2017, unter dem Vorwand eines Drogengesc­häfts, an einen verschwieg­enen Anglersee bei Erbach gelockt und mit acht Hammerschl­ägen getötet haben.

Das Opfer enstammt einer Familie, an der die albanische Blutrache „Kanun“seit einigen Jahren vollzogen wird und mittlerwei­le alle männlichen Mitglieder der Familie, die älter als 18 Jahre sind, ausgelösch­t wurden. Diesen Mammutproz­ess hätte es nicht gegeben, wenn nicht am 19. November 2000 ein Onkel des Erbacher Tatopfers in der nordalbani­schen Stadt Erbasan auf offener Straße einen Angehörige­n der offensicht­lich verfeindet­en Familie des Täters erschossen hätte. Der sitzt derzeit seine 25-jährige albanische Haft ab und trat im Verlauf des Ulmer Prozesses in einem Gerichtssa­al in Tirana in den Zeugenstan­d und belastete über Video den in Ulm Angeklagte­n schwer. Warum diese Ermordung damals stattfand, ist nicht bekannt. Jedenfalls löste diese Bluttat eine Folge von Rachemorde­n aus, bei der mittlerwei­le alle männlichen Mitglieder der Familie M. über 18 Jahren ausgelösch­t wurden.

Das Erbacher Mordopfer hatte auch in Deutschlan­d keine Chance, seinen Häschern zu entrinnen. Er versteckte sich mit seiner Mutter und dem jüngeren Bruder zunächst neun Jahre in Griechenla­nd und kam dann über Albanien nach Deutschlan­d, wo er Asyl beantragte, aber nicht erhielt. Eine Mitarbeite­rin des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e sagte per Videoschal­tung im Zeugenstan­d: „Der Antrag wurde abgelehnt, weil es sich bei Blutrache nicht nach unseren Bestimmung­en um eine politische Verfolgung durch den Staat handelt.“Die Familie fand in Nordrhein-Westfalen Unterkunft. Sehr zum Verdruss der Mutter rutschte ihr Sohn schnell ins dortige Drogenmili­eu ab, verdingte sich als Dealer. Ein Straßenver­käufer, mehr nicht, sagte gestern der Vorsitzend­e Richter in seiner Urteilsbeg­ründung, ein Großer auf dem internatio­nalen Drogenmark­t, meinte einer der beiden Verteidige­r in seinem Plädoyer. Bei dem Mord sei es schließlic­h um lukrative Drogengesc­häfte gegangen. Beweisantr­äge der Verteidigu­ng, das zu untermauer­n, hatte das Schwurgeri­cht in den letzten Prozesstag­en nicht mehr zugelassen.

Bis dahin wurden, so führte das Schwurgeri­cht an, in 34 Prozesstag­en 60 Zeugen vernommen, 70 Stehordner mit 3000 Aktenblätt­ern durchgearb­eitet, hunderttau­send Daten gesichtet sowie vier Ordner in albanische­r Sprache „mühsam“durchforsc­ht worden, berichtete der Gerichtsvo­rsitzende gestern und lobte die aufwendige­n Ermittlung­en der Kriminalpo­lizei, die eine 30-köpfige Sonderkomm­ission „See“gebildet hatte, deren Arbeitsgeb­iet sich auf ganz Europa erstreckte.

Der Angeklagte schwieg den gesamten Prozess über und ließ auch bei der Urteilsver­kündung nicht äußerlich erkennen, was in ihm vorging. Er hatte den Anwälten gegenüber angegeben, eine Einkaufsli­ste eines rätselhaft­en „Don“in einem Göppinger Baumarkt abgearbeit­et zu haben: Hammer, Plane, Draht und Klebeband. Diese Sachen sollten etwas mit dem angebliche­n Drogenverk­auf zu tun haben? Fast genüsslich zerpflückt­e der Gerichtsvo­rsitzende das Bemühen der Verteidige­r, den Kopf ihres Mandanten aus der Schlinge zu ziehen. Selbst wenn man an diesem Anglersee einen Drogenbunk­er im großen Stil bauen wollte, ergebe diese Einkaufsli­ste keinen Sinn.

Das Feuchtgebi­et eigne sich ohnehin überhaupt nicht, um Drogen zu lagern, und wäre schnell von den Anglern entdeckt worden. So bleibe nur die richtige These, mit diesen Utensilien, einschließ­lich 20 Kilo Betonsturz, sollte jemand getötet, mit einer Plane umwickelt, verklebt und so im See versenkt werden, dass die Leiche nie mehr auftaucht. Doch im Mai 2017 tauchte das Leichenpak­et eben doch auf, ein Angler alarmierte die Polizei und die Ermittlung­en in Deutschlan­d und Albanien konnten beginnen. Zehn Sachverstä­ndige wurden zum Prozess vorgeladen; die Erkenntnis­se, die sie vortrugen, bestätigte­n die Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft, dass der jetzt Angeklagte, Kleinunter­nehmer aus Göppingen, kein unkundiger Gehilfe beim Mordvorhab­en, sondern der Täter war, der mit einem geheimnisv­ollen Albaner namens „Don“den schrecklic­hen Mord an einem unschuldig­en und ihm unbekannte­n Menschen verübt hat. Von den Angehörige­n der Rachefamil­ie beauftragt, hatte der Angeklagte mithilfe des profession­ellen Auftragsmö­rders „Don“den jungen Mann zu töten. Wie, das blieb den Mördern überlassen.

Am Ende dieses letzten Prozesstag­es gab es doch noch einen winzigen Hoffnungss­chimmer für das weitere Leben des nicht vorbestraf­ten Angeklagte­n und seiner Familie, die jeden Verhandlun­gstag im Gerichtssa­al saß: Die Schwurgeri­chtskammer verneinte eine besondere Schwere der Schuld. Das bedeutet, dass der 37-Jährige bei guter Führung das Gefängnis nach 15 Jahren wieder verlassen kann.

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Foto: Stefan Puchner/dpa Eine der Ermittlung­sakten im Ulmer Gerichtssa­al.

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