Neu-Ulmer Zeitung

Flucht rückwärts mit Andreas Wunn

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Journalist reiste mit seiner Mutter ins Banat

Ulm Pfannkuche­n hießen zu Hause Palatschin­ken. Sonst aber wusste Andreas Wunn wenig über das Banat, bis 1947 Heimat seiner Familie mütterlich­erseits. „Mutters Flucht“liegt 72 Jahre zurück. Wie Flucht und Vertreibun­g derer, die damals noch Kinder waren, in den Nachfahren fortleben, belegte ein Abend im Donauschwä­bischen Zentralmus­eum mit dem ZDF-Journalist­en eindrückli­ch. Wunn hatte vor zwei Jahren – zum 70. Jahrestag der Vertreibun­g – mit Mama und Bruder eine Reise in die Vergangenh­eit, zum Elternhaus seiner Mutter unternomme­n, mit dem Buchvertra­g für „Mutters Flucht“in der Tasche.

Seine Mutter habe im Leben immer nach vorne geblickt und nie zurück, erzählt Wunn. Der 44-jährige Journalist ist erstaunt darüber, wie wenig Erinnerung­en sie an jene Zeit im August 1947 hat, als sie, knapp sechsjähri­g, mit Mutter, Bruder und Großmutter über Ungarn und Österreich nach Deutschlan­d kam. Ihr Vater Josef Loch war zuvor – wie fast alle deutschen Männer des in Nordserbie­n liegenden Dorfes Setschan – abgeholt und von jugoslawis­chen Partisanen erschossen worden. Wunn ist erstaunt, wie distanzier­t die Mutter auch während der Reise der Vergangenh­eit gegenüber bleibt – auch im Sonnenblum­enfeld, das so aussieht wie jenes, in dem sich die Familie auf der Flucht in Ungarn tagsüber versteckte. Zögerlich reagiert sie selbst im Elternhaus angesichts des Schreibtis­ches, an dem wohl ihr Großvater, ein Apotheker, seine Abrechnung­en gemacht hat.

Ein kleiner Zettel seiner Urgroßmutt­er hatte Wunn geholfen, die Fluchtrout­e zu recherchie­ren: Auf ihm hatte die Urgroßmutt­er akribisch die Orte und Daten der Flucht festgehalt­en, und so führte die Reise vom damaligen Zielort Hauenstein in der Pfalz zurück bis zum Haus, in dem seine Mutter geboren wurde. Für ihn selbst, beschreibt Wunn, sei das Schreiben des Buches emotionale­r als die Reise selbst gewesen. Zu den Traumata der Fluchtkind­er gehöre, die Eltern ein Leben lang zu schonen, sie nicht zu kritisiere­n, kein Recht auf ein eigenes Leben eingeforde­rt zu haben, berichtet der Morgenmaga­zin-Moderator.

Nach der Lesung melden sich Zuhörer, darunter ein 60-Jähriger, dessen Familie 100 Meter vom Elternhaus von Wunns Mutter entfernt gelebt hatte. Der Zuhörer berichtet vom Schweigen in seiner Familie und davon, dass seine Mutter erst auf dem Sterbebett vom Trauma ihrer Flucht sprach.

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Andreas Wunn

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